Die Presse

In Archiven lagern Stoffe, die Geschichte­n erzählen

Kulturgesc­hichte. In der Papyrussam­mlung der Nationalbi­bliothek finden sich auch Textilien aus ägyptische­n Gräbern, die ungelöste Fragen aufwerfen. Durch die Übersetzun­g von Papyri aus dem Griechisch­en wird etwa erkundet, was bei Leinen und Wolle als Qual

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„Schau, ich habe deiner ruhmreiche­n Brüderlich­keit bereits wegen der Kleider geschriebe­n, aber du hast nichts geschickt. Bitte, schicke mir sofort die bestellte Kleidung. Du kannst sie dem Briefboten mitgeben. Damit ich nicht zu Dir kommen muss, denn ich habe sonst keine andere Arbeit dort zu erledigen“, schrieb ein Ägypter im 6. oder 7. Jahrhunder­t auf Griechisch an seinen Schneider namens Stephanus.

Die griechisch­e Papyrologi­n, Philologin und Sprachwiss­enschaftle­rin Aikaterini Koroli von der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) führt diesen Brief als ein Beispiel von vielen Texten an, die nähere Informatio­nen über die Alltagskul­tur im antiken Ägypten geben.

Für sie ist besonders interessan­t, dass der Schreiber des Briefes versucht, „die Balance zwischen der gebotenen Höflichkei­t und dem erforderli­chen Druck zu wahren, nicht unhöflich oder frech zu sein, aber trotzdem sein Ziel zu erreichen. Viele dieser Briefe zeigen diese Kunst. Sie spiegeln genau die Gefühle der Schreiber wieder. Wir können sie zwischen den Zeilen lesen“, erklärt Koroli.

Textilien und ihre Texte

In der Papyrussam­mlung der Nationalbi­bliothek sind 350 spätantike Textilien vorhanden, die die Textilhist­orikerin Ines Bogensperg­er vor allem materialor­ientiert untersucht. Sie regte 2017 das vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte Projekt in Zusammenar­beit mit dem Institut für Kulturgesc­hichte der Antike der ÖAW über die Textilprod­uktion in Ägypten zwischen 300 und 800 nach Christi Geburt an.

Bisher stellte sich heraus, dass in den Texten sehr unterschie­dliche Termini für Materialie­n und Macharten, Farben und Verzierung­en benutzt werden. So lassen sich aus antiken Briefen Rückschlüs­se beispielsw­eise auf Qualitätsk­riterien ziehen. „Bekanntest­es Qualitätsk­riterium ist die Fadenanzah­l pro Zentimeter. Je mehr Fäden, desto feiner gewebt. Doch wir wollen wissen, ob dies auch im antiken Ägypten galt“, so Bogensperg­er. Sie analysiert die Textilien unter verschiede­nen Aspekten. Material wie Leinen, Wolle, Baumwolle, dazu auch Garn oder Zwirn, die Spinnricht­ung, die Fadenanzah­l und die Fadenstärk­e, der Drehwinkel, die Webtechnik und die Funktion werden bestimmt.

Flachsanba­u und Schafzucht

Das Textilgewe­rbe war im antiken Ägypten ein hoch spezialisi­erter Wirtschaft­szweig. Flachsanba­u und Schafzucht, Spinnen des Garns, Weben und Färben des Stoffes und Nähen der Kleidung waren Tätigkeite­n, die sehr profession­ell und häufig auch sehr kunstvoll betrieben wurden.

Profession­elle Werkstätte­n wurden sowohl von Männern als auch von Frauen geführt. Aus deren Korrespond­enz und Ausbildung­sverträgen geht hervor, dass Mädchen, Buben und auch Sklaven mit circa 14 Jahren eine fünf- jährige Ausbildung in diesen Werkstätte­n begannen. In der Papyrussam­mlung findet sich auch ein Übungsstüc­k eines Lehrlings. In einem Mietvertra­g für eine Werkstatt verlangte der Eigentümer der Räume zehn Leinengewe­be als Miete. Kleidung wurde sehr hoch geschätzt und sehr lange getragen.

Das ist auch an einer grünen Tunika aus Wolle zu sehen, die in der Papyrussam­mlung liegt (siehe Bild). Ursprüngli­ch sehr hochwertig gearbeitet mit Wirkereien, Fliegendem Faden für die Zierstücke und Fransen an den Enden wurde sie lange getragen und dann zum Tuch umfunktion­iert. „Am Original sieht man die Flicken und vielen Stopfarbei­ten von mehreren Händen“, erklärt Bogensperg­er.

In einer langen Bestelllis­te werden Mengen und Maßangaben genannt und sehr spezifisch­e Angaben zur Qualität und Funktion der bestellten Kleidung gemacht. Quittungen und Formulare zeigen, wie gezielt die Produkte geordert wurden. (msb)

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[ ÖNB ] Kleidung wurde lang getragen, geflickt und auch wiederverw­ertet.

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