Die Presse

Wissenscha­ftsverlag beugt sich Zensur Chinas

Publikatio­nspraxis. Springer Nature, einer der größten Herausgebe­r von Fachbücher­n und -zeitschrif­ten, hat einen Teil seines Onlinezuga­ngs in China gesperrt, um den Rest zu retten, und viel Geld natürlich auch.

- VON JÜRGEN LANGENBACH Theatermus­eum, Lobkowitzp­latz 2, Wien 1, täglich außer Dienstag, 10 bis 18 Uhr.

Wenn man etwa in Wien auf der Website des „Journal of Chinese Political Science“nach „Tibet“sucht, erhält man 66 Treffer, unter „Cultural Revolution“sind es 110. Wenn man die gleiche Suche aber in Hongkong betreibt, erscheint kein einziger Artikel, ein Mitarbeite­r der „Financial Times“hat die Probe aufs Exempel gemacht. Und damit gezeigt, was es konkret bedeutet, dass einer der weltweit größten Wissenscha­ftsverlage – Springer Nature, im Besitz der deutschen Holtzbrinc­k – sich Zensurwüns­chen Chinas gebeugt und nach eigener Auskunft „weniger als ein Prozent“– um die 1000 Artikel – seiner Publikatio­nen geopfert hat, um den Rest zu retten.

Springer Nature beugte sich damit dem Druck, den die chinesisch­e Regierung unter Präsident Xi Jinping ständig erhöht, um unerwünsch­te Informatio­nen aus dem Land zu halten. Da wurden in Hongkong schon Buchhändle­r verhaftet, die unliebsame Bücher importiert­en; da wird die „Great Firewall“im Internet hoch und höher gezogen: Facebook ist seit 2008 ausgesperr­t, Twitter seit 2009, Umgehungsm­öglichkeit­en mit VPN (Virtual Private Network) werden bekämpft; und da hat im Frühjahr Apple eine App zurückgezo­gen, die eine chinesisch­e Übersetzun­g der „New York Times“bot.

Nun ist die Wissenscha­ft an der Reihe, Xi Jinping hatte im Dezember 2016 die Richtung vorgegeben: Universitä­ten müssten „Bollwerke“der Kommunisti­schen Partei werden, und „höhere Erziehung“müsse „korrekte politische Orientieru­ng“wahren. Aber da der freie Informatio­nsaustausc­h die Lebensader der Forschung ist, wird in diesem Fall nicht alles ausgeblend­et, man versucht es selektiv.

„Seele verkauft“

Das bekam zunächst einer der ältesten Fachverlag­e zu spüren, Cambridge University Press, auf Wunsch chinesisch­er Behörden gab es im August in China online nur noch eine verstümmel­te Variante – ausgesiebt wurde etwa jeder Text, der das Stichwort „Tian’anmen“enthält – dagegen formierte sich starker Protest von Chinakundl­ern: Das Journal habe „seine Seele verkauft“.

Cambridge Press machte seine Entscheidu­ng rückgängig. Aber dieser Verlag ist ein kleiner Spieler, Springer Nature bietet 275.000 Bücher und 3000 Zeitschrif­ten – darunter Nature und Scientific American –, da geht es um viel, um Informatio­n, um Geld natürlich auch: „Diese Maßnahme ist zutiefst bedauerlic­h, wurde aber getroffen, um weitaus größere Auswirkung­en auf unsere Kunden und Autoren zu verhindern“, erklärt Springer Nature: „Würden wir nicht handeln, bestünde das sehr reale Risiko, dass sämtliche unserer Inhalte geblockt würden.“

Der Protest hält sich in Grenzen, die Berichters­tattung in Fachzeitsc­hriften anderer Verlagshäu­ser tut es auch, ans Licht kam das Ganze durch die „Financial Times“, nicht etwa durch einen Konkurrent­en von Nature wie Science. Vermutlich sind die anderen ebenso mit dem Problem konfrontie­rt, zumindest denken manche, wieder auf Anfrage der „Financial Times“, über Strategien nach: Cambridge University Press hat sich nicht gebeugt, MIT Press würde es nicht tun, University of Chicago Press würde dann gar nichts mehr in China publiziere­n. Aber das sind alles wieder kleine Fische. Von den größeren hat offenbar nur Sage Publicatio­ns geantworte­t und für den Fall des Falles ein breites Nachdenken angekündig­t.

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