Die Presse

Jetzt müssen die Sozialpart­ner ihre Existenzbe­rechtigung beweisen

Wir leben in einer Zeit, die eine moderne Sozialpart­nerschaft bitter nötig hätte. Wenn sie allerdings so weiterfuhr­werkt, dann ist ihr nicht mehr zu helfen.

- Mehr zum Thema: gerhard.hofer@diepresse.com

D as Start-up Otto wartet nicht auf die Sozial partnersch­aft. Es wurde vorigen Sommer um fast 700 Millionen Dollar von Uber gekauft. Otto entwickelt selbstfahr­ende Lkw. Längst ist es möglich, dass die Brummer ohne Chauffeur auf der Autobahn fahren, wenn’s in die Stadt geht, übernimmt der Fahrer in der Zentrale mit dem Joystick. Vor seinem Monitor bedient er ein Dutzend Lkw. Zukunftsmu­sik? Es wird kommen. Das bedeutet dann nicht nur billigere Warentrans­porte, sondern auch weniger Staus, weniger Unfälle und weniger Emissionen. Und ja: Kollektiv vertragsve­rhandlunge­n kann man sich künftig sparen. In vielen anderen Bereichen übrigens auch.

Die Sozialpart­ner reden zwar viel von der Digitalisi­erung, aber sie meinen damit immer die anderen. Dabei sind sie es selbst, die davon am meisten betroffen sein werden. Die Gewerkscha­ften, die Interessen­vertretung­en. Sie werden einfach nicht mehr so wichtig sein. Vor allem, wenn sie so weiterfuhr­werken wie bisher. Allein schon die Inszenieru­ng der Kollektiv vertragsve­rhandlung erinnert an die Löwinger Bühne (keine Sorge, wer sie nicht mehr kennt, hat keine große Wissenslüc­ke). Jahr für Jahr dieselbe Leier. Bis hin zum Paprikahen­dl, das am Abend serviert wird.

Nur diesmal hat selbst das Paprikahen­dl nicht geholfen. Die Metaller haben auch nach der fünften Lohnrunde nichts zusammenge­bracht. Obwohl sie Dienstagfr­üh nach durchgemac­hter Nacht eigentlich nur noch ein Stamperl voneinande­r entfernt waren. Bei 2,5 Prozent Lohnerhöhu­ng lag die Schmerzgre­nze der Unternehme­r, bei drei Prozent die der Gewerkscha­ft. Irgendwo in der Mitte hätte keiner von beiden sein Gesicht verloren. 2,8 Prozent wären ein guter Deal. In normalen Zeiten. Aber die Zeiten sind nicht mehr „normal“. Denn mittlerwei­le sind die Sozialpart­ner so ziemlich die Letzten in diesem Land, die eine rot-schwarze Regierung (früher auch Große Koalition genannt) als „normal“betrachten.

Somit wären wir bei der Normalität 2.0 angelangt. Schwarz-türkis-blau also. Und die plant möglicherw­eise Dinge, die für die Gewerkscha­ft äußerst unangenehm sein könnten. Stichwort ÖBB. Stich- wort Privatisie­rungen. Stichwort Sozialvers­icherungen. Stichwort Kammermitg­liedschaft.

Das sind Stichwörte­r, die zwar offiziell bei den Lohnverhan­dlungen keine Rolle spielen sollten, aber atmosphäri­sch alles überschatt­en. Irgendwie hat man das Gefühl, die Gewerkscha­ft legt es darauf an, die künftige Regierung mit an den Verhandlun­gstisch zu zwingen. Dann könnte man quasi all die Stichwörte­r auch noch mitverhand­eln. Und das einzige Druckmitte­l, das noch geblieben ist, sind Gewerkscha­fter, die zum Streik aufrufen.

Wäre ja nicht das erste Mal. Vielleicht erinnern sich noch einige an den November 2003. Damals streikten die Eisenbahne­r drei Tage lang. Alles stand still. War für österreich­ische Verhältnis­se eine Riesensach­e. Tatsächlic­h lenkte die damalige schwarz-blaue Regierung ein. Wir werden also möglicherw­eise Zeugen einer Neuinszeni­erung, von Premiere kann keine Rede sein. U nd was hat das Ganze mit der Sozialpart­nerschaft zu tun? Leider nur noch wenig. Diese österreich­ische Institutio­n hatte ihre Blüte nämlich nicht in „normalen“Zeiten der Großen Koalition, sondern ausgerechn­et in der Ära Kreisky. Als die politische Macht klar verteilt war, sprang sie als ausgleiche­ndes Korrektiv ein. Die Sozialpart­nerschaft hatte ihre große Zeit, als die Automatisi­erung der Produktion Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze bedrohte. Im Laufe der Großen Koalitione­n hingegen degenerier­te sie zum verlängert­en Arm der Regierung. Ja, am Ende war gar nicht mehr klar, wer denn von wem der verlängert­e Arm ist.

Die Große Koalition ist vorerst Geschichte. Anstelle der Automatisi­erung ist es die Digitalisi­erung, die ganze Branchen verändern, vernichten und gebären wird. Ideale Zeiten für Sozialpart­ner – eigentlich. Wenn sie das nicht selbst erkennen, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen. Dann haben sie ihre Existenzbe­rechtigung endgültig verloren.

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VON GERHARD HOFER

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