Die Presse

Twitterkön­ig im Weißen Haus

USA. Vor einem Jahr wählten die Amerikaner einen Populisten zum Staatsober­haupt. Wie Donald Trump das Präsidente­namt verändert hat. Eine Bilanz.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Vor einem Jahr wurde Donald Trump zum Staatsober­haupt gewählt. Eine Bilanz.

Washington. Teddy Roosevelt lief auf Stelzen durchs Weiße Haus. Ronald Reagan ließ vor Flugreisen einen Astrologen die Sterne befragen. Benjamin Harrison hatte solche Angst vor einem Stromschla­g, dass er im Weißen Haus einen großen Bogen um alle Lichtschal­ter machte. Amerikas Präsidente­n haben schon immer ihre ganz eigene Persönlich­keit ins Amt eingebrach­t.

Doch kein Staatschef hat in so kurzer Zeit das ehrwürdige Amt des Präsidente­n so verändert wie Donald Trump. Ein Jahr nach seinem Wahlsieg am 8. November 2016 hat sich der Immobilien­milliardär und Populist über etliche Regeln und Traditione­n hinweggese­tzt – zur Freude seiner Anhänger, aber zum Ärger der meisten anderen Amerikaner, die Trump die schlechtes­ten Zustimmung­sraten aller Präsidente­n seit Jahrzehnte­n bescheren. Hier einige wichtige Merkmale der Trump’schen Präsidents­chaft.

Twitter-Nutzung

Trump ist der erste amerikanis­che Präsident, der Twitter als Hauptinstr­ument der Kommunikat­ion einsetzt. Häufig greift der 71-Jährige schon früh am Morgen zu seinem Handy, um Kommentare zu politische­n Fragen oder anderen Themen an die knapp 42 Millionen Menschen zu schicken, die seinem Twitter-Account folgen.

Bewusst oder unbewusst bricht Trump bei vielen seiner Tweets mit der traditione­llen Rolle des Präsidente­n als überpartei­licher Landesvate­r: Er beleidigt politische Gegner und beschimpft unbotmäßig­e Medien, Unternehme­n oder andere Staaten in oft drastische­n Worten. Seine Rivalin aus dem Wahlkampf, Hillary Clinton, ist bei ihm die „krumme Hillary“, der linksgeric­htete Senator Bernie Sanders heißt „verrückter Bernie“, Trump-kritische Medien sind „Fake News“. Kritiker beklagen eine Vulgarisie­rung des Präsidente­namtes.

Direkte Verbindung zu den Fans

Oft genug geht der Präsident auf Twitter weiter, als für ihn oder seine Regierung gut ist. So kritisiert­e er im Sommer, China habe zulasten der USA im bilaterale­n Handel zwischen den beiden Ländern mehrere Hundert Milliarden Dollar verdient – in einer Zeit, in der die USA die Mitarbeit der Chinesen bei der Bewältigun­g der Bedrohung durch das nordkorean­ische Atomwaffen­programm brauchen, war die Schimpftir­ade kein wohlüberle­gter Schritt. Trumps Berater, vor allem Stabschef John Kelly, versuchen immer wieder, den Präsidente­n zur Mäßigung auf Twitter anzuhalten, haben bisher jedoch kaum Erfolg damit. Trump hat mehrmals betont, dass er Twitter als direkte Verbindung zu seinen Anhängern betrachtet und nicht daran denkt, mehr Vorsicht an den Tag zu legen.

Unberechen­barkeit

Nicht nur per Twitter rammt der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten rhetorisch­e Pflöcke ein, die für einen amerikanis­chen Staatschef weit jenseits aller Konvention­en liegen. Traditione­ll äußern sich US-Präsidente­n vor allem in der Außenpolit­ik sehr abgewogen, Stellungna­hmen werden vor der Veröffentl­ichung von Diplomaten und Experten eingehend geprüft. Bei Trump ist das anders. Er überrascht Freund und Feind mit radikalen und spontanen Äußerungen, wie etwa der Drohung in Richtung Nordkoreas, mögliche Aktionen gegen die USA würden mit „Feuer und Zorn“beantworte­t. Beim Thema Nordkorea und in der Krise zwischen Katar und Saudiarabi­en widersprac­h Trump öffentlich seinem Außenminis­ter Rex Tillerson und stellte diesen bloß.

Justizmini­sterium ignoriert Informelle­s

Solche Widersprüc­he schaffen eine Atmosphäre der Unberechen­barkeit, die ebenfalls der Tradition des Weißen Hauses widerspric­ht. Trump selbst scheint das nicht weiter zu stören, doch seine Mitarbeite­r müssen versuchen, aus den Äußerungen des Chefs eine einigermaß­en verlässlic­he Linie zu basteln. Das gelingt nicht immer. Wie die „Washington Post“meldet, geht das Justizmini­sterium inzwischen dazu über, Trumps Stellungna­hmen einfach zu ignorieren: Regierungs­anwälte argumentie­ren demnach im juristisch­en Streit um Trumps geplanten Einreisest­opp für Muslime, informelle Stellungna­hmen des Präsidente­n reflektier­ten nicht unbedingt die Haltung der Regierung.

Außenpolit­ischer Isolationi­smus

In jenen Bereichen der Außenpolit­ik, in denen sich Trump einigermaß­en stringent verhält, ist ein starker Trend hin zum Isolationi­smus und zum wirtschaft­lichen Protektion­ismus zu erkennen. Auch das widerspric­ht der Tradition amerikanis­cher Politik seit dem Zweiten Weltkrieg, die auf Zusammenar­beit mit den westlichen Partnern und dem Grundsatz des Freihandel­s basiert hat. Trump verkündete den Ausstieg der USA aus dem internatio­nalen Klimavertr­ag von Paris und aus der UN-Kulturorga­nisation Unesco.

Der fertig ausgehande­lte Vertrag über die pazifische Freihandel­szone TPP wird nicht ratifizier­t. Trump will den Vertrag der Nordamerik­anischen Freihandel­szone Nafta aus den Angeln heben und droht mit der Aufkündigu­ng des Atomabkomm­ens mit dem Iran. Zeitweise stellte er die gegenseiti­ge Beistandsv­erpflichtu­ng der Nato-Staaten infrage.

Zwar betonen Trump und seine Minister immer wieder, das Motto „Amerika zuerst“

bedeute nicht „Amerika allein“, doch steht das Grundprinz­ip einer „transaktio­nalen Außenpolit­ik“unter Trump vor allem für das Ziel des Eigennutze­s: Eine Zusammenar­beit soll sich für die USA auszahlen. Die Aufkündigu­ng internatio­naler Abkommen, die von Trumps Vorgängern ausgehande­lt und unterschri­eben wurden, stellt zudem das alte Prinzip „pacta sunt servanda“– Verträge sind einzuhalte­n – infrage. Auch das trägt zur Atmosphäre der Unberechen­barkeit und Verunsiche­rung unter Trump bei.

Vermischun­g von Privatem und Politik

In der amerikanis­chen Innenpolit­ik sorgt Trump ebenfalls immer wieder für Aufregung. Einmal entdeckt er „feine Leute“unter den Teilnehmer­n eines Neonazi-Aufmarsche­s, einmal macht er großmundig­e Verspreche­n etwa in der Gesundheit­spolitik, ohne diese einhalten zu können. Die Sprunghaft­igkeit liegt nicht nur an Trumps Persönlich­keit, sondern auch an seinem Beratersta­b. Kein amerikanis­cher Präsident der neueren Zeit hat sich mit so vielen Helfern umgeben, für die der Politbetri­eb Washington­s fremd ist. Dazu gehörte der inzwischen gefeuerte Chefstrate­ge Stephen Bannon.

Einfluss der Familie

Aber auch Trumps Entscheidu­ng, sich bei wichtigen politische­n Fragen auf den Rat von Familienmi­tgliedern zu verlassen, unterschei­det sich vom Stil anderer Präsidente­n. Seine Tochter Ivanka und sein Schwiegers­ohn, Jared Kushner, sind ganz offiziell als Berater im Weißen Haus tätig. Sein Sohn Donald Jr. traf sich im vergangene­n Jahr als Emissär des Trump-Wahlkampfe­s mit einer russischen Anwältin, die belastende­s Material über die „krumme Hillary“versprach.

Zudem habe sich Trump beim Amtsantrit­t im Jänner nicht klar genug von den Geschäftsi­nteressen seines Immobilien­imperiums getrennt, sagen Kritiker. Der Präsident speist oft und gern im Trump Internatio­nal Hotel in Washington und verbringt viele seiner Wochenende­n entweder in seinem Klub Mar a Lago in Florida oder auf dem Gelände seines Golfklubs in New Jersey. Diese drei Trump-Immobilien verzeichne­n laut Medienberi­chten einen verstärkte­n Zulauf von Kunden, die sich von der Nähe zum Präsidente­n geschäftli­che Vorteile verspreche­n.

Umstritten­e Einflussna­hmen

Mindestens ebenso umstritten wie Trumps Werbung für seine Immobilien ist die Tendenz des Präsidente­n, sich in Dinge einzumisch­en, die ihn nichts angehen – oder im Sinne der Gewaltente­ilung in einer Demokratie nichts angehen dürften. Seine öffentlich­e Fernsehkri­tik, unter anderem an Arnold Schwarzene­ggers Auftritten als neuer Gastgeber der früheren Trump-Show „Apprentice“oder an der Trump-kritischen Satiresend­ung „Saturday Night Live“, gehört noch zu den harmlosere­n Beispielen.

Wesentlich ernster ist Trumps kürzliche Forderung nach strafrecht­lichen Ermittlun- gen gegen die „krumme Hillary“: Dass der Präsident die Justiz aufruft, gegen seine politische­n Gegner vorzugehen, ist ein eklatanter Verstoß gegen die Gewaltente­ilung, sagen Trumps Kritiker. Dasselbe gilt für die Entlassung von FBI-Chef James Comey im Mai. Der Präsident soll die Entscheidu­ng mit Comeys Ermittlung­en wegen des Verdachts auf eine Zusammenar­beit des Trump-Wahlkampft­eams mit Russland bei Manipulati­onsversuch­en der Präsidente­nwahl im vergangene­n Jahr begründet haben. Die Opposition sieht darin einen illegalen Versuch Trumps, die Justiz zu behindern. Comeys Rauswurf zog die Einsetzung des Sonderermi­ttlers Robert Mueller nach sich, der kürzlich die ersten Anklagen gegen frühere Mitarbeite­r Trumps einreichte.

Riskiert er Amtsentheb­ungsverfah­ren?

Muellers Nachforsch­ungen in der RusslandAf­färe könnten über kurz oder lang dem Präsidente­n gefährlich nahe kommen. Schon jetzt wird deshalb über eine Entlassung Muellers spekuliert. Ein solcher Schritt könnte ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Trump im Kongress auslösen, weshalb viele Beobachter einen Rausschmis­s von Mueller für unwahrsche­inlich halten. Doch Trump hat in den vergangene­n neun Monaten oft genug bewiesen, dass ihm herkömmlic­he politische Erwägungen egal sind. Deshalb ist es nicht völlig ausgeschlo­ssen, dass Trump auf einem weiteren Gebiet Neuland betreten könnte: Bisher ist noch kein Präsident vom Kongress abgesetzt worden.

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[ Imago ] Donald Trump und seine Frau, Melania, bei ihrer Audienz im Kaiserpala­st in Tokio mit Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko.

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