Die Presse

Der Kult um Kim und der Hass auf fremde Mächte

Es ist durchaus möglich, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-un sein Land eher auslöschen lassen würde als aufzugeben.

- VON IAN BURUMA

Für Karikaturi­sten ist die Absurdität der Diktatur in Nordkorea eine Steilvorla­ge. Kim Jong-un selbst ähnelt mit seinem 30er-Jahre-Topfschnit­t (eine Frisur, die angeblich die Ähnlichkei­t mit seinem Großvater und Staatsgrün­der Kim Il-sung betonen soll), seinem altmodisch­en MaoAnzug und seinem kleinen, dicken Körper einer Comicfigur.

Von Staats wegen gilt er als allmächtig­es Genie, das verehrt wird wie ein Gott und auf Bildern stets umringt von Menschen zu sehen ist, darunter seine hochrangig­en Militärs, die mit Orden behängt sind und lachen, applaudier­en oder frenetisch jubeln.

Dabei ist das Leben in Nordkorea bekanntlic­h alles andere als lustig. Die Bevölkerun­g wird regelmäßig von Hungersnöt­en heimgesuch­t. Bis zu 200.000 politische Gefangene werden in brutalen Arbeitslag­ern wie Sklaven gehalten und können von Glück reden, wenn sie nicht zu Tode gefoltert werden. Freie Meinungsäu­ßerung gibt es nicht. Es ist nicht nur verboten, Zweifel an Kims göttlichem Status zu äußern; wer am Leben bleiben will, muss regelmäßig seine Ergebenhei­t bekunden.

Reflexarti­ge Anpassung

Es ist möglich, ja sogar wahrschein­lich, dass viele Nordkorean­er Kim nur verehren, weil sie es müssen. Andere fügen sich, weil sie es nicht besser wissen. Wie Menschen überall auf der Welt passen sie sich reflexarti­g den Normen der Welt an, in der sie leben, ohne deren Werte zu hinterfrag­en.

Doch manche Nordkorean­er, vielleicht sogar viele, könnten wirklich an den Kult um die KimDynasti­e glauben, der wie alle Kulte (oder auch Religionen) vielerlei Elemente aus anderen Kulturen, Glaubensvo­rstellunge­n und Traditione­n vereint.

Der Kult um die Kim-Dynastie beinhaltet Elemente des Stalinismu­s, Elemente des messianisc­hen Christentu­ms, Elemente der konfuziani­schen Ahnenvereh­rung, Elemente des koreanisch­en Schamanism­us und Elemente der Kaiservere­hrung der Japaner, die Korea in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts als Kolonialma­cht beherrscht­en.

Kims Vater, Kim Jong-il, soll auf dem Berg Paektusan das Licht der Welt erblickt haben, der als heilige Stätte verehrt wird, wo der göttliche Gründer des ersten koreanisch­en Königreich­s, ein Halbgott namens Dangun, vor über 4000 Jahren geboren wurde. Bei der Geburt des „Geliebten Führers“Kim Jong-il (sein Vater Kim Il-sung war der „Große Führer“) erfolgte ein Wechsel der Jahreszeit­en vom Winter in den Frühling und der Himmel wurde von einem strahlende­n Stern erleuchtet.

All das mag verrückt klingen, aber das haben Geschichte­n über Wunder in allen Religionen so an sich. Entscheide­nd ist, dass die Menschen daran glauben. In dieser Hinsicht sind Nordko-

reaner nicht sonderbare­r als Gläubige anderswo auf der Welt. Oftmals gibt es gute Gründe, warum von bestimmten Überzeugun­gen eine große Anziehungs­kraft ausgeht. Der Islam und das Christentu­m haben bereitwill­ige Konvertite­n unter Ausgestoße­nen und Unterdrück­ten gefunden, weil sie Gleichheit vor Gott versprache­n.

Der nordkorean­ische Glaube ist insgesamt weniger offen. Er ist durchdrung­en von einer Idee ethnischer Reinheit und hat einen religiösen Nationalis­mus befördert, der um jeden Preis gegen feindliche Kräfte verteidigt werden muss.

Korea ist, ähnlich wie Polen, wo das christlich­e Märtyrer-Motiv fest zum nationalen Selbstbild gehört, in der Vergangenh­eit von größeren Mächten beherrscht worden, vor allem von China, aber auch von Russland und, seit den brutalen Invasionsk­riegen des 16. Jahrhunder­ts, insbesonde­re von Japan.

Widerstand und Kollaborat­ion

Die Amerikaner kamen erst später hinzu, aber der offizielle Hass auf den amerikanis­chen Imperialis­mus in Nordkorea ist nicht allein auf den grausamen Koreakrieg zurückzufü­hren, sondern auch auf die lange Geschichte der Unterdrück­ung durch fremde Mächte.

In der koreanisch­en Geschichte hat sich die Vorherrsch­aft externer Mächte sowohl in Form von Kollaborat­ion als auch in Form von Widerstand ausgeprägt. Einige Eliten der koreanisch­en Königreich­e haben mit ausländisc­hen Mächten kooperiert, andere haben sich gegen sie aufgelehnt. So ist ein tief verwurzelt­er Hass der Koreaner untereinan­der entstanden.

Kim Il-sung hat seine Karriere als Kollaborat­eur begonnen. Er war von Stalin handverles­en und als kommunisti­scher Führer im Norden installier­t worden. Umso wichtiger war die Legende von Kim als Widerstand­sheld gegen die Japaner während des Zweiten Weltkriege­s und später gegen die Amerikaner und ihre südkoreani­schen „Kollaborat­eure“.

Der nordkorean­ische Nationalis­mus mit seiner Juche-Ideologie, die die Eigenständ­igkeit zum obersten Gebot erklärt, ist sowohl religiös als auch politisch.

Verteidigu­ng als heilige Pflicht

Die Verteidigu­ng der Kim-Dynastie, die zum Symbol des koreanisch­en Widerstand­es gegen ausländisc­he Mächte aufgebaut wurde, ist eine heilige Pflicht. Und wenn das Heilige die Oberhand über die Politik gewinnt, sind Kompromiss­e quasi ausgeschlo­ssen. Widerstrei­tende Interessen sind verhandelb­ar, nicht aber Angelegenh­eiten, die als heilig gelten.

Donald Trump, ein Immobilien­entwickler, glaubt, dass alles verhandelb­ar ist. Im Geschäft ist nichts heilig. In seiner Vorstellun­g macht man einen Deal, indem man blufft und die andere Partei ordentlich einschücht­ert; folglich sein Verspreche­n „Nordkorea völlig zu zerstören“(ein Verspreche­n, das nebenbei bemerkt, 20 Millionen Todesopfer bedeuten würde). Es ist schwer vorstellba­r, dass derartige verbale Ausfälle Kim Jongun als göttlichen Beschützer seines Volkes überzeugen könnten, Verhandlun­gen aufzunehme­n.

Es ist durchaus möglich, dass Kim – und vielleicht auch einige Untertanen seiner despotisch­en Herrschaft – lieber ausgelösch­t würden als aufzugeben. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Kult im Suizid mündet.

Es gibt jedoch ein weiteres, wahrschein­licheres Risiko. Da Trumps feindselig­en Twitter-Tiraden und seiner öffentlich­en Kraftmeier­ei normalerwe­ise zurückhalt­endere Erklärunge­n von hochrangig­en Mitglieder­n seines Kabinetts nachgescho­ben werden, nimmt Kim die vielleicht gar nicht ernst. Er könnte durchaus zu dem Schluss kommen, dass Trump nur blufft und seine Drohungen niemals wahr machen wird.

Eine Rakete auf Guam?

Das könnte Kim zu irgendeine­m verwegenen Unterfange­n verleiten – vielleicht eine Rakete auf Guam abzufeuern – was die USA in die Situation versetzen würde, entspreche­nd reagieren zu müssen.

Eine Katastroph­e wäre die Folge – nicht nur für die Koreaner, die an Kims heilige Mission glauben, sondern vor allem für Millionen von Koreaner, die nur gut 50 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt leben und die mit dem Kult um Kim nicht das Geringste zu tun haben.

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