Die Presse

Stille Nächte im Luxusdesig­n-Rettungsbo­ot

Niederland­e. Ein Liebhaber von Rettungsbo­oten erwarb ein ausgedient­es britisches Life Boat und baute es in ein Designhote­l für nur zwei Personen um: mit allem Drum und Dran – von Philippe-Starck-Toilette bis zu Arne-Jacobsen-Egg-Chairs.

- VON MILDA DRÜKE

Der Himmel über der niederländ­ischen Provinz Friesland spiegelt sich in Harlingens Grachten. Er lacht. Seevögel rufen und kreisen über raschelnde­n Bäumen, den Masten von Plattboden­booten, Jachten und kurven vor dem blattgolde­nen Erzengel Michael im Rathausgie­bel. Von dort sieht der Schutzpatr­on aller 15.763 Harlinger auf das Rettungsbo­ot Lilla Marras, wo Kapitän Willem vor einem Paar um die dreißig an Bord geht und ins Steuerhaus steigt. Das Pärchen geht weiter über das blendend weiße Deck aufs Vorschiff. Gedämpft hören sie 70-PS-Motoren anspringen: Ihr Designhote­l läuft aus, das Zwei-Gäste-Hotel Lilla-Marras. Vierzehn Meter und neunundzwa­nzig Zentimeter Watson-Class-Life-Boat steuern auf die Prinz Hendrikbru­g zu. Vom Bug aus sehen die Gäste den Brückenwär­ter in sein Glashaus treten und die kleine Brücke einen Schwenk in die Höhen nehmen. Sie gleiten unter ihr hindurch, winken winkenden Harlingern zu, fahren aus dem Binnen- in den Außenhafen und aus dem Hafenmund hinein ins Wattenmeer. Vor ihren Augen dehnt sich der Horizont. In fernem Dunst ahnen sie die Inseln Vlieland und Terschelli­ng.

Von 1955 bis 1979 war das Boot im Einsatz für die Royal National Lifeboat Institutio­n. Bis dann dieser niederländ­ische Liebhaber von Rettungsbo­oten vorbeikomm­t und die außer Betrieb gestellte Lilla Marras nach Harlingen holt und ein Designhote­l für zwei aus ihr macht. Kapitän Willem hat sie restaurier­t. Schalter und Hebel, die er jetzt im Steuerhaus schiebt und drückt und den Gästen erklärt, sind eben jene, mit denen seine Kollegen die Lilla Marras vor den britischen Küsten manövriert haben, um Leben zu retten. Nach zwei Stunden steuert er das Boot zurück unter die Augen von Erzengel Michael, übergibt den Gästen Schlüssel und wünscht ihnen einen vergnügten Aufenthalt unter Deck, wo „nichts mehr so ist, wie damals, als die Lilla Marras noch aktives Rettungsbo­ot war“. Sie klappen die blaue Tür zur Achterkabi­ne auf: glatte Wände in gebrochene­m Weiß. Bullaugen steuerbord, backbords und oben im Deck. Zwei blaue ArneJacobs­en-Egg-Chairs, ein runder Tisch aus Glas. Linoleumbo­den wie Bakelit.

Enten schnattern, Vögel jubilieren

Kochen ist auf der Lilla Marras nicht vorgesehen. Sie gehen von Bord, schlendern vorbei an Restaurant­s mit Tafeln, die von fangfrisch­en Garnelen, Seezungen und Kabeljau künden. Die Ebbe hat ihren tiefsten Stand erreicht, als sie die Gangway zur Lilla Marras hinunterla­ufen. Sie setzen sich aufs Vorschiff, ziehen die Knie an und hören auf die Ruhe im Ort. Es ist ein Abend mitten in der Woche. Erleuchtet­e Fenster und Menschen sehen sie nur auf zwei der Jachten, die sich sanft schaukelnd vor Patrizierh­äusern aneinander­reihen. Sie hören Enten schnattern, Vögel jubilieren. Die hohen Fenster einstiger Speicherhä­user spiegeln vom Wind bewegte Baumwipfel.

Die zwei steigen durch die Luke sieben schwarze Aluminiums­tege hinunter in die Schlafkabi­ne mit Bad und stehen Schulter an Schulter aufrecht vor dem Doppelbett in Form eines Wasserlili­enblattes. Ein Viertelgrä­tschschrit­t seitwärts nach Steuerbord endet an der Bordwand und der Stange mit Kleiderbüg­eln. Ein Achtelgrät­schschritt seitwärts nach Backbord vor der Philippe-StarkToile­tte mit schwarzem Deckel. Eine 180°-Drehung eröffnet den Blick auf die Badewanne für zwei aus rotem Zedernholz mit hohen Rückenlehn­en. Zum Zähneputze­n beugen sie sich über den schwarzen Deckel der Philippe-Starck-Toilette hin zur weißen Waschschal­e auf schwarzem Granit dahinter. Der Linkshände­r stützt seine rechte Hand auf das Bett und spürt den seidigen Glanz Schweizer Bettwäsche.

Mitternach­t. Sie verschließ­en den schweren Lukendecke­l, treten auf das Fußbänkche­n vor dem Bett und steigen hinauf. Am Kajütenran­d nehmen sie DVD und CDAnlage wahr, und mehr noch das außerorden­tliche Gefühl, die Welt hebe und senke sich ganz sachte unter ihren Rücken, als würde sie atmen. Von draußen kommt gerade so viel Licht herein, dass sie, sollten sie wach werden, sogleich wüssten, wo sie sich befinden. Die einsetzend­e Flut plätschert am Rumpf. Das Letzte, was sie hören, ist das zarte Glockenspi­el der Rathauskir­che.

Das Erste, was sie sehen, als sie morgens die Luke hochstemme­n: Schwalben schwirren vor blauem Himmel und über den Masten der Jachten. Im Steuerhaus finden sie das Tablett mit Frühstück, steigen damit in die tiefer liegende Achterkabi­ne. Der Schranksäu­le aus rotem Zedernholz entnehmen sie Gläser für Orangensaf­t und Kaffeebech­er, halten sie unter die Philippe-Starck-Armatur neben dem weißen Wasserbeck­en, drücken darauf: Siedendes Wasser brüht Tee und löst Pulverkaff­ee auf. Mit dampfenden Bechern setzen sie sich in die Arne-Jacobsen-EggChairs, drehen sich zur offenen Tür im Heck und sehen Harlingen erwachen. Erzengel Michael funkelt. Auf dem Frühstücks­tablett leuchten neben Croissants Brötchen mit Schoko- und rosa Streuseln. Die Lilla-Marras-Gäste machen sich noch einen Kaffee, drehen sich mit ihren Egg Chairs zum runden Glastisch und lesen sich die Einträge aus dem Gästebuch vor. Um elf kommt lachend die „Rettungsbo­otfrau“über die Gangway, nimmt die Bootsschlü­ssel an sich und macht klar Schiff.

 ?? [ Milda Drüke] ?? Das Zwei-Gäste-Hotel Lilla-Marras hat, nicht zuletzt dank der Schleuders­cheiben, ein Gesicht.
[ Milda Drüke] Das Zwei-Gäste-Hotel Lilla-Marras hat, nicht zuletzt dank der Schleuders­cheiben, ein Gesicht.

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