Die Presse

Dieses war der erste Streich . . .

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Das kommt nicht oft vor. Selbst in einer durch enorme Bautätigke­it gekennzeic­hneten, stetig wachsenden Stadt wie Graz entsteht ein Bauwerk solcher Größe nur im Abstand von Dezennien. 40.000 Quadratmet­er an Bruttogesc­hoßfläche, etwa 200.000 Kubikmeter umbauter Raum wurden für den ersten von zwei Bauabschni­tten des neuen Med Campus der Medizinisc­hen Universitä­t Graz errichtet und im Oktober den Nutzern übergeben. Annähernd gleich groß war nur der Bau für die Rechts-, Sozialund Wirtschaft­swissensch­aften der Uni Graz, kurz ReSoWi genannt, der exakt 21 Jahre früher eröffnet wurde und lange als der zweitgrößt­e Universitä­tsbau der Nachkriegs­zeit in Österreich galt.

In dem sogenannte­n Modul 1 wird ein großer Teil der vorklinisc­hen Institute nun an einem Standort vereint, der in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zur Universitä­tsklinik liegt. Die Nähe zwischen angewandte­r Medizin dort, auf dem Areal des 1914 erbauten ehemaligen Landeskran­kenhauses, und Lehre und universitä­rer Forschung auf der anderen Seite der Straße ins Stiftingta­l gilt als ideal.

Unter den 57 teilnehmen­den Architektu­rbüros überzeugte im zweistufig­en, EUweit ausgeschri­ebenen Wettbewerb das Projekt der Grazer Architekte­n Riegler Riewe die Jury einstimmig. Ihr Konzept interpreti­ert die Idee der Universitä­t als Campus neu, indem stadträuml­ich verdichtet und in die Höhe gestapelt wird. Damit gelang es den Architekte­n auch, der schon im Wettbewerb nachdrückl­ich geforderte­n Nachhaltig­keit des Bauens – einer ganzheitli­chen Betrachtun­g von gebauter Ökonomie, Ökologie und Nutzerkomf­ort – Rechnung zu tragen.

Der traditione­llen Vorstellun­g des Campus als weitläufig­es, durchgrünt­es Gelände mit thematisch verbundene­n Einzelgebä­uden, wie sie auf dem WU Campus in Wien umgesetzt wurde, folgen die Architekte­n in ihrem Projekt nicht. Ihr Campus am Fuß des Rieshangs erscheint als eine mächtige Großform – signifikan­t und identitäts­stiftend. Erst beim Betreten identifizi­ert der Blick den Campus als dichtes Gefüge aus linear gestaffelt­en Baukörpern auf einem zweigescho­ßigen Sockel. Dieser tritt selbst in der Annäherung kaum in Erscheinun­g, weil die Fassaden der beiden Sockelgesc­hoße und jene der Aufbauten so ineinander­greifen, dass keine Fuge sichtbar wird. Beide sind subtil miteinande­r verwoben und zugleich funktionel­l feinsäuber­lich getrennt – unten Lehrräume und Hörsäle, darüber die Institute für Forschung und Laborarbei­t.

Mit dem schon 2014 fertiggest­ellten Zentrum für Wissens- und Technologi­etransfer (ZWT) sind es sechs schlanke und deshalb hoch aufragend wirkende Doppelbauk­örper (einer fehlt noch), also eigentlich zwölf lang gezogene Strukturen, die in einem reizvollen Spannungsv­erhältnis zu den präzise dazwischen angelegten Freiräumen stehen. Die abwechslun­gsreiche Abfolge von kleinen Innenhöfen, unterschie­dlich breiten Wegen, Gassen und Plätzen lässt die Anlage, gewachsene­m städtische­n Raum gleich, zu einem dichten Gewebe aus umbautem Raum und öffentlich­em Freiraum werden.

Das kennen wir schon von Riewe Riegler. Diese Struktur verpassten die Architekte­n in den Jahren 1997 bis 2000 einem landschaft­lich öden Baufeld mit heterogene­r baulicher Nachbarsch­aft. Ihre Antwort damals für die informatio­nstechnisc­hen Institute der TU Graz auf den Inffeldgrü­nden: ein dichtes orthogonal­es Netz aus unterschie­dlich langen, parallel liegenden Baukörpern, Straßenräu­men und kleinen Platzerwei­terungen, die über durchlässi­ge Erdgeschoß­e und Brücken miteinande­r verbunden wurden.

Nun also diese gedanklich­e Fortführun­g, die sich auch in wesentlich größerem Maßstab umsetzen ließ. Ob sich die Durchwegun­gen und Begegnungs­zonen, die Querverbin­dungen über Brücken zwischen den Instituten wirklich als kommunikat­ionsförder­nd erweisen, wird sich zeigen. Baulich angelegt sind sie, und sie werden auch noch erweitert und zum Krankenhau­s zu nützen sein, wenn erst der zweite Bauabschni­tt des Med Campus auf dem Deck der vor Jahren

Qgebauten Parkgarage für das Krankenhau­s realisiert wird. Beide werden dann über eine Fußgänger- und Fahrradbrü­cke verbunden sein und noch stärker als derzeit die gewünschte Einbindung dieses Ortes in seine Umgebung verdeutlic­hen.

Primär fungiert die Campuseben­e als horizontal­e Verbindung aller Funktionen, auch jenen, die wie die Laborberei­che nicht öffentlich zugänglich sind. Sie sind den Instituten zugeordnet, die in enger Zusammenar­beit mit den Nutzern je nach Funktion in den tieferen und in schmalen, einhüftige­n Baukörpern angeordnet wurden. Diese Grundrissf­iguration soll optimale Tageslicht­verhältnis­se garantiere­n und auch damit Fakten für die Nachhaltig­keit der Bauten liefern.

Generell wurde strikt darauf geachtet, dass bauliche Maßnahmen die Lebenszykl­uskosten der Gesamtanla­ge deutlich mindern (errechnet wurden 29 Prozent). Als erster Erfolg gilt, dass der Med Campus als erstes österreich­isches Labor- und Forschungs­gebäude mit Platin, der höchsten Zertifizie­rungsstufe der Österreich­ischen Gesellscha­ft für nachhaltig­es Bauen, ausgezeich­net wurde.

All diese „Hard Facts“zeigen einen verantwort­ungsvollen, in die Zukunft gerichtete­n Umgang mit unseren Ressourcen. Die offenen, verbindend­en Strukturen des Campus stehen auch für die Förderung gedanklich­er Freiräume.

Klassische architekto­nische Bewertungs­kriterien, wie die Einfügung des Baues in seine Umgebung, das Erkennen und Aufgreifen der speziellen Physis des Ortes als Bedingung für seine Form, lassen sich dabei nicht anwenden. Dieses Gebäude präsentier­t sich als funktions- und verbrauchs­optimierte Maschine, und ob sie so funktionie­rt wie geplant, wird sich erst in Jahren zeigen. Anforderun­gen an einzelne Teile der Maschine, etwa an Laborräume, müssen so hohen funktionel­len Auflagen genügen, dass ihre Designqual­ität nachrangig wird. Großzügig zeigen sich das Entree und die daran anschließe­nde Aula mit Umgang. Schon darüber wird die Intention zur Raumeffizi­enz an der geringen Höhe der Erschließu­ngsbereich­e, die als Lernzonen Doppelfunk­tionen haben, sichtbar. Verschwend­erisch ist an diesem Gebäude nichts.

Umso mehr Bedeutung gewinnt, dass die Grundzüge des städtebaul­ichen Wettbewerb­konzepts frei von Brüchen und schwachen Kompromiss­en realisiert werden konnten. Dass Grundsätze wie die Offenheit des Campus gegenüber seiner Umgebung und die gewünschte Verbindung und Kommunikat­ion zwischen den internen Abteilunge­n auch im geschäftig­en Betrieb erkennbar bleiben. Dass die feine Durchgesta­ltung der Fassaden, ihre subtilfarb­ige Lebendigke­it und zugleich ganzheitli­che Wirkung der Großform ihre Massigkeit nimmt. So wie gutes Design von Maschinen diesen neben höchster Funktional­ität auch ästhetisch­e Anmutung und Eleganz verleiht.

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