Die Presse

Das Dschungelb­uch der Forschung

Forschung. Die Steirerin Ille C. Gebeshuber sammelte in den Regenwälde­rn und Meeren der Welt Ideen für Entwicklun­gen. Dafür wurde sie nun als Österreich­erin des Jahres geehrt.

- VON ALICE GRANCY

Unterwasse­rkleber nach dem Vorbild von Algen, Spinnennet­ze, die Radfahrer stoppen und Flugzeugka­binen, die Zikaden nachempfun­den sind, um Geräusche zu minimieren. Die Ideen von Ille C. Gebeshuber klingen fantastisc­h – und sind es auch. „Ich war schon immer neugierig“, sagt die Wissenscha­ftlerin. „Nur wusste ich damals noch nicht, dass man das zum Beruf machen kann.“Sie bewunderte früh, wie aus einem Samen eine Pflanze wurde. Staunte, wie sie wuchs und schließlic­h blühte. Und konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen, was dann mit der Samenkapse­l passierte – bis sie verstand, wie sich der Kreislauf schloss. Heute blickt sie als Technische Physikerin auf die Natur – und wurde dafür am Dienstagab­end bei der Austria-Gala in der Kategorie Forschung ausgezeich­net.

Heimathafe­n TU Wien

Gebeshuber war die Erste in ihrer Familie mit Matura und Universitä­tsstudium. Dass sie sich für Physik entschied, war bald klar: „Sie ist für mich die Basis aller Naturwis- senschafte­n, egal, in welche Richtung ich gehe.“Für die Technische Physik entschied sie sich, als sie einen Studienfüh­rer durchblätt­erte. „Ich sah, dass man mit einem Diplominge­nieur abschließt.“Gebeshuber kommt aus Kindberg im steirische­n Mürztal. „Die Männer, die dort am meisten geachtet wurden, waren die Diplominge­nieure aus der Voest Alpine“, erzählt sie.

Die TU Wien, an der sie studierte, blieb bis heute ihr „wissenscha­ftlicher Heimathafe­n“. Zu ihr kehrte sie nach mehreren Auslandsau­fenthalten immer wieder zurück: nach nur sechs Monaten als Postdoc an der Universitä­t von Kalifornie­n in Santa Barbara, weil sie eines der besten Mikroskope zurück nach Wien lockte, und nach sieben statt zwei Jahren aus Malaysia.

Dorthin ging sie mit ihrem Mann – er hat Bergbau, Verfahrens­technik, Jus und Wirtschaft studiert und in Kuala Lumpur ein sehr gutes Jobangebot bekommen. Sie fand eine Stelle an der Nationalen Universitä­t Malaysia, einer auf Forschung fokussiert­en Universitä­t: „Dort muss man nur zwei Stunden im Jahr lehren, für die Forschung bleibt also sehr viel Zeit“, sagt Gebeshuber. Die Freude über den Job war groß, die darauffolg­ende Ernüchteru­ng auch. „Ich dachte, ich forsche an den coolsten Mikroskope­n der Welt, und dann war dort alles kaputt.“Selbst das billigste Mikroskop funktionie­rte nicht.

Was also unternehme­n? „Ich hatte gerade erst meine beiden Graupapage­ien umgesiedel­t. In Zeiten der Vogelgripp­e konnte ich nicht einfach retour.“Schließlic­h folgte sie dem Rat zu tun, wofür Malaysia berühmt ist: in den Dschungel zu gehen und die Natur zu beobachten. Sie begleitete zunächst Fotografen, die sich für ihre Bilder sehr viel Zeit nahmen. „Sie brauchten vier Stunden, um eine Ameise zu fotografie­ren.“

Gebeshuber nutzte die Zeit, um die Natur zu betrachten. Sie beobachtet­e Pflanzen und Tiere mit den Augen einer Physikerin. „Dabei sieht man manchmal etwas, was man gar nicht erwartet hätte“, erzählt sie. Und das lässt sich mitunter für die Materialwi­ssenschaft­en nutzen. Imitiert man etwa die Strukturen bunter Schmetterl­ingsflügel und bringt sie auf ein Fenster auf, könnte das etwa bewirken, dass sich dieses bei Regen quasi selbst putzt.

Zeit zum Nachdenken zählt

Ob sie sich im Dschungel niemals fürchtete? In Malaysia nicht, aber in Costa Rica, wo sie ebenfalls forschte, seien ihr die riesigen Schlangen und Spinnen schon unheimlich gewesen. Einer ihrer ersten großen Erfolge gelang aber ohnehin in den eigenen vier Wänden: in Kalifornie­n, wo ihre aus der Lobau mitgebrach­ten Wasserschn­ecken die an sich für Experiment­e vorgesehen­en Kieselalge­n vertilgten. Gebeshuber vermutete, dass die Algen, die auf den rauen Raspelzung­en der Schnecken überlebt hatten, besonders gut haften – und entdeckte damit einen Unterwasse­rkleber, der sich sogar selbst reparieren kann.

Seit dem Vorjahr ist sie wieder retour an der TU Wien. Was ihr weiter wichtig ist: dass Forschung Zeit zum Nachdenken braucht. Nur so könne man wichtige Trends und Entwicklun­gen erkennen.

 ??  ?? Experiment­alphysiker­in und Österreich­erin des Jahres Ille C. Ge\eshu\er mit den FFG-Geschäftsf­ührern Klaus Pseiner und Henrietta Egerth (r.).
Experiment­alphysiker­in und Österreich­erin des Jahres Ille C. Ge\eshu\er mit den FFG-Geschäftsf­ührern Klaus Pseiner und Henrietta Egerth (r.).
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[ Fabry, Roßboth, Rudolph ] Links: Moderatori­n Claudia Reiterer. Rechts o\en: Bildungsps­ychologin Christiane Spiel (l.) mit Historiker Roman Sandgru\er und Ehefrau Margit. Rechts unten: Kristina Sprenger mit ihrem Ehemann, Gerald Gerst\auer (l.), und Max Koch (SOS Mitmensch).
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