Film-Yorkshire wie aus der Whisky-Werbung
Neu im Kino. Mit „God’s Own Country“liefert der Schauspieler Francis Lee ein souveränes, aber allzu klischeehaftes Regiedebüt über die Landliebe zwischen einem Bauernsohn aus Yorkshire und einem rumänischen Gastarbeiter.
Britisches Kino sei „ein Widerspruch in sich“, sagte der französisch Regisseur Francois¸ Truffaut: Es sei zu bieder für formalen Wagemut, zu trocken für große Gefühle. Das ist Unfug – doch der Ruch haftet bis heute. Vielleicht liegt das am Erfolg des englischen „Spülbeckenrealismus“, jener ästhetischen Strömung rund um Ken Loach und Tony Richardson, die in den 50ern und 60ern proletarische Lebenswelten detailgetreu abbildeten.
Spießig war an diesen anrührenden Milieustudien nichts. Doch das Wort Milieustudie hat einen etwas unattraktiven, akademischen Beiklang. Erben der sozialrealistischen Tradition suchen daher nach Wegen, ihre Arbeiten in ein hipperes Licht zu rücken. So hauchte die Filmemacherin Andrea Arnold dem „Kitchen Sink“Genre 2009 mit „Fish Tank“neues Leben ein: ein kraftvolles Coming- of-Age-Drama aus London, mit ungestümer Emotion und roher Sinnlichkeit. Bald fanden sich Nachahmer – etwa „The Selfish Giant“(2013) über jugendliche Schrotthändler in Bradford.
Nun folgt „God’s Own Country“von Francis Lee: ein souveränes Langfilmdebüt, dass dennoch aufzeigt, wie leicht Milieu-Sensibilität zur Manier verkommen kann. Schauplatz ist die nordenglische Yorkshire-Region, die Lee aus seiner Kindheit kennt: Kleinstadtpubs und weite Felder, sonst scheint es hier nichts zu geben. Johnny Saxby (Josh O’Connor als jungenhafter Trotzkopf ) lebt und arbeitet auf der Farm seines Vaters, pflegt das Vieh und putzt den Stall. Glücklich macht ihn das nicht: Seine Schulfreunde sind längst zum Studium ausgebüxt, und Papa ist seit dem Schlaganfall noch strenger als zuvor. Also säuft sich Johnny jeden Abend nieder und schiebt ab und zu belanglose Nummern mit unbe- kannten Männern. Doch dann heuert ein Rumäne namens Gheorghe (Alec Secareanu) auf seinem Bauernhof an. Der schwarzgelockte „Zigeuner“ist wortkarg, stolz und arbeitsam, was Johnny anfangs auf die Palme bringt. Doch im Zuge eines längeren Außendienstes zur Aufsicht trächtiger Schafe raufen sich die beiden zusammen – und kommen einander näher.
Erinnerung an „Sturmhöhe“
Das erinnert ein wenig an Ang Lees Cowboy-Romanze „Brokeback Mountain“. Oder an „Sturmhöhe“– nur mit zwei Heathcliffs. Besonders Andrea Arnolds Verfilmung dieses Romanklassikers von Emily Bronte¨ kommt ins Gedächtnis, mit ihren düsteren, wettergepeitschten Landschaftsbildern und der Tierwelt als archaisches Symbolkompendium für Leben, Tod und Triebgetöse. Doch bei Francis Lee bleibt diese Motivik bloße Setzung, wie aus dem Lehrbuch für „ungeschliffe- nen Naturalismus“. Die YorkshireAufnahmen imponieren – doch ihre säuberlich farbkorrigierte Ruppigkeit würde ebenso gut in eine rustikale Whisky-Werbung passen. Die überzeugenden Hauptdarsteller haben Sex im Dreck – und würden dennoch formidable Herrenmodemodels abgeben.
Die größte Schwäche des Films ist aber sein Drehbuch: Es besteht fast nur aus Klischees. Der widerborstige Einzelgänger mit weichem Kern, der sich die Liebe zum noblen Fremden nicht eingestehen will, der durch seine Gebrechlichkeit verbitterte Patriarch, der erst im Angesicht des Todes imstande ist, die familiären Zügel aus der Hand zu geben, das hat hier letztlich die Substanz eines abgegriffenen Groschenromans. Zugegeben: eines, der sich durch seine spezifische Milieuschilderung das Prädikat „wertvoll“verdient hat.
Aber das war schon immer ein zweifelhaftes Gütesiegel.