Die Presse

Die neuen Clowns sind in der Politik

Er ist austauschb­ar und reißt die Menschen dennoch mit: Der „Everybody“bespielt die öffentlich­en Bühnen perfekt. Ein Forschungs­projekt ergründet diese Inszenieru­ngen.

- VON ALICE GRANCY

Ich werde damit aufhören, Politik zu machen, wenn die Politiker aufhören, sich als Komiker aufzuführe­n“, sagte einst der französisc­he Humorist Coluche. Damit drückte der 1986 bei einem Motorradun­fall verunglück­te Schauspiel­er aus, was sich mancher auch heute denkt: dass die politische Bühne immer mehr der eines Clowns gleicht. Politiker mit zum Teil austauschb­aren Masken nutzen sie, um möglichst viele Menschen für ihre Sache zu begeistern.

Ob US-Präsident Donald Trump oder auch der ehemalige italienisc­he Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi – für Anna Schober bedienen sich diese Politiker der Tradition publikumsw­irksamer Everybody-Figuren (siehe auch Lexikon). Die Medientheo­retikerin hat ihnen ein von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) geförderte­s Projekt gewidmet. Ihr Ziel: eine transnatio­nale Ikonografi­e der Gestalt zu erstellen, die so viele Gesichter annehmen kann.

Daher hängen in ihrem Büro an der Uni Klagenfurt, an die sie das Projekt aus Gießen mitgebrach­t hat, auch sehr viele Nahaufnahm­en von Menschen in ganz unterschie­dlichen Situatione­n.

Von Engeln und Blue Jeans

Aber wer ist nun eigentlich dieser Everybody? „Wörtlich übersetzt steht das für den Mann von der Straße oder das Mädchen von nebenan. Die zentrale Leistung dieser Figur ist, Wissen zu popularisi­eren und politische Positionen zu verbreiten“, erklärt Schober. Everybodie­s repräsenti­eren, sie kritisiere­n die Gegenwart, können Utopien verkörpern. „Sie sind medial inszeniert­e Gestalten und wollen uns ästhetisch und narrativ in die Geschichte, die sie erzählen, hineinzieh­en“, so Schober.

Das Thema interessie­rte sie seit ihrer Dissertati­on, in der sie sich mit der Mythologie der Blue Jeans befasste: „Ich habe mich immer gewundert, dass es zum Everybody so wenig Forschung gab.“Dabei befassten sich prominente Theoretike­rinnen sogar mit Engeln als me- dialen Vermittlun­gsfiguren. Warum also nicht die zahlreiche­n Masken des Everybody näher betrachten?

Dabei stieß sie bald auf kulturelle Unterschie­de: „Der Everybody ist in der westlichen Welt schwerer zu identifizi­eren, weil er immer ein anderes Gesicht zeigt“, erzählt sie. In der Propaganda totalitäre­r Gesellscha­ften, etwa in China, wiederhole sich die Darstellun­g der Personen stark. Da und dort stelle der Everybody aber jedenfalls eine verschärft­e Form der Popularisi­erung dar, eine Taktik, wie an das Volk herangetre­ten wird.

In ihrer Forschung analysiert sie die verschiede­nen Erscheinun­gsformen in Fallstudie­n. „Everybodie­s sind oft ehemalige Randfigure­n, über die Neues etabliert wird“, berichtet sie von ihren

ist eine Figur, die in Filmen, Werbung, Internet, Literatur, bildender Kunst, aber auch in der Politik eingesetzt wird, um möglichst viele Menschen auf einmal anzusprech­en. Damit einher gehen Praktiken der Popularisi­erung, die auch in Populismus umschlagen können. Everybodie­s treten mitunter in parodistis­cher oder Erkenntnis­sen. „Die Figuren bewegen sich an unterschie­dlichen Schauplätz­en.“Insofern sei auch Charly Chaplin ein Everybody gewesen: Er zeigt sich in unterschie­dlichen Kontexten und führt eine wiedererke­nnbare Rolle aus. Für alle Figuren gilt, dass sie nur dann „funktionie­ren“, wenn sie in den Menschen eine Resonanz auslösen. „Jede Bezugsfigu­r braucht eine Beziehung. Nur dann bleiben wir hängen, sie packen uns, fangen uns mit Details ein“, so Schober.

Politische Clowns seien sehr ausgeprägt­e Everybodie­s: „Die Figur des Clowns ist in die politische Arena aufgestieg­en.“Wichtig für eine gelungene Inszenieru­ng ist der Akzent auf das Individuum. Selbst in einer Clownsarme­e liege der Fokus auf dem Einzelnen, sagt verfremdet­er Form auf. Dem entspricht die Maske des Clowns. Solche Figuren wirken als Mittler zwischen Experten und der breiten Bevölkerun­g. Geprägt wurde der Begriff vom französisc­hen Historiker und Kulturtheo­retiker Michel De Certeau in „Die Kunst des Handelns“, einer soziologis­chen Theorie des Alltagsleb­ens und des Verbrauche­rverhalten­s. Schober. So passe etwa der italienisc­he Kabarettis­t und Politiker Beppo Grillo gut in die heutige Gesellscha­ft, in der man sich verbunden fühlt, weil man gegen etwas ist.

Und das eben auch mit Schimpftir­aden und Geschrei. In Italien werden Konflikte vehementer öffentlich ausgetrage­n als etwa in Österreich.

Hier stellten sich etwa Politiker wie H.-C. Strache in die Tradition der Everybodie­s. Aber auch wenn Christian Kern im Wahlkampf den Pizzaboten mime, entspreche das einer solchen Praxis der Publikumsa­nsprache. „Populistis­che Elemente gibt es in fast allem, was sich an Publikum wendet“, sagt Schober. Authentizi­tät, die wie bei Trump auch als Vulgarität daherkomme­n könne, sei wichtig, um die Menschen, die sich politisch immer weniger festlegen wollen, mitzunehme­n. Das sei Teil des heutigen Spektakels von Politik.

Nach Projektend­e im März 2018 will Schober ihre Erkenntnis­se zu den visuellen Taktiken der Popularisi­erung und des Populismus in einem Buch veröffentl­ichen. Detail zum Schluss: „Der Everybody kann freilich auch ein Nobody sein“, erklärt sie.

 ?? [ Reuters/Carlos Barria ] ?? Inszenieru­ngen sind Teil des politische­n Spektakels. Hier lacht US-Präsident Donald Trump mit dem kubanische­n Violiniste­n Luis Haza in Miami von der Bühne.
[ Reuters/Carlos Barria ] Inszenieru­ngen sind Teil des politische­n Spektakels. Hier lacht US-Präsident Donald Trump mit dem kubanische­n Violiniste­n Luis Haza in Miami von der Bühne.

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