Ein neuer Steuermann bei tückisch ruhiger See
Geldpolitik. Jerome Powell dürfte als Trumps Wahl für den Fed-Chefposten die Zinspolitik von Janet Yellen fortsetzen, aber die Zügel für Banken leicht lockern. Das wirtschaftliche Umfeld ist dafür viel heikler und unsicherer, als es erscheint.
Wien/Washington. Donald Trump macht aus allem eine Show. Aber am Ende des inszenierten Schaulaufens um die neue Spitze der Notenbank Fed traf der US-Präsident offenbar eine erstaunlich ausgewogene, unspektakuläre Entscheidung: Jerome Powell wäre ein Pragmatiker, Zentrist, Kompromisskandidat – und vor allem ein Garant dafür, dass die wichtigste Zentralbank der Welt ihre Politik der behutsamen Zinserhöhungen und des vorsichtigen Ausstiegs aus den Anleihekäufen fortsetzt. Der Favorit galt am Donnerstag schon als fix gesetzt; offiziell verkündet hat Trump seine Entscheidung erst nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe. Der Senat muss Trumps Wahl noch absegnen; das Mandat der aktuellen Fed-Chefin Janet Yellen läuft Anfang Februar aus.
Überspitzt lässt sich sagen: Der größte Unterschied zu ihrem erwarteten Nachfolger wäre, dass er nicht Janet Yellen heißt. Seit 2012 gehört Powell dem Direktorium der Fed an; keine einzige Entscheidung hat er seitdem nicht mitgetragen oder auch nur öffentlich infrage gestellt. Dennoch wollte Trump einen Akzent setzen (worauf die meisten früheren Herren im Weißen Haus verzichteten: Seit 1979 wurde noch jedem Fed-Chef eine zweite Amtszeit gewährt).
Also muss die Demokratin einem Republikaner weichen, die Ökonomin einem früheren Investmentbanker, der sich bei der Private-Equity-Firma Carlyle ein Vermögen von 55 Mio. Dollar erarbeitet hat. Womit die Ähnlichkeiten mit Trump aber auch schon enden: Der 64-Jährige ist ernst und besonnen, wägt jedes Wort ab und vertieft sich auch ohne VWL-Doktortitel in Studien und Datenreihen. Gelernt hat er die Juristerei, gearbeitet hat er auch in der Politik, als Spitzenbeamter im Finanzministerium unter George W. Bush. Als er vor fünf Jahren als externer Berater mithalf, eine Budgetkrise zu verhindern, wurde Barack Obama auf ihn aufmerksam und brachte ihn in die Zentralbank – was nun die Zustimmung der Demokraten für seine Kür sichern sollte.
Banken entlasten, nicht entfesseln
Eine Korrektur des Kurses ist am ehesten bei der Regulierung zu erwarten. Aber auch hier nur in Maßen: Dass Banken mehr Eigenkapital und Liquidität vorhalten müssen, dass große Institute im Pleitefall ihre Eigentümer belasten und die Steuerzahler schonen – daran will Powell nicht rütteln. Aber er plädiert für weniger Bürokratie bei den jährlichen Stresstests, eine Lockerung der Regeln für riskanten Eigenhandel und Erleichterungen für kleinere Banken. Von einer echten Entfesselung des Finanzsektors, die Trump vorschwebte, ist das recht weit entfernt. Aber dabei hätte den Präsidenten wohl auch kein anderer Notenbanker unterstützt.
Entscheidend ist für Trump aber etwas anderes: dass der von ihm beschworene kräftigere Aufschwung nicht von schnellen Zinserhöhungen gebremst wird. Deshalb konnten sich auch die „Falken“unter den fünf Kandidaten in der engeren Auswahl, Kevin Warsh und John Taylor, nicht durchsetzen. Ihre strengeren Zügel hätten den Dollar gestärkt (und Exporteure behindert); sie waren die Favoriten vieler republikanischer Abgeordneter. Stattdessen dürfen sich nun die Finanzmärkte und das Weiße Haus in der Hoffnung wiegen, dass mit dem sanften Segen der Fed wirtschaftlich alles weiter in die gewünschte Richtung läuft.
Die Voraussetzungen scheinen gut: Schon seit acht Jahren hält der drittlängste Aufschwung der US-Geschichte an, ebenso lange klettern die Aktienkurse nach oben. Die Arbeitslosenrate ist mit 4,2 Prozent die niedrigste seit 2001. Schon das ganze Jahr über läuft sie auf Vollbeschäftigung hinaus: Wer einen Job sucht, findet ihn auch (die Restarbeitslosigkeit ergibt sich aus der Fluktuation). Damit sollten die Löhne steigen, was wieder Kaufkraft und Konsum treibt. Und dann ist da noch diese „historische“Steuerreform, die Trumps Republikaner am Donnerstag im Detail vorgestellt haben und die im kommenden Jahr einen zusätzlichen kräftigen Wachstumsschub bringen soll. Beste Startbedingungen also für einen neuen FedChef? Tatsächlich ist die Lage viel unsicherer, als sie aufgrund der Eckdaten erscheint.
Erstes Ziel der Währungshüter ist es, die Inflation auf zwei Prozent zu halten. Dass sie zuletzt immer noch meist darunter lag, ist das große Rätsel, über dem Ökonomen und Geldpolitiker brüten. Auch die Löhne ziehen nicht wie erwartet an, was wohl vor allem daran liegt, dass die Produktivität viel schwächer zunimmt als früher. Lauter Argumente dafür, die Zinsen nur langsam steigen zu lassen. Dann aber riskiert man, dass der Aktienmarkt noch weiter heißläuft und sich eine Blase aufbläht. Die Steuerreform könnte zwar das Wachstum kurzfristig befeuern, aber angesichts der Vollbeschäftigung droht auch hier eine Überhitzung. Was wiederum für einen schnellen Rückzug aus der lockeren Geldpolitik spricht. Erfolgt er aber zu schnell – der typische Fehler in solchen Phasen –, würgt er das Wachstum ab. Es fiel in dieser langen Hochkonjunktur mit zwei Prozent im Schnitt ohnehin viel niedriger aus als in früheren Boomphasen.
Waffenarsenal ist noch fast leer
Freilich: Ewig kann der Aufschwung keinesfalls dauern. Und bis es zu einer Rezession kommt, sollte die Fed ihr Waffenarsenal wieder gefüllt haben, durch genügend viele Zinserhöhungen, die ihr Spielraum für Senkungen verschaffen. Damit steht die neue Fed-Spitze vor einem heiklen Balanceakt. Ihre Entscheidungen betreffen nie nur die Wirtschaft der Vereinigten Staaten: Die halbe Welt ist in Dollar verschuldet, Erdöl ist in der US-Währung notiert, und alle anderen großen Notenbanken orientieren sich am Kurs der Kollegen in Washington. So blickt die Welt wieder gebannt auf die Fed-Zentrale. Wohin Powell übrigens oft von zu Hause aus radelt, 13 Kilometer weit. Eine gute Kondition scheint er jedenfalls zu haben.