Papyri beweisen: Vor Gericht wird inszeniert
Gerichtsprotokolle aus dem römischen Ägypten zeigen, dass es dort vor Gericht um viel mehr ging als um den konkreten Fall. Häufig wurde manipuliert, um das römische Rechtssystem zu stärken.
Spektakuläre Fälle gibt es in den Prozessakten aus dem römischen Ägypten zuhauf: Eine Causa handelt davon, dass Fiskalbeamte versuchten, nach dem Mord an einem römischen Soldaten Aufschluss über dessen Vermögen zu bekommen. Der Soldat hatte entgegen des Heiratsverbots eine illegitime Lebensgefährtin, die nach seinem Tod sein Vermögen versteckt hatte. Sie wollte keine Steuern zahlen und nicht mit anderen Erben teilen. Also stritten die Erben, gefälschte Urkunden kamen ans Licht. Das Gericht hatte zu entscheiden.
Für die Rechtshistorikerin Anna Dolganov zeigt dieser spannende Fall, dass mit dem Entziffern der Prozessprotokolle immer auch ein Stück Detektivarbeit verbunden ist. „Es geht nicht nur um die Lösung des Konfliktes, sondern oft auch um die Inszenierung eines Schauprozesses, der die Effizienz der römischen Justiz beweisen soll“, erklärt die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätige Forscherin. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt unter- sucht sie anhand von Gerichtsprotokollen auf Papyrus Rechtspraxis, römische Prozessführung und die Arbeit der Gerichtshöfe.
Karriere manipulativ fördern
Vor römischen Gerichten standen beiden Parteien rechtskundige Vertreter zu. Wenn sich jemand keinen Anwalt leisten konnte, wurde dieser gestellt. „Trotzdem hatten unwichtige Personen weniger Rechte als wichtige“, so Dolganov. Das zeige sich auch in einem Prozesstext über die Klage „eines frechen Freigelassenen gegen einen wohlhabenden Mann“. Sie werde zum Lehrstück für die Einhaltung der Hierarchie und zeige, dass die Akteure Elitendiskurse führten, die mit den Streitparteien nichts zu tun hatten. Auch in aussichtslosen Fällen wurden vor Gericht alle möglichen Argumente mobilisiert, um „manipulativ die eigene Karriere zu fördern“.
Die Protokolle der Gerichtsverhandlungen wurden in den römischen Provinzen sorgfältig archiviert. Gelegentlich sind Anmerkungen der Archivare in roter Tinte zu erkennen, erklärt Dolganov am Beispiel eines Verhörprotokolls über einen anderen Erbschafts- streit, das in der Wiener Papyrussammlung zu finden ist. Ein Mann hatte sein Vermögen seinem Cousin vererbt. Doch sein Vater erhob ebenfalls Anspruch darauf. Der Anwalt argumentierte, dass das Vermögen eines unverheirateten Mannes automatisch dessen Vater gehöre, solange der lebe. Der Gegenanwalt widersprach, weil nach ägyptischem Recht der Erblasser den Erben festlegen dürfe. Hier stand das römische Recht vor dem Problem, die einheimischen Sitten und Traditionen richtig zu interpretieren. Dafür wurde ein lokaler Rechtsexperte hinzugezogen.
Fallsammlungen von solchen Urkunden waren den Anwälten zugänglich, die damit vor Gericht argumentieren konnten. Richter konnten auf dieser Grundlage entscheiden. Diese Fallsammlungen gingen zum Teil 150 Jahre zurück, beispielsweise bei einheimischem ägyptischen Testamentarrecht.
„Überraschend fand ich, wie fortgeschritten die Urkundenkultur war. Bisher galt alles, was prämodern war, als nicht wirklich organisiert. Doch die Papyri waren besser archiviert als die Gerichtsunterlagen des Mittelalters“, sagt Dolganov. Sie kann auch rekonstruieren, wie die Akten auf verschiedenen behördlichen Ebenen deponiert wurden. Der Statthalter in Alexandrien verfügte theoretisch über Kopien von allen Rechtsurkunden aus der ganzen Provinz.
Wohlhabende wohl privilegiert
Welche Fälle jedoch kopiert und in die Sammlungen aufgenommen wurden, richtete sich teilweise danach, „ob sie in die Ideologie passten. Es kommen immer wieder Fälle vor, die in öffentlichen Gerichtsverhandlungen inszeniert wurden und Teil der römischen Herrschaftspraxis waren“, berichtet die Expertin für römische Rechtsgeschichte.
Es liegt auf der Hand, dass die wohlhabende Bevölkerung vor Gericht privilegiert war. Wie sehr sie das ausnutzte, zeigt sich etwa an Prozessakten über eine Petition, in der Priester für ihre Privilegien kämpften. Bisweilen hatten die römischen Behörden Schwierigkeiten zu überprüfen, ob die vorgelegten Urkunden, die Privilegien begründen sollten, nicht gefälscht waren.
„Wir haben Parallelbeispiele aus normannischer Zeit, die zeigen, dass Klöster Urkunden manipulierten, um sich Besitz anzueignen“, berichtet Dolganov.
(und mehr) von Prozessen in Ägypten als römischer Provinz sind auf kaiserzeitlichem Papyrus aus den ersten bis ins sechste Jahrhundert nach Christus erhalten. Viele unveröffentlichte liegen noch in der Österreichischen Nationalbibliothek, andere in Oxford, London, Florenz und Berlin.
reichten einzelne Fallsammlungen zurück, auf die Anwälte im alten Rom und Ägypten zurückgreifen konnten.