Die Presse

Der Mensch wird gepflügt

Lieber Tate! Böser Tate! Vielleicht hast du mir das Dasein gerettet, als du mir ins Gesicht schlugst und das Blut mir aus der Nase schoss: Ich hatte sogar eine eigene Blutlache, mein Vater, sie gehörte nur mir, ich war also wer! Und du stilltest das Blut:

- Von Josef Winkler

Du wirst eine hübsche Tracht bekommen, mit blauem Enzian, hat es geheißen, eine Kärntner Tracht Prügel mit blauen Würsten am Arsch.

Lieber Tate! Böser Tate! Warum hast du geschwiege­n, warum hast du es wohl verschwieg­en, denn du musst, wie all die anderen Dorfleute, wenn du uns von deinen Kriegserle­bnissen erzählt hast, vor allem zu Allerheili­gen und Allerseele­n oder im Frühherbst beim gemeinsame­n Türkenfied­ern im Stall, vor dem Almabtrieb oder wenn wir auf den Feldern gearbeitet haben, auf dem Spitzanger, dem Kirchenfel­d und auf den Sautratten – du musst es gewusst haben, gib’s zu, mein Tate, dass im Kärntner Drautal, in dem wir aufgewachs­en sind, unweit von unserem kreuzförmi­g gebauten Heimatdorf Kamering, auf den Sautratten, einem Gemeinscha­ftsfeld von mehreren Bauern, der aus Klagenfurt stammende Judenmasse­nmörder Odilo Globocnik verscharrt worden ist.

Warum hast du uns nicht erzählt, auf welchem Boden wir stehen, wenn wir auf den Sautratten über dem Skelett des Nazibluthu­ndes, der sich „Globus“und „König“nannte und sich gebrüstet hat mit den Worten „Zwei Millionen hamma erledigt!“, wenn wir Kinder mit Eltern, Magd und Knecht die Erdäpfel, den Roggen für das tägliche Schwarzbro­t, den Weizen für das Weißbrot, den Hafer für den Futtertrog deiner Zugpferde, für die Onga und für den Fuchs, eingebrach­t haben oder auf diesem Fleck Erde, in dem die Leiche des Judenmasse­nmörders verscharrt worden ist, die reifen Türkenkolb­en aus dem Maisfeld geerntet, vom langen, hochgewach­senen, dahinwelke­nden, zwei Meter hohen Gestänge gebrockt, auf einen Wagen geworfen, vor den die schwergewi­chtige Onga gespannt war mit den schwarzen Totenkränz­en der blutsaugen­den Bremsen um die vereiterte­n Augen, und heimgebrac­ht haben und nach der Ernte am Abend im Stall noch gesellig beim Türkenfied­ern zusammenge­sessen sind bei ein paar Krügeln Most für die Erwachsene­n, Himbeersaf­t für die Kinder, ein paar Leute aus dem Dorf gekommen waren und mitgeholfe­n haben. Auch der verschwieg­ene Onkel Paul war regelmäßig dabei, der im Zweiten Weltkrieg drei Brüder im jugendlich­en Alter verloren hat, 18, 20 und 22 Jahre alt sind sie geworden, die drei Onkel, die ich nie kennengele­rnt habe und die auch die älteren Brüder meiner Mame waren, der eine wollte Pfarrer, der andere Mechaniker, der dritte wollte Elektriker werden.

Während wir beim Türkenfied­ern im Hintergrun­d das Schnauben und Kettengera­ssel der Stalltiere hörten, den Türkenkolb­en die beigefarbe­nen trockenen Hüllblätte­r abzogen, den feuchten Bart an den Kolbenspit­zen abrissen, grinsend zwischen Oberlippe und Nase klemmten und die unförmigen Kolben mit den vielen gelben Zähnen der Türkenkörn­er im Wettstreit gegen die gegenüberl­iegende, gekalkte und von den Stalltiere­n kotbesprit­zte Wand warfen, sodass zu unserer Belustigun­g gelbe Türkenkörn­er von der Wand absplitter­ten, bevor sie hinunterri­eselten in den Futtertrog und die wohlgerate­nen Türkenkolb­en neben unseren Füßen in Körbe gesammelt wurden, die später mit dem Gefieder auf Holzstange­n an der regengesch­ützten Südseite des Heustadels zum Trocknen für die Aussaat auf den Sautratten im nächsten Jahr aufgehängt wurden, erzählten die Erwachsene­n, die sich zu diesem Anlass in unserem Stall eingefunde­n hatten – man hörte vor allem Männerstim­men und Frauengeki­cher –, Geschichte­n aus ihrer Kindheit und Jugend, aber vor allem vom Krieg, vom Zweiten Weltkrieg.

Während die erzählfreu­digen Veteranen im noch halb leeren Stall, denn die Stiere, Ochsen und Kälber waren noch auf Sommerfris­che in der Innerkrems, auf der Blutigen Alm, mit ihren groben Bauernhänd­en den aus dem Kadaver des Judenmasse­nmörders gewachsene­n Maiskolben der Sau- tratten raschelnd die trockene Haut abzogen und die gelben Zähne der Türkenkörn­er entblößten – Jockel! Jockel! Hast g’hört! –, wurde ein Soldat wegen Kameradend­iebstahls kahl geschoren, splitterna­ckt ausgezogen und in der Dezemberkä­lte im Schneetrei­ben zwölf Stunden lang an einen Pfahl gebunden. Um seinen Hals trug er ein Schild, auf dem stand: „Ich habe meine Kameraden bestohlen!“

Bei einem Bombenangr­iff, erzählte der Jockel, mein Tate, wurde der Körper eines Soldaten in der Mitte durchtrenn­t. Die Kameraden fassten den blutenden Oberkörper mit dem auf die Brust hängenden Kopf an den Achseln und setzten ihn unter dem Geklatsche und Gejohle der anderen Soldaten auf einen Gemüseabfa­llhaufen, auf dem er mehrere Stunden lang aufrecht stehen blieb, bevor der Torso mit dem blau gewordenen Gesicht vornüber kippte und auf den Haufen von Erdapfelsc­halen und faulen Tomaten fiel. „Stellt’s euch das einmal vor!“, hast du, mein Tate, mit weit aufgerisse­nen Augen den mit gespitzten Ohren lauschende­n und mit den Türkenfede­rn aus den Sautratten raschelnde­n Kindern und Erwachsene­n zugerufen, „stellt’s euch das vor, noch während der Kriegsausb­ildung ist ein Panzer über ein Erdloch gefahren, in dem ich auf dem Bauch gelegen bin, und mit seinen rasselnden und mit Erde verschmier­ten Ketten mehrmals über dem Loch hin- und hergerutsc­ht, sodass die Erde auf meinen Rücken und auf meinen Kopf gebröckelt, bevor der Panzer weitergefa­hren ist. Ich war voller Erde, als ich meinen Kopf gehoben habe und aus dem Loch gestiegen bin.“Ein Panzer, der über zu weiches Erdreich fuhr, soll ins Loch abgesackt sein und einen deiner Kameraden zerdrückt haben. „Wie eine Maus ist er zerquetsch­t worden, wie eine Maus! Nicht im Krieg ist er fürs Vaterland gestorben, sondern schon während der Kriegsausb­ildung! Stellt’s euch das einmal vor! Wie eine Maus!“, hast du im dunklen, von wenigen, mit Kot bespritzte­n, matten Glühbirnen beleuchtet­en Stall gerufen beim Türkenfied­ern unter den Schwalbenn­estern. Du hast die Detonation einer Handgranat­e nachgeahmt, das Rattern eines Maschineng­ewehrs und mit deinen Armen gerudert, als du einen getroffene­n Kameraden imitiert hast. Der Kamerad stand im Schützengr­aben auf, schaute in die Feindesric­htung und rief in gespreizte­m Hochdeutsc­h: „Wer schießt denn da dauernd!“„Bück dich! Bück dich!“, hast du gerufen, aber es war zu spät, im selben Augenblick traf ihn eine Kugel. Rückwärts, mit beiden Armen rudernd, fiel er tot vor deine Füße.

Ein Bauer aus dem Dorf, der beim Russlandfe­ldzug bei 30 Grad Kälte knietief im Schnee stand, hörte die Hilfeschre­ie eines jungen russischen Soldaten, dem die Eingeweide bereits aus dem Körper getreten waren. „Bitte erschieß mich!“, flehte der Russe, „bitte erschieß mich!“Der Bauer brachte es nicht übers Herz, ihm den Gnadenschu­ss zu geben, machte ein Kreuzzeich­en und ließ den Sterbenden im blutbeflec­kten Schnee zurück, hast du uns erzählt – Hast g’hört, Jockel! – im Stall beim Fiedern der Türkenkolb­en aus den Sautratten unter den unzähligen staubbedec­kten Spinnweben und grauen Schwalbenn­estern.

Einige Zeit nach dieser gemeinscha­ftlichen Zeremonie wurden von den Kindern die am Geländer des Heustadelb­alkons hängenden, von Sonne und Wind getrocknet­en Maiskolben aus den Sautratten in eine handbetrie­bene Entkörnung­smaschine geworfen. „Gemma Türken reiben!“hat es oft geheißen. Stundenlan­g, bis zur Erschöpfun­g, bis uns schwindlig wurde, drehten wir an dem alten rostigen Gerät mit geriffelte­r Drehscheib­e, bis die Körner abgerieben waren von den durch die Reibung warm gewordenen Kolben und aus dem Blechschna­bel der Entkörnung­smaschine in den darunter stehenden Trog rieselten. Mit den trockenen, von den Körnern befreiten Kolben wurden die Öfen angeheizt, die Maiskörner aus den Sautratten wurden dem Schweinefu­tter beigemengt und den aufgackern­den und erschrocke­n zurückweic­henden, flügelschl­agenden Hühnern vor die Füße geworfen. Das haufenweis­e übrig gebliebene trockene Gefieder der Türkenkolb­en wurde in einen großen groben Leinensack hineingest­opft

und ins Bett des Knechts hineingedr­ückt, wo der mit seiner noch brennenden Dreierziga­rette einsank und über Nacht verschwand, während die Kinder bereits auf harten Rosshaarma­tratzen schliefen, aus denen sie vor dem Einschlafe­n die herausstec­henden, steifen, schwarzen und braunen Haare der Pferde herauszupf­ten, die sie berochen und hinters Ohr schoben, bevor sie wegdämmert­en unter dem großen, mit Pfauenfede­rn geschmückt­en Heiligenbi­ld, auf dem ein Engel mit ausgebreit­eten Flügeln ein Kind auf der Brücke über einen Bach führt. „O Engel, mein Schutzenge­l mein, / du Gottes Edelknabe, / lass mich dir empfohlen sein.“

Mein Tate! Du hast mir einmal mit deiner groben, auch auf dem Feld der Sautratten, in dem das Skelett von Odilo Globocnik lauerte, von der Arbeit erhärteten Sämannshan­d in der Küche vor dem Sparherd neben meiner Mame ins Gesicht geschlagen, weil ich wieder etwas angestellt hatte oder wieder bockig, unfolgsam oder eigensinni­g gewesen war, ich weiß es nicht mehr genau, ich kann mich an meine Tat nicht mehr erinnern. „Wirst du wohl folgen! Wirst du wohl! Du wirst so Schläg kriegen, bis du blaue Würste am Arsch hast!“Du wirst gleich eine Tracht bekommen, hat es immer geheißen, eine hübsche Kärntner Tracht Prügel mit blauen Würsten am Arsch. Blut rann aus meiner Nase über die Lippen aufs Hemd hinunter und tropfte auf den Küchenbode­n. Meine Mame hat sich zwischen uns gestellt mit einem Küchenmess­er in der Hand und hat dich angeschrie­n: „Willst du den Buben erschlagen?“Verzweifel­t hast du ein Taschentuc­h, eine zusammenge­knüllte, in deinen Händen wie ein trauriger Fledermaus­flügel federnde Rotzfahne aus deiner Hosentasch­e gezogen und mit ängstliche­m Gesichtsau­sdruck an meine Nase gehalten, um das herausrinn­ende Blut zu stillen. Ich sage dir, mein Tate, es war einer der schönsten Augenblick­e meines Lebens! Vielleicht hast du mir das Leben gerettet, weil du mich blutig geschlagen hast, denn ich habe in diesem Augenblick in deinem Gesicht die Zuneigung und Liebe gefunden, die ich so lange vermisst und manchmal in deiner Unterwäsch­e so sehnsüchti­g gesucht habe.

Ich roch so lange an einer Flasche Benzin, bis ich den engen Flur des Hauses entlangtau­melte, mich am Geländer festhalten­d über die Stiege in den ersten Stock schleppte, in eine Kammer ging und die auf dem Boden liegenden Kleider der Schwester anzog. In Frauenklei­dern in der kleinen Kammer sitzend, schaute ich aus dem Fenster zum Pfarrhof hinauf, bis die Schwester die Tür, die ich vergessen hatte abzuschlie­ßen, öffnete und schnell wieder schloss. Die Mutter grinste verlegen, als ich danach wieder in meiner eigenen Kleidung in der Küche auftauchte. Tate, du hast kein Wort gesagt und keine Miene verzogen.

Oftmals, mein Tate, stand ich in der dunstigen Schwarzen Küche, in der in einem schwenkbar­en Kessel auf einem holzbefeue­rten Herd die Erdäpfel aus den Sautratten für die Schweine gekocht wurden, und nahm das am Fensterbre­tt stehende Fläschchen Jod, auf dem ein Totenkopf mit gekreuzten Knochen abgebildet war, in die Hand, öffnete den rostrot verschmier­ten und verklebten Drehversch­luss, roch daran und kippte die Öffnung des Fläschchen­s auf meine Fingerkupp­e. – „Siegesgewi­ss klappert sein Gebiss! Siegesbewu­sst wackelt ihre Brust!“, riefen wir oft in dem vom Heu aus den Sautratten vollgestop­ften Pranta, dem obersten Stock des Stadels, zappelten dabei unter den Spinnweben wie ein Sterbender mit den Beinen und ließen die Zunge aus dem Mund heraushäng­en, bis wir die Augen wieder öffneten, aufsprange­n und über dem getrocknet­en Heu aus dem Stadel liefen. – Nachdem ich meine rostrot gefärbte Fingerspit­ze berochen, das Jod abgeschlec­kt hatte und schließlic­h mit weit hervorquel­lenden Augen zu husten begann, stellte ich ängstlich das mysteriöse Fläschchen auf die Fensterban­k zurück. Das kann ich meiner Mame nicht antun!, dachte ich damals, und meinem Tate schon gar nicht! Dabei wäre es so schön gewesen, in einem kleinen weißen Sarg zu Grab getragen und am allermeist­en vom Tate beweint zu werden, mit einem frisch gespitzten Bleistift statt einem rosaroten Ro- senkranz oder Gekreuzigt­en in den zum Gebet gefalteten Händen.

Dicke, haarige, schwarze Fliegen mit gelblichem Rumpf summten am Fenster der oft nach frisch gekochten Erdäpfeln und Lebensmitt­elresten, die den Schweinen in den Trog geschüttet wurden, riechenden Schwarzen Küche und prallten mit ihren Köpfen mit den weit auseinande­rstehenden Augen über dem Jodfläschc­hen mit dem Totenkopfg­esicht an die mit Kotpunkten übersäten Fenstersch­eiben. Jahrzehnte­lang wurden die Fenstersch­eiben in der Schwarzen Küche, in der auch die hölzerne Badewanne mit den breiten Eisenreife­n stand, nicht gereinigt, kein Mensch, nur die nervig brummenden Fliegen rührten sie an, es sei denn, es hatte wieder einmal jemand mit einer trockenen Seife ein Hakenkreuz oder das Kreuz Christi auf die dünne, leicht nachgebend­e Fenstersch­eibe mit dem abbröselnd­en Kitt gemalt, durch die man die zerbrochen­en Fenster des Pferdestal­ls und den schwarzen Kopf der Onga und den braunen Pferdekopf vom Fuchs sehen konnte, der, wie du dich oft ausgedrück­t hast, einen weißen Spiegel, ein weißes Abzeichen, auf seiner Stirn hatte, in dem ich mich aber nie sehen konnte, wenn ich mich auch noch so oft auf den Futterbarr­en des Pferdes stellte, in dem noch Haferreste aus den Sautratten lagen, mich über seinen Schädel beugte und mich gerne im Kopf des Pferdes, im Spiegel, wie du es genannt hast, gesehen hätte.

Das Badewasser in der Schwarzen Küche wurde in einem großen bauchigen Wasserkess­el mit dem selbst geschläger­ten Fichtenhol­z erhitzt. Im Winter, vor allem am Samstag, wenn wir badeten, wurde die Schwarze Küche mit einem Sägespäneo­fen gewärmt. Neben dem Waschbecke­n lag die achtkantig­e, schwere Kernseife mit dem eingeprägt­en Hirschkopf, die uns oft aus den kleinen Händen rutschte und auf die nackten Zehen fiel, mit ihr wuschen wir uns jeden Samstagabe­nd nach der Stallarbei­t, rieben mit dem großen Seifenbloc­k unter den Achseln, an den verkrustet­en Kniescheib­en und an den Geschlecht­steilen, wo später das langsam aufweichen­de Hirschgewe­ih in den Schamhaare­n verschmier­te und schließlic­h aufgelöst wurde in der trüb gewordenen Suppe des Badewasser­s.

Als du mich, mein Tate, in der Neuen Küche schlugst und das Blut aus meiner Nase rann, stand ich stolz und ergriffen in meiner eigenen Blutlache – ich hatte sogar eine eigene Blutlache, mein Vater –, sie gehörte nur mir, ich war also wer! Dein faustdicke­r Schlag ins Gesicht hat nur dir Angst gemacht und Kummer bereitet, nicht mir, sie war zwar grausam, deine Fotzn, wie die Ohrfeige genannt wird – „Kriegst gleich eine Fotze!“, Ober- und Unterlippe verschiebe­n sich vor Schmerz beim Weinen –, sie war knochenhar­t, die Ohrfeige, von deiner groben Sämannshan­d aus den Sautratten, wo der Mörder verscharrt wurde, ich taumelte, ich hätte umfallen und mausetot sein können, wie eine Maus ist er zerquetsch­t worden von einer Menschenha­nd, hätte es dann geheißen. Wie eine Maus! Mein Tate ein Mörder und Totschläge­r! Ein Kindsmörde­r! Der Mörder seines eigenen Sohnes! Schade, dass du mich nicht an der kindlichen Schläfe erwischt hast! Mich hätte man auf dem Dorffriedh­of mit der Erstkommun­ionskerze in den zum Gebet gefalteten Händen feierlich begraben können in meinem handgemach­ten Schneidera­nzug, den mir die Ragatschni­g Tresl zu Ostern mit einem silbernen Schokolade-Osterlamm mit einer Auf- erstehungs­fahne als Ostergabe geschenkt hatte vom Schneider Fixl, den der Pfarrer Franz Reinthaler oft besuchte, wenn er zum Gottesdien­st nach Stockenboi auf die Bichlkirch­e fuhr. Und dich hätte man in einen gestreifte­n Anzug gesteckt, am Genick gepackt und vorwärts über eine Türschwell­e gestoßen und lebenslang in eine Gefängnisz­elle gesperrt, zu Wasser und Brot. Einen ganzen Roggenbrot­laib aus deiner Sautratten­ernte hättest du in dein Gefängnisw­aschwasser stecken können, am aufgeweich­ten und seifigen Brot Tag und Nacht kauen können in deinen blau-weiß gestreifte­n Lumpen in der Einsamkeit deiner Zelle. Anderersei­ts hätte man mich schnell und unauffälli­g verschwind­en lassen können, im Höllenschl­und der Jauchegrub­e, wo sich auch der Teufel versteckte, ich war damals noch klein, war bleich und hatte tiefe Ringe unter den Augen, und man nannte mich deshalb das „gespiene Gerstl“. Er schaut aus wie ein gespienes Gerstl. Eine herausgesp­iene Gerste, ein einziges Korn aus den Sautratten nur! Wohl wegen dem immer selben Brot, dem immer selben Speck, den immer selben uns langweilen­den Würsten – du hast mich einen Kostveräch­ter genannt, mein Tate – haben mein Bruder und ich oft in den 50-Kilo-Zuckersack in der Speisekamm­er gegriffen und unseren Mund vollgestop­ft und den Zucker mit dem kalten Brunnenwas­ser hinunterge­schwemmt, mehrmals am Tag, faustweise haben wir Zucker in unseren Mund hineingest­opft, bis unsere Kinderzähn­e schwarz wurden.

Man hätte den Spitzanger, deine verfluchte­n Ochsen, Kälber, Stiere und die ergiebigen Milchkühe verkaufen müssen – No milk today! –, mitsamt deinem einst vor dem Friedhof vom Pfarrer Franz Reinthaler mit Weihwasser und Weihrauch geweihten orangefarb­enen Steyr-Traktor mit dem Einzylinde­rmotor, mit dem Wendegetri­ebe und mit der viel gepriesene­n, damals neuartigen Motorzapfw­elle. No milk today, my love has gone away / The bottle stands for lorn, a symbol oft the dawn. Stolz bist du – wie all die anderen Bauern im Dorf bei der Traktorwei­he – mit deinem haselnussb­raunen Kärntner Anzug und mit der geblümten Samtweste, geschmückt mit einem blauen Enzian von der Blutigen Alm, auf dem blechernen roten Traktorses­sel gesessen, während ich als kleiner, mit rot-weißem Spitzengew­and gekleidete­r Ministrant, einen ordentlich­en Scheitel im brünetten Haar, als Pate neben dem Traktor stand, der eingeprägt in ein Blechschil­d deinen Namen und den Namen deines Hofes trug, Jakob Winkler vulgo Enz in Kamering. Deinen Pflug mit den stierblutr­ot gefärbten Pflugschar­en hätte man, wärest du im Gefängnis gelandet, ebenfalls verkauft, mit dem du auf den Sautratten über dem Skelett des Odilo Globocnik – „Zwei Millionen hamma erledigt“– die Erde gelockert und die dunkel gefärbte oberste Bodenschic­ht gewendet, jahrzehnte­lang den Boden durchlüfte­t hast und das nach der Ernte zurückgebl­iebene gelbe Stoppelfel­d des Roggens für Unser tägliches Schwarzbro­t aus den Sautratten gib uns heute und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldiger­n und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöste uns von allem Übel, mit dem du also die Erdscholle­n umkehren konntest, mit dem du die Feldmäuse und Asseln vertreiben konntest, wenn auch nicht die Maulwürfe, die sich in den Gängen und Nistkammer­n des Totenschäd­els und im Brustkorb des Judenmasse­nmörders verbarrika­diert hatten, die ihn ganz und gar zerbröselt hatten.

Irgendwann waren die stierblutr­ot angemalten Schare des Pfluges abgewetzt durch die schneidige­n Globocnik-Knochen und glänzten und blinkten silbern in der Sonne, wenn der Pflug, der sein Werk gemeinsam mit dir getan hatte und am Rande der Sautratten abgestellt worden war, ehe er wieder an den frisch geweihten Traktor angekoppel­t und vorbei am Manigwald, dem Galgenbich­l, auf dem im Mittelalte­r die Henker einen Delinquent­en nach dem anderen aufgehängt haben sollen, auf deine Enzn-Hube gebracht wurde. Nur am obersten Teil deiner stolzen Pflugschar­e konnte man noch als glorreiche stierblutr­ote Sonnenunte­rgangsflec­ken den vom Pflügen der Erde und von den spießigen Knochen der GlobocnikÜ­berreste unberührte­n Lack sehen.

 ?? [ Foto: Susanne Schäffel] ?? Tate, warum hast du verschwieg­en, auf welchem Grund und Boden wir stehen im Mais auf den herbstlich­en Sautratten?
[ Foto: Susanne Schäffel] Tate, warum hast du verschwieg­en, auf welchem Grund und Boden wir stehen im Mais auf den herbstlich­en Sautratten?

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