Bekenntnisse einer Naiven: Was man sich doch wünschen darf
Keine Wiederholung der schwarz-blauen Fehler von 2000–2006, keine Sündenbockpolitik und Panikmache sowie eine „mächtige“Opposition zu Kurz und Strache.
Das sogenannte Günstigkeitsprinzip verlangt die bestmögliche Beurteilung bestimmter Situationen. Also haben die beiden Wahlsieger vom 15. Oktober, Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, ebenso ein Anrecht darauf wie Christian Kern auf dem Weg in die Opposition und Matthias Strolz beim Verbleib ebendort.
Wenn man aber den „Im Zweifel für“-Grundsatz auf die laufenden schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen und die zu erwartende Regierung aus ÖVP und FPÖ anwendet, dann ergibt sich zwangsläufig eine (Wunsch-)Liste, der man Naivität vorwerfen kann – vor allem, weil für unbefangene TV-Zuseher beim gemeinsamen Auftritt Kurz/ Strache nach der ersten formellen Verhandlungsrunde in 30 Minuten nicht ersichtlich war, wer hier eigentlich der Chef ist.
Wie auch immer. „Benefit of the doubt“nennen es die Angelsachsen – dementsprechend sieht der Fragenkatalog aus.
1. Ist es naiv, sich über die Zusammensetzung der ÖVP-Gruppe für die Verhandlungen mit der FPÖ zu wundern? Eigentlich hätte man eine bessere Mischung aus Kurz-Entourage und erfahrenen Verhandlern erwartet. Wenigstens ein Mitglied mit profunder Sachkenntnis in allen Bereichen und ausreichender Verhandlungspraxis hätte dabei sein müssen.
2. Ist es naiv zu erwarten, dass weder ÖVP noch FPÖ die Fehler der Jahre 2000 bis 2006 wiederholt? Für Kurz hieße das, jede Art von Hybris zu vermeiden und jeden Impuls in der ÖVP a` la „Rote Gfrießer“zu unterdrücken. Für die FPÖ würde es bedeuten, nicht wieder in die Begehrlichkeitsfalle zu tappen. Noch gut in Erinnerung ist die Erzählung der ehemaligen Vizekanzlerin Susanne Riess, welche Mühe sie hatte, den Ansturm der eigenen FPÖ-Leute zu den Trögen der Macht mit dem Hinweis „Dafür sind wir nicht gewählt worden“einzudämmen. Der Widerstand gegen die Begehrlichkeit der Blauen dürfte auch mit ein Grund für ihren Sturz gewesen sein.
3. Ist es naiv zu hoffen, dass es ab jetzt nur mehr um eine positive Erzählung über Österreich geht, ÖVP und FPÖ alles Destruktive des Wahlkampfs vergessen machen? Der Weg durchs Jammertal (mit ÖVP-Begleitung), wie er von Kurz und Strache bis zum 15. Oktober beschrieben worden ist, sollte zu Ende sein.
4. Ist es einfältig zu hoffen, dass die SPÖ und Christian Kern Opposition können werden? Oder dass Matthias Strolz von den Neos auf alle Fälle der Versuchung widerstehen wird, sich als Bildungsminister von Schwarz-Blau vereinnahmen zu lassen, und zusammen mit der SPÖ einen konstruktiven, kontrollierenden Zugang zum Wechselspiel der Kräfte findet? Für die Festigung der Demokratie in Österreich ist es unerlässlich. Das wäre ein guter Dienst an der Zukunft des Landes.
5. Ist der Wunsch, die neue Regierung möge als erste ihrer Handlungen die Legislaturperiode wieder auf vier Jahre verkürzen, unrealistisch? Der Fünf-JahresPlan von 2006 hat sich nun schon zwei Mal als Augenauswischerei herausgestellt.
Ist es illusorisch, wenigstens eine eingehende Diskussion über eine Änderung des Wahlrechts zu fordern? Immerhin hat Kurz beim Parteitag zur Kür von Reinhold Mitterlehner 2014 einen Vorschlag präsentiert. Er wird sich sicher daran erinnern. Die Abstimmungsniederlage von damals könnte er nach Übernahme der Partei ja wettmachen.
6. Ist es in der österreichischen politischen Realität lebensfremd zu verlangen, dass weder die Liebe von Kurz zur Sündenbockpolitik noch jene der FPÖ in das Verhandlungsergebnis Eingang findet? Der Vorurteile sind genug bedient (im Wahlkampf ), nun lasst uns endlich sachliche Lösungen sehen. Miese Behandlung aller Nichtösterreicher, Mangel an jeglicher Empathie gehören nicht dazu.
7. Ist es so abwegig, endlich wissen zu wollen, von welchen Veränderungen konkret hier ständig gefaselt wird?
Wie angenehm wäre es, sich nicht den Vorwurf der Naivität einzuhandeln.