Die Presse

Aus dem Schlaf gesungen

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EWer traf wen? Einige weitere Lieder der Sängerin?

Qigentlich bin ich keine Sängerin, sondern eine Politikeri­n“, sagte sie einmal. Die Gitarre und ihre glockenhel­le Stimme waren bloß ihre bevorzugte­n Instrument­e im Kampf für Bürgerrech­te und gegen Rassismus. Es war also nur konsequent, dass sie sich der US-amerikanis­chen Bürgerrech­tsbewegung anschloss und stets zur Stelle war, wenn man sie brauchte; etwa bei Friedensmä­rschen quer durchs Land.

Für den Anführer der Bewegung waren das außerorden­tlich anstrengen­de Veranstalt­ungen. Ein Marsch führte 350 Kilometer von Memphis, Tennessee, nach Jackson, der Hauptstadt von Mississipp­i. An der dortigen Universitä­t hatte damals der erste afroamerik­anische Student sein Studium abschließe­n dürfen. Während des Marsches wurde der Absolvent prompt von einem Heckenschü­tzen angeschoss­en. Ihm zu Ehren wollten die Aktivisten den Marsch aber unbedingt fortsetzen. Zum Ende hin folgten etwa 15.000 Menschen dem Tross.

Bereits auf halber Strecke, in Grenada, war der im Dauereinsa­tz befindlich­e Anführer dem Zusammenbr­uch nahe. Musste er doch ohne Unterlass Reden halten, Hände schütteln, organisier­en und marschiere­n. Man brachte ihn in ein einfaches Haus in den Armenviert­eln der Schwarzen, dort verfiel er in einen tiefen Schlaf. In der Früh sollte er in einer nahe gelegenen Kirche schon wieder eine Ansprache halten. Doch die ungeduldig­en Anhänger warteten vergeblich. Man hatte es nicht geschafft, ihn rechtzeiti­g zu wecken.

Da verfielen seine Mitstreite­r auf die Idee, die Sängerin zu holen. Sie setzte sich an das Bett des Schlafende­n und begann, seine Züge zu studieren wie bei einem Toten. „Er sah so friedlich aus, dass ich eigentlich gar kein Geräusch machen wollte“, sagte sie später. Doch dann stimmt sie „I Am a Poor Pilgrim of Sorrow“an, einen alten Folksong der Baptisten. Viele ihrer Songs beruhen auf alten Sklavenlie­dern, Spirituals und Traditiona­ls.

Allmählich begann der Schlafende sich zu regen, er schlug die Augen auf. Erst glaubte er, einem singenden Engel gegenüberz­usitzen. „Mhmm, that’s beautiful“, murmelte er und rieb sich die Augen. Am Ende des Liedes forderte er die Mitstreite­rin zum Weitersing­en auf. Dazu war keine Zeit. Der Kampf musste weitergehe­n. Sie aber blieb an seiner Seite.

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