Twitterkönig im Weißen Haus
USA. Vor einem Jahr wählten die Amerikaner einen Populisten zum Staatsoberhaupt. Wie Donald Trump das Präsidentenamt verändert hat. Eine Bilanz.
Vor einem Jahr wurde Donald Trump zum Staatsoberhaupt gewählt. Eine Bilanz.
Washington. Teddy Roosevelt lief auf Stelzen durchs Weiße Haus. Ronald Reagan ließ vor Flugreisen einen Astrologen die Sterne befragen. Benjamin Harrison hatte solche Angst vor einem Stromschlag, dass er im Weißen Haus einen großen Bogen um alle Lichtschalter machte. Amerikas Präsidenten haben schon immer ihre ganz eigene Persönlichkeit ins Amt eingebracht.
Doch kein Staatschef hat in so kurzer Zeit das ehrwürdige Amt des Präsidenten so verändert wie Donald Trump. Ein Jahr nach seinem Wahlsieg am 8. November 2016 hat sich der Immobilienmilliardär und Populist über etliche Regeln und Traditionen hinweggesetzt – zur Freude seiner Anhänger, aber zum Ärger der meisten anderen Amerikaner, die Trump die schlechtesten Zustimmungsraten aller Präsidenten seit Jahrzehnten bescheren. Hier einige wichtige Merkmale der Trump’schen Präsidentschaft.
Twitter-Nutzung
Trump ist der erste amerikanische Präsident, der Twitter als Hauptinstrument der Kommunikation einsetzt. Häufig greift der 71-Jährige schon früh am Morgen zu seinem Handy, um Kommentare zu politischen Fragen oder anderen Themen an die knapp 42 Millionen Menschen zu schicken, die seinem Twitter-Account folgen.
Bewusst oder unbewusst bricht Trump bei vielen seiner Tweets mit der traditionellen Rolle des Präsidenten als überparteilicher Landesvater: Er beleidigt politische Gegner und beschimpft unbotmäßige Medien, Unternehmen oder andere Staaten in oft drastischen Worten. Seine Rivalin aus dem Wahlkampf, Hillary Clinton, ist bei ihm die „krumme Hillary“, der linksgerichtete Senator Bernie Sanders heißt „verrückter Bernie“, Trump-kritische Medien sind „Fake News“. Kritiker beklagen eine Vulgarisierung des Präsidentenamtes.
Direkte Verbindung zu den Fans
Oft genug geht der Präsident auf Twitter weiter, als für ihn oder seine Regierung gut ist. So kritisierte er im Sommer, China habe zulasten der USA im bilateralen Handel zwischen den beiden Ländern mehrere Hundert Milliarden Dollar verdient – in einer Zeit, in der die USA die Mitarbeit der Chinesen bei der Bewältigung der Bedrohung durch das nordkoreanische Atomwaffenprogramm brauchen, war die Schimpftirade kein wohlüberlegter Schritt. Trumps Berater, vor allem Stabschef John Kelly, versuchen immer wieder, den Präsidenten zur Mäßigung auf Twitter anzuhalten, haben bisher jedoch kaum Erfolg damit. Trump hat mehrmals betont, dass er Twitter als direkte Verbindung zu seinen Anhängern betrachtet und nicht daran denkt, mehr Vorsicht an den Tag zu legen.
Unberechenbarkeit
Nicht nur per Twitter rammt der 45. Präsident der Vereinigten Staaten rhetorische Pflöcke ein, die für einen amerikanischen Staatschef weit jenseits aller Konventionen liegen. Traditionell äußern sich US-Präsidenten vor allem in der Außenpolitik sehr abgewogen, Stellungnahmen werden vor der Veröffentlichung von Diplomaten und Experten eingehend geprüft. Bei Trump ist das anders. Er überrascht Freund und Feind mit radikalen und spontanen Äußerungen, wie etwa der Drohung in Richtung Nordkoreas, mögliche Aktionen gegen die USA würden mit „Feuer und Zorn“beantwortet. Beim Thema Nordkorea und in der Krise zwischen Katar und Saudiarabien widersprach Trump öffentlich seinem Außenminister Rex Tillerson und stellte diesen bloß.
Justizministerium ignoriert Informelles
Solche Widersprüche schaffen eine Atmosphäre der Unberechenbarkeit, die ebenfalls der Tradition des Weißen Hauses widerspricht. Trump selbst scheint das nicht weiter zu stören, doch seine Mitarbeiter müssen versuchen, aus den Äußerungen des Chefs eine einigermaßen verlässliche Linie zu basteln. Das gelingt nicht immer. Wie die „Washington Post“meldet, geht das Justizministerium inzwischen dazu über, Trumps Stellungnahmen einfach zu ignorieren: Regierungsanwälte argumentieren demnach im juristischen Streit um Trumps geplanten Einreisestopp für Muslime, informelle Stellungnahmen des Präsidenten reflektierten nicht unbedingt die Haltung der Regierung.
Außenpolitischer Isolationismus
In jenen Bereichen der Außenpolitik, in denen sich Trump einigermaßen stringent verhält, ist ein starker Trend hin zum Isolationismus und zum wirtschaftlichen Protektionismus zu erkennen. Auch das widerspricht der Tradition amerikanischer Politik seit dem Zweiten Weltkrieg, die auf Zusammenarbeit mit den westlichen Partnern und dem Grundsatz des Freihandels basiert hat. Trump verkündete den Ausstieg der USA aus dem internationalen Klimavertrag von Paris und aus der UN-Kulturorganisation Unesco.
Der fertig ausgehandelte Vertrag über die pazifische Freihandelszone TPP wird nicht ratifiziert. Trump will den Vertrag der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta aus den Angeln heben und droht mit der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran. Zeitweise stellte er die gegenseitige Beistandsverpflichtung der Nato-Staaten infrage.
Zwar betonen Trump und seine Minister immer wieder, das Motto „Amerika zuerst“
bedeute nicht „Amerika allein“, doch steht das Grundprinzip einer „transaktionalen Außenpolitik“unter Trump vor allem für das Ziel des Eigennutzes: Eine Zusammenarbeit soll sich für die USA auszahlen. Die Aufkündigung internationaler Abkommen, die von Trumps Vorgängern ausgehandelt und unterschrieben wurden, stellt zudem das alte Prinzip „pacta sunt servanda“– Verträge sind einzuhalten – infrage. Auch das trägt zur Atmosphäre der Unberechenbarkeit und Verunsicherung unter Trump bei.
Vermischung von Privatem und Politik
In der amerikanischen Innenpolitik sorgt Trump ebenfalls immer wieder für Aufregung. Einmal entdeckt er „feine Leute“unter den Teilnehmern eines Neonazi-Aufmarsches, einmal macht er großmundige Versprechen etwa in der Gesundheitspolitik, ohne diese einhalten zu können. Die Sprunghaftigkeit liegt nicht nur an Trumps Persönlichkeit, sondern auch an seinem Beraterstab. Kein amerikanischer Präsident der neueren Zeit hat sich mit so vielen Helfern umgeben, für die der Politbetrieb Washingtons fremd ist. Dazu gehörte der inzwischen gefeuerte Chefstratege Stephen Bannon.
Einfluss der Familie
Aber auch Trumps Entscheidung, sich bei wichtigen politischen Fragen auf den Rat von Familienmitgliedern zu verlassen, unterscheidet sich vom Stil anderer Präsidenten. Seine Tochter Ivanka und sein Schwiegersohn, Jared Kushner, sind ganz offiziell als Berater im Weißen Haus tätig. Sein Sohn Donald Jr. traf sich im vergangenen Jahr als Emissär des Trump-Wahlkampfes mit einer russischen Anwältin, die belastendes Material über die „krumme Hillary“versprach.
Zudem habe sich Trump beim Amtsantritt im Jänner nicht klar genug von den Geschäftsinteressen seines Immobilienimperiums getrennt, sagen Kritiker. Der Präsident speist oft und gern im Trump International Hotel in Washington und verbringt viele seiner Wochenenden entweder in seinem Klub Mar a Lago in Florida oder auf dem Gelände seines Golfklubs in New Jersey. Diese drei Trump-Immobilien verzeichnen laut Medienberichten einen verstärkten Zulauf von Kunden, die sich von der Nähe zum Präsidenten geschäftliche Vorteile versprechen.
Umstrittene Einflussnahmen
Mindestens ebenso umstritten wie Trumps Werbung für seine Immobilien ist die Tendenz des Präsidenten, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angehen – oder im Sinne der Gewaltenteilung in einer Demokratie nichts angehen dürften. Seine öffentliche Fernsehkritik, unter anderem an Arnold Schwarzeneggers Auftritten als neuer Gastgeber der früheren Trump-Show „Apprentice“oder an der Trump-kritischen Satiresendung „Saturday Night Live“, gehört noch zu den harmloseren Beispielen.
Wesentlich ernster ist Trumps kürzliche Forderung nach strafrechtlichen Ermittlun- gen gegen die „krumme Hillary“: Dass der Präsident die Justiz aufruft, gegen seine politischen Gegner vorzugehen, ist ein eklatanter Verstoß gegen die Gewaltenteilung, sagen Trumps Kritiker. Dasselbe gilt für die Entlassung von FBI-Chef James Comey im Mai. Der Präsident soll die Entscheidung mit Comeys Ermittlungen wegen des Verdachts auf eine Zusammenarbeit des Trump-Wahlkampfteams mit Russland bei Manipulationsversuchen der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr begründet haben. Die Opposition sieht darin einen illegalen Versuch Trumps, die Justiz zu behindern. Comeys Rauswurf zog die Einsetzung des Sonderermittlers Robert Mueller nach sich, der kürzlich die ersten Anklagen gegen frühere Mitarbeiter Trumps einreichte.
Riskiert er Amtsenthebungsverfahren?
Muellers Nachforschungen in der RusslandAffäre könnten über kurz oder lang dem Präsidenten gefährlich nahe kommen. Schon jetzt wird deshalb über eine Entlassung Muellers spekuliert. Ein solcher Schritt könnte ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump im Kongress auslösen, weshalb viele Beobachter einen Rausschmiss von Mueller für unwahrscheinlich halten. Doch Trump hat in den vergangenen neun Monaten oft genug bewiesen, dass ihm herkömmliche politische Erwägungen egal sind. Deshalb ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass Trump auf einem weiteren Gebiet Neuland betreten könnte: Bisher ist noch kein Präsident vom Kongress abgesetzt worden.