„Gutes Sterben“hängt vom sozialen Umfeld ab
Heimische Forscher untersuchen die Sichtweise von Betroffenen zum Thema Sterben, Tod und Trauer. Am Lebensende wird für viele das Sorge-Netzwerk am wichtigsten. Und das Schöne rückt in den Vordergrund.
Heute ist so ein schöner Tag, da kann man gar nicht sterben.“Das ist eine der Aussagen, die das Team um Katharina Heimerl der Uni Klagenfurt im aktuellen Projekt über „Gutes Sterben“eingefangen hat. „Wir wollen die Perspektive der Betroffenen analysieren. Für sie ist Sterben, Tod und Trauer nichts Alltägliches“, sagt Heimerl. In Österreich gibt es seit einiger Zeit einen lebendigen Diskurs zu dem Themenbereich, zuletzt etwa 2015 bei der Parlamentarischen Enquete über Sterben in Würde. „Doch dabei steht meist die Perspektive der Professionellen im Vordergrund.“Also jener Menschen, die in Hospiz- und Palliativeinrichtungen, in Pflegeheimen oder Krankenhäusern arbeiten und für die das Sterben etwas Alltägliches ist.
Das vom Jubiläumsfonds der Nationalbank geförderte Projekt aber soll zeigen, wie die Sterbewelten der Betroffenen aussehen. Das können Menschen sein, die selbst eine unheilbare Krankheit im fortgeschrittenen Stadium haben, oder hochbetagte Menschen, die todesnah sind, genauso wie Leute, die sterbende Menschen begleitet haben. Die Forscher zogen heuer aus, um in Tirol, Kärnten und Wien – in dörflichen Gemeinden und in Städten – Betroffene in qualitativen, langen Interviews über ihre Erfahrungen und Ansichten zu befragen, was „Gutes Sterben“ausmacht.
Genussvoll in den Tag
Von 30 Gesprächen, die jeweils ein bis zwei Stunden dauern, ist erst ein Bruchteil ausgewertet, doch einige Hauptaussagen wurden dabei schon sichtbar. Etwa was die Menschen als schön empfinden, wenn der Tod nahekommt. „Viele sagen, dass Genussvolles am Lebensende an Bedeutung gewinnt“, betont Heimerl. Die Betroffenen genießen zum Beispiel die Natur, den Früh- ling oder einfach „wie schön es zu Hause sein kann.“Der oben genannte Satz, dass der Tag zu schön sei, um zu sterben, fällt in diese Kategorie, dass rund um den Tod das Schöne an Wert gewinnt.
„Die Hauptaussage ist aber, dass soziale Beziehungen und das Sorge-Netzwerk die Sterbewelt am stärksten prägen“, sagt Heimerl. Während im gesellschaftlichen Diskurs eher Sterbeorte im Vordergrund stehen, also ob man lieber im Heim, Krankenhaus oder zu Hause sterben möchte, hat für die vom Sterben Betroffenen das Soziale die meiste Bedeutung. „Wir haben zum Beispiel Geschichten gehört über die Wiederannäherung an die Familie.“Oder über das Zusammenrücken der Nachbarn, die oft als Erstes erfahren, wer todkrank ist und für tägliche Gespräche bereitstehen bzw. zum Trösten kommen, wenn jemand gestorben ist.
Soziale Beziehungen festigen
„Auch über religiöse Begleitung sprechen die Menschen gern. Sogar Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, suchen das Gespräch mit dem Pfarrer, der ihnen versichert, dass er sie begraben wird“, sagt Heimerl. Es sind also die sozialen Beziehungen, die am Lebensende so wichtig werden.
„Manche Interviewpartner wollten bei der Studie mitmachen, um ihre normativen Vorstellungen zu betonen“, sagt Heimerl. Sie wollten also vermitteln, was sie für das Gute und das Richtige halten. So sprach ein Mann davon, dass man lernen müsse, allein mit den Schmerzen zurechtzukommen. Andere betonen, dass Dankbarkeit am Lebensende das Wichtigste sei. „Wir wollten aber nicht nur untersuchen, was die Menschen für gut halten, sondern auch aus ihren Er- fahrungen und Gefühlen verstehen, was eine Sterbewelt ausmacht“, so Heimerl.
Freilich hörten sie oft den Satz „Sterben ist nie schön“. Vor allem für die Hinterbliebenen ist es schwierig, sich allein gelassen zu fühlen. „Doch in den Gesprächen erfahren wir, wie die Menschen es schaffen, in diese nicht alltägliche Situation so etwas wie Normalität zu bringen“, sagt die Forscherin.
Der Alltag hat für viele etwas Beruhigendes, geregelte Abläufe helfen den Betroffenen. Eine Kategorie der Analyse hebt auch die Gegenstände hervor, die für Menschen in ihrer Sterbewelt wichtig werden. Das kann die Schmerztablette sein oder das Weihwasser. „Eine Frau erzählte uns von einem Kleiderbügel, an den sie jeden Abend ihre Sorgen hängt.“
Der Tod und Machtverhältnisse
Das Projekt läuft bis Sommer 2018 und soll nach weiteren Interviews und Gruppendiskussionen zeigen, durch welche Machtverhältnisse das gesellschaftliche Denken über Sterben, Tod und Trauer in Österreich geprägt ist. „Ein Manko hat unsere Studie: Bei solchen Befragungen machen eher Menschen mit, die gut gebildet und von sich aus bereit sind, mit Forschern zu reden“, sagt Heimerl. So konnte das Team diesmal nur Menschen ohne Migrationshintergrund vor das Mikrofon bekommen. Weitere Forschungen sollen in Zukunft auch die Perspektive der Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich erkunden.