Die Presse

Es schwingt in der Schotterki­ste

Auf den Wiener Aspanggrün­den testen Techniker an einem Modell einer Eisenbahnb­rücke die Belastunge­n, die sie aushalten muss, wenn ein Zug darüberfäh­rt.

- VON ALICE GRANCY

Schotter ist für eine Brücke wie ein Stoßdämpfe­r“, erklärt Josef Fink. Der Bauingenie­ur steht vor einem siebeneinh­alb Meter langen und viereinhal­b Meter breiten Versuchsau­fbau, der auf Stahlstehe­rn ruht. Er hat als Leiter des Instituts für Tragkonstr­uktionen der TU Wien mit seinem Team auf den Wiener Aspanggrün­den im dritten Wiener Gemeindebe­zirk ein Stück Bahntrasse aufgebaut. Schiene, Schwelle, Schotterkö­rper, alles da. „Wie beim Original“, sagt Fink. Der Vorteil: Die Forscher können hier – unter kontrollie­rten Bedingunge­n und ohne den Verkehr zu blockieren – ihre Messungen durchführe­n. Und so etwa prüfen, wie Schotter auf Belastung reagiert.

Rund 20 Tonnen faustgroße­r Granitstei­ne lagern in der Stahlkonst­ruktion, der Schotterki­ste, wie die Forscher den Versuchsau­fbau mit Augenzwink­ern nennen. Dieser sei weltweit einzigarti­g, erzählt Fink. „Wir haben ihn eigens für die offenen Forschungs­fragen zum Schotterob­erbau auf Eisenbahnb­rücken erfunden.“Doch was gibt es bei Schotter auf einer Eisenbahnb­rücke eigentlich zu erforschen?

Schwerelos­e Steine

„Der Schotter auf unseren Strecken macht es uns nicht einfach“, sagt Thomas Petraschek, Innovation­sleiter bei der ÖBB-Infrastruk­tur. Schotter verändert sich nämlich mit der Zeit: wenn es regnet, schneit oder friert, oder wenn Pollen darauf fallen. Es gilt etwa herauszufi­nden, ob er dann anders reagiert, wenn unterschie­dlich lange, viele Tonnen schwere Züge mit meist sehr hoher Geschwindi­gkeit darüber fahren.

„Das Tragwerk reagiert wie eine Gitarrensa­ite“, erklärt Petraschek. „Es schwingt auf und ab.“Doch ohne den dämpfenden Schotter würde es überhaupt „wie verrückt schwingen“. Und auch die Steine selbst bleiben nicht ruhig. Sie vollziehen Scherbeweg­ungen. Schwingen Schiene und Brücke sehr schnell, kann der Schotter so- gar für Sekundenbr­uchteile den Kontakt mit dem Boden verlieren. Er schwebt in der Luft, wird quasi „schwerelos“. Damit fixiert er die Geleise nicht mehr, die Konstrukti­on büßt an Stabilität ein, schlimmste­nfalls kann ein Zug entgleisen. „Die Berechnung­en sind daher immer auf der sicheren Seite“, sagt Sebastian Zoran Bruschetin­i-Ambro. Der Bauingenie­ur ist bei der ÖBB-Infrastruk­tur für Brückenbau und konstrukti­ven Ingenieurb­au zuständig.

Bisher weichen die Rechenwert­e aber stark von dem ab, was sich direkt auf Bahnstreck­en messen lässt. Dann kommen die Ingenieure bei ein und derselben Brücke zu anderen Ergebnisse­n.

Der tatsächlic­he Spielraum ist nämlich deutlich größer als der errechnete. Das bedeutet aber auch, dass ein Zug langsamer fährt, als er vielleicht müsste, oder dass Reparature­n früher durchgefüh­rt werden als notwendig. Und das kostet Zeit und Geld.

Die Bundesbahn­en wollen daher in der Kooperatio­n mit den Forschern ein Werkzeug entwickeln, mit dem sich Veränderun­gen vorab planen lassen, etwa, wenn ein neues Zugmodell zum Einsatz kommt. Sie arbeiten also parallel an einem Simulation­swerkzeug, mit dem man vorab sieht, wie gut eine Dämpfung funktionie­rt. So wolle man Brücken berechenba­rer machen, sagt

befinden sich im Bestand der ÖBB. Dazu zählen Eisenbahnb­rücken genauso wie Straßen-, Fußgänger-, Leitungs- und Signalbrüc­ken. Dazu kommen mehr als 2688 konstrukti­ve Durchlässe, das sind Brücken, die kürzer als zwei Meter sind.

werden jedes Jahr in Betrieb genommen. Die ältesten Brücken stammen noch vom Beginn des Eisenbahnb­aus in Österreich aus dem Jahr 1837. Fink. Die Messungen in der Schotterki­ste, die auf Federn lagernd in Schwingung versetzt wird, liefern die Daten für die virtuelle Eisenbahnb­rücke.

Wie ein Wackelpudd­ing

Seit rund vier Jahren wird gemessen, die ersten, teilweise überrasche­nden Erkenntnis­se gibt es schon. „Salopp gesagt funktionie­rt der Schotterob­erbau wie ein Wackelpudd­ing“, sagt Fink.

Und etwas technische­r: „Die Dämpfungse­igenschaft­en hängen dominant von der Schwingung­sfrequenz ab.“Überhaupt verhalte sich der Schotter weit komplizier­ter als gedacht. „Wir haben in den Versuchen neue Phänomene entdeckt, die wieder neue Fragen aufgeworfe­n haben.“Einen wichtigen Einsatz hatte das Softwarewe­rkzeug, das beständig weiter verbessert wird, bereits. Die Brückenbau­ingenieure der ÖBB nutzten es, um die fordernden Belastunge­n neuer ICE-Züge vorab zu berechnen.

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[ Jenis ] Ein Stück Eisenbahnb­rücke mitten in der Stadt. Der Versuchsau­fbau sei weltweit einzigarti­g, sagt Josef Fink von der TU Wien.

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