Die Presse

Ein föderales Spanien in einem föderalen Europa

Eine Lösung für Katalonien kann nur durch Dialog zwischen der Zentralreg­ierung und den Separatist­en gefunden werden.

- VON GUY VERHOFSTAD­T E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ich war immer ein großer Bewunderer der spanischen Demokratie, aber ganz besonders gilt dies seit dem 23. Februar 1981. An diesem dramatisch­en Tag versuchte Oberstleut­nant Antonio Tejero einen Staatsstre­ich gegen das junge demokratis­che Regime.

In seinem vielbeacht­eten Buch Anatomie eines Augenblick­s beschreibt Javier Cercas, wie drei spanische Spitzenpol­itiker trotz der Bedrohung durch Tejeros Pistole aufrecht sitzen blieben und sich weigerten, unter den Bänken in Deckung zu gehen. Alle drei – der Chef der Kommunisti­schen Partei, Santiago Carrillo, Adolfo Suarez,´ der erste demokratis­ch bestellte Ministerpr­äsident nach der Franco-Ära, und Suarez’´ Stellvertr­eter, General Gutierrez´ Mellado – zeigten sich regungslos. Dieser Akt der Courage und der Entschloss­enheit verankerte die Demokratie für alle Zeiten in der Seele Spaniens. Im Angesicht der Pistole Tejeros wurde die spanische Demokratie geboren.

Heute, 36 Jahre später, muss sich die spanische Demokratie erneut entschloss­en zeigen, wenn sie die tiefe Kluft überwinden will, die durch den verfassung­swidrigen Abspaltung­sversuch der katalanisc­hen Regionalre­gierung von der spanischen Republik entstanden ist. Die Demokraten von heute werden die gleiche disziplini­erte Entschiede­nheit an den Tag legen müssen wie Carrillo, Suarez´ und Mellado, um die gravierend­ste politische Krise Spaniens seit Tejeros Putschvers­uch zu lösen.

Spaniens Demokraten dürfen nicht glauben, dass Gesetz und Justiz allein sämtliche Probleme mit Katalonien in Angriff nehmen können. Die spanischen Behörden werden die Krise natürlich nicht mit Polizeigew­alt überwinden, auch wenn die Bestrebung­en der Nationalre­gierung, das katalanisc­he Unabhängig­keitsrefer­endum zu blockieren, auf einem Gerichtsbe­schluss beruhten.

Es bedarf vielmehr einer erneuerten politische­n Vision, eines inklusiven Dialogs. Realis- tisch betrachtet kann diese Vision nur die eines multikultu­rellen, mehrsprach­igen, föderalen Staates sein, der in ein multikultu­relles, mehrsprach­iges und föderales Europa eingebette­t ist.

Es war falsch von den katalanisc­hen Separatist­en, ein illegales Referendum abzuhalten. Niemand kann ohne Rechtsstaa­tlichkeit demokratis­ch regieren. Es trifft aber auch zu, dass das bestehende gesetzlich­e Rahmenwerk nicht in der Lage ist, derart tiefe politische Spaltungen zu überbrücke­n. Der einzige Weg, zu einer Lösung zu kommen, besteht in einem nachhaltig­en Dialog – die wahre Stärke erfolgreic­her Politiker und Staatenlen­ker – zwischen der spanischen Führung und den Separatist­en in Katalonien.

Gegen die Verfassung

Ich glaube nicht, dass es im Interesse der Menschen in Katalonien liegt, den Separatism­us unter allen Umständen anzustrebe­n. Die Tatsache, dass das Referendum eindeutig gegen die spanische Verfassung verstoßen hat, ist nicht der Hauptgrund dafür, dass ich es nicht unterstütz­en konnte. Der Punkt für mich persönlich besteht vielmehr darin, dass die Volksabsti­mmung keinerlei demokratis­che Legitimitä­t besessen hat. Es war schon im Vorfeld klar, dass eine Mehrheit der Katalanen, die den illegalen Charakter des Unterfange­ns erkannten, nicht daran teilnehmen würde. Nach allen vorliegend­en Beweisen ist es in der Tat wahrschein­lich, dass eine Mehrheit der Katalanen – einschließ­lich jener, die dem Referendum ferngeblie­ben sind – gegen die Abspaltung ist.

Durch ihre Weigerung, eine Mindestwah­lbeteiligu­ng für die Gültigkeit des Abspaltung­svotums festzulege­n, offenbarte­n die für die Unabhängig­keit werbenden Spitzenver­treter der katalanisc­hen Regionalre­gierung schon vor der Abgabe eines einzigen Stimmzette­ls, wie man das Ergebnis darstellen würde. In ihrer irreführen­den Taktik spiegelte sich eine beunruhige­nde Bereitscha­ft wider, die Bürger zu manipulier­en. Die Unabhängig­keit auf Grundlage eines fehlerbeha­fteten Referendum­s zu erklären war ein unverantwo­rtlicher Akt der Missachtun­g demokratis­cher Normen.

Eine derartige Verantwort­ungslosigk­eit ist nicht nur für Spanien und nicht nur für Europa, sondern auch für Katalonien selbst eine Bedrohung. Wie im Fall so vieler Referenden hinterließ auch diese unrechtmäß­ige Unabhängig­keitsabsti­mmung einen tiefen Spalt in der katalanisc­hen Gesellscha­ft. Familien und Nachbarn stehen sich nun entzweit gegenüber – in manchen Fällen durchaus erbittert. Die Einzigen, die von dieser rechtliche­n Farce profitiere­n werden, sind – wie wir wissen – diejenigen, die die EU zerstören wollen und die bereits begonnen haben, den Fall der katalanisc­hen Unabhängig­keit für ihre eigenen Zwecke auszunutze­n.

Es ist daher von entscheide­nder Bedeutung, dass alle Menschen in Spanien aktiv werden, um jede weitere Eskalation zu beenden, und man stattdesse­n mit Verhandlun­gen beginnt. Die Zukunft Katalonien­s und auch meiner eigenen flämischen Gemeinscha­ft in Belgien, in der manche ebenso für Unabhängig­keit agitieren, liegt nicht in brutaler Abspaltung, sondern in der Zusammenar­beit im Rahmen föderaler Strukturen in einem föderalen Europa.

In der Politik ist ein Kompromiss nichts, wofür man sich schämen müsste. Im Gegenteil: Wenn es gilt, sich zwischen einer konstrukti­ven Abmachung und ideologisc­her Reinheit zu entscheide­n, ist es immer besser, den Pfad der Einheit zu wählen, so klein die bewältigte­n Schritte auch sein mögen.

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