„Schreiben Sie einfach Charakterspieler“
Jubiläum. Am 9. November feiert Burgschauspieler Martin Schwab seinen 80. Geburtstag. Der „Presse“erzählte er über seine schwäbische Heimat und 55 Bühnenjahre, über seine Treue zu Peymann und die Stimme Erwin Ringels.
Die Presse: Herr Schwab, was verbinden Sie mit dem 9. November? Martin Schwab: In erster Linie meinen Geburtstag. In zweiter Linie Martin Luther, der am 10. November geboren wurde und nach dem ich deshalb genannt wurde.
Der Tag ist in mehrfacher Hinsicht belastend und befreiend. Am 9. November 1918 wurde mit dem Ende des Ersten Weltkriegs die Weimarer Republik ausgerufen. 1923 wollte Hitler mit den Nazis von München aus die Reichsregierung stürzen. 1938 begannen an diesem Tag die Novemberpogrome. Ein Jahr später misslang Georg Elsers Attentat gegen Hitler. 1989 fiel die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland. Und 1937 sagte meine Mutter als protestantische Pfarrerstochter beim Amt, der Name Adolf komme für mich überhaupt nicht in Frage. Sie beharrte auf Martin.
Einige Ihrer Ahnen waren Winzer. Kann man das religiös, dionysisch deuten? Ja, wir hatten in der Familie Weingärtner. Da gibt es einen religiösen Bezug: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“Die schwäbische Landschaft ist für ihren einmaligen Wein bekannt, wie heißt es so schön? Kenner trinken Württemberger.
Ganz nah an ihrem Geburtsort liegt Jagsthausen, berühmt durch den „Götz von Berlichingen“. Und den Hauptort der Region kennt man durchs „Käthchen von Heilbronn“. Da müssen Sie doch ein Verehrer von Goethe und Kleist sein? Natürlich! Auch wenn Kleist ein Berliner war. Es gab in meiner Gegend zudem die Weiber von Weinsberg, denen Stauferkönig Konrad bei der Belagerung 1140 freies Geleit versprach, eher er die Burg stürmen wollte. Sie durften das Liebste mitnehmen. Diese listigen Frauen nahmen ihre Männer auf den Rücken. Der König ließ sie amüsiert ziehen. Zu Hohenstaufen habe ich ebenfalls einen Bezug. Als ich ein Schüler war, wurde Heilbronn evakuiert, und wir wurden in die Nähe von Göppingen gebracht. Dort bin ich ins Hohenstaufen-Gymnasium gegangen. Dieses hatte einst auch Hermann Hesse besucht.
Sie sollten nach dem Wirtschaftsabitur Chemiekaufmann werden. Wie kam es zu Ihrer Entscheidung fürs Theater? Weil die Chemiefirma Avia in der Nähe meiner Heimatstadt ihren Sitz hatte, drängte sich das Studium auf. Aber Schauspieler wollte ich schon immer werden. Die Bühne bedeutet für mich Freiraum. Ich bin an sich ein scheuer Mensch, aber auf der Bühne kann ich Sachen machen, die man im Leben nie machen darf.
Sie waren dann bei verschiedenen deutschen Stadttheatern. Gab es nie Momente, in denen Sie den Beruf in Zweifel stellten? Nie! Ich wollte immer für meinen Beruf leben. Das Schöne war, dass meine Karriere einfach gewachsen ist. Heute ist das schwerer für jüngere Kolleginnen und Kollegen. So viele Theater gibt es in der Provinz nicht mehr, die werden alle wegrationalisiert.
So wird man also zum Charakterspieler. Ich war nie jugendlicher Held oder Liebhaber, sondern Alles-Spieler in einem Dreispartenhaus. Ein Intendant hat mich einmal gefragt, was er in meinen Vertrag schreiben solle. Ich sagte: „Schreiben Sie einfach Charakterspieler.“Er erwiderte: „Charakter müssen wir alle haben.“
Die großen Häuser, an denen Sie gewirkt haben, waren Stuttgart, Bochum, Frankfurt, schließlich Wien. Inzwischen sind Sie bereits mehr als 30 Jahre am Burgtheater. Warum diese Treue? Ist es Liebe? Ich glaube, dass ich ein treuer Mensch bin. Vielleicht gehe ich auch deswegen wieder einmal zu Claus Peymann, diesmal nach Stuttgart, um den König Lear zu spielen.
Martin Kusej,ˇ ab 2019 Direktor an der Burg, kündigte an, dass viele aus dem Ensemble das Haus verlassen müssten. Er hat dazu einen recht unglücklichen Vergleich mit einer Suppe gemacht, die ausgeschüttet werde. Schockiert Sie das? Freilich. Da frage ich mich, ob er diese Schlagzeilen wirklich braucht. Wenn ich ihn direkt fragte, würde er wahrscheinlich sagen: „Geh Alter, reg dich nicht auf!“ Sie haben viele Direktionen des Burgtheaters erlebt. Gab es eine prägende? Ich präge mich schon selber, mein Leben, meine Frau, meine Familie machen das. Als ich 1987 fest hierher nach Wien kam, hat man mich öfters gefragt, ob mich denn der Peymann mitgebracht habe. Ich habe stets geantwortet, dass ich von selber hierhergekommen sei. Ich bin doch kein Mitbringsel!
Es muss für einen Schwaben schmerzhaft sein, als Piefke bezeichnet zu werden. Ich bin südlich der Weißwurstlinie aufgewachsen, das trifft mich nicht. Baden-Württemberg gehört, wie man an „Alpenkönig und Menschenfeind“sieht, eher zu Österreich als zu Preußen. Den Konflikt hat Peymann damals schon gesucht. Er hat sich hier anfangs ein wenig wie eine deutsche Besatzungsmacht aufgespielt. Heute hört man aber in Wien immer öfter, wie schön es unter Peymann war. Über Hartmann möchte ich gar nicht reden, über Bachler schon. Der wird zu wenig gewürdigt. Unter ihm gab es ein großes Programm, gute Leute. Und Karin Bergmann wird bei mir immer ein tolles Gedenken besitzen.
An welche Abende erinnern Sie sich gern? Ich lebe im Heute. Aber bei Turrinis „Tod und Teufel“habe ich noch die Stimme von Erwin Ringel im Ohr, der gesagt hat: „Dieses Stück ist ein höchst moralisches Stück!“Es gab viel Aufsehen wegen der Kritik an der katholischen Kirche, doch selbst Kardinal Schönborn fand das Drama gut recherchiert und gut gemacht. „Heldenplatz“war ebenfalls eine bemerkenswerte Geschichte. Damals fragten mich schon einige Leute: „Haben Sie das nötig, dass Sie so etwas machen?“Geschätzt habe ich Achim Freyers „Woyzeck“-Inszenierung. Ein Kunstwerk.
Derzeit spielen Sie einen der Handwerker in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Macht Ihnen das so viel Spaß, wie man ihn als Zuschauer empfindet? Regisseur Leander Haußmann hat uns sehr viel Freiraum zum Improvisieren gegeben. Da kamen lustige Sachen raus, aber man muss aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig übertrumpfen. (Schwab spielt mehrere Rollen lustvoll nach.)
Was sind Ihre Schwächen? Die kommen schon allein durch das Alter. Da kann man nicht mehr jeder Straßenbahn nachrennen. Man will auch seinen Mittagsschlaf halten. Meine Schwäche besteht vielleicht darin, nicht Nein sagen zu können.
Was machen Sie, wenn Sie eine Rolle unbedingt haben wollen? Äußern Sie das gegenüber der Schauspielleitung? Nie! Nehmen wir an, ich bringe vor, dass ich den Hamlet spielen wolle, und mein Ansprechpartner sagt: „Wirklich?“Das wäre peinlich. Natürlich denkt man, diese oder jene Rolle wäre doch etwas. Aber ich bin nie neidisch auf Kollegen. Als der liebe Gott den Neid verteilte, wurde ich übersehen.
Sie stehen seit 55 Jahren auf der Bühne. Wie gehen Sie damit um, dass Sie es inzwischen meist mit jüngeren Regisseuren zu tun haben? Das kann doch nicht immer konfliktfrei sein. Ist es sicher nicht, aber das gilt auch für die älteren. Bei den jüngeren gibt es manchmal Verständnisschwierigkeiten, wenn die manche Begriffe nicht mehr kennen, etwa Gnade oder göttliches Recht. Aber ich bin ja nicht fürs Gesamte verantwortlich, sondern muss in meinen Szenen durchsetzen, was ich meine. Das kann ein Kampf sein, doch selbst der ist nicht schlecht. Zu viel Gleichklang wäre auch nicht gut.
Haben Sie je Eigenes aufgeführt? Ja. An der Schauspielschule in Berlin haben ein Freund und ich ein sehr sozialkritisches Stück geschrieben und in Göttingen aufgeführt. Die lokale Presse schrieb: „Dieses Stück ist so schlecht! Aber es will schlecht sein. Denn die Gesellschaft ist schlecht.“
Wovon träumen Sie? Es ist nicht verboten, sondern sogar Pflicht zu träumen. Wach bleiben, damit die Träume nicht verloren gehen! Solange man noch positiv träumen kann, gibt es Hoffnung. Enden wir unser Gespräch doch mit Martin Luther, der gesagt hat: „Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“