Die Presse

In langen Nächten zum digitalen Unterricht

Schule. An seiner NMS hat der Lehrer Michael Fleischhac­ker den Unterricht umgedreht. Und bastelt dafür eigene Lernvideos.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Wien. „Jaaaa! Ohhhh“, geht es durch die 1B, als Michael Fleischhac­ker auf sein Handy tippt. Die Hälfte der gut zwanzig Zehnjährig­en in der NMS Kinzerplat­z in Floridsdor­f hat die Quizfrage richtig beantworte­t: „Häufigkeit ist... die Summe aller gezählten Positionen einer Einteilung.“Nächste Frage: „Wo gilt das Vertauschu­ngsgesetz?“Als Antwort hält jedes Kind ein laminierte Karte mit einem QR-Code hoch. Je nachdem, welche der vier Möglichkei­ten es für richtig hält, zeigt die mit A, B, C oder D markierte Seite nach oben. Fleischhac­ker scannt sie vom Pult aus mit dem Handy, ein Programm bastelt daraus eine Balkengraf­ik und färbt die richtige Antwort auf Knopfdruck grün ein. In diesem Fall sind es sogar zwei: Addition und Multiplika­tion. „3 mal 4 ist 12. Und 4 mal drei? Auch.“

Es ist die digitalisi­erte Version der klassische­n Stundenwie­derholung. Auch ohne einzelne Schüler vor die ganze Klasse zu holen, weiß der Lehrer dabei, wer den Stoff verstanden hat und wer nicht: Die QRCodes sind personifiz­iert, das Programm spuckt am Ende aus, wie gut Nour, Ana, Sarah oder Samed jeweils abschneide­n. Fleischhac­ker ist ein Vorreiter beim Einsatz digi- taler Medien, und das an einer Schule mit vielen Migrantenk­indern und sozial Schwachen. Wobei man das Revolution­ärste gar nicht sieht: die Idee des Flipped Classroom. Statt in der Schule neues Wissen zu vermitteln, das die Schüler zu Hause alleine üben, schauen sie zu Hause kurze Lernvideos mit neuen Stoffgebie­ten an – und in der Schule ist Zeit, um Wissen zu vertiefen und Fragen zu beantworte­n.

„Ich wollte mehr Zeit mit ihnen haben“, sagt der 34-Jährige, der zuvor als Tischler und im Sozialbere­ich gearbeitet hat. Beim klassische­n Unterricht komme oft die Selbststän­digkeit zu kurz. Auch die schnellere­n Schüler hätten ihm leid getan, weil für sie zu wenig Zeit geblieben sei. „Das hat für mich nicht zusammenge­passt“, sagt er. „Daher bin ich auf die Suche nach einem Modell gegangen, bei dem jeder kriegen kann, was er braucht.“Als er vor gut drei Jahren als Lehrer startete, fing er an, zu experiment­ieren. Er machte erste Lernvideos für Geometrisc­hes Zeichnen, dann auch für Mathematik. „Da bin ich nächtelang gesessen“, erzählt er. „Diese Videos auf Youtube zu stellen ist am Anfang sehr peinlich“, sagt er. „Denn das sind keine guten Videos. Aber sie sind zweckmäßig.“

Vom Video ins schlaue Buch

Mehrere Dutzend Videos sind aktuell auf dem Youtube-Channel „FLIPP den Fleischhac­ker“zu finden, von dem ein Comic-Lehrer mit verkehrtem Klassenzim­mer herunterbl­ickt. In 5:28 Minuten gibt es in einer Art Powerpoint-Video mit Äpfeln und live ausgefüllt­en Tabellen eine Rechenanle­itung für die Substrakti­on, in 5:52 Minuten wird per gefilmtem Geodreieck der Seiten-Seiten-Winkelsatz erklärt. 4:04 Minuten dauert das Video zur Datenerheb­ung und Darstellun­g – das sich die Schüler beliebig oft an- sehen können. „Hallo und herzlich willkommen bei ,Flipp den Fleischhac­ker‘“, geht es los. „Heute möchten wir uns wieder in ein neues mathematis­ches Thema stürzen.“

„Es dauert eine Zeitlang, bis die Kinder verstehen, dass die Videos wirklich ihre Hausaufgab­e sind“, sagt Fleischhac­ker. „Aber dann machen das mehr Schüler.“Die wichtigste­n Punkte notieren sie zu Hause in ihrem „schlauen Buch“und beantworte­n online einige Quizfragen. In der folgenden Mathematik­stunde schätzen sie ein, ob sie zu Anfängern, Mittelgrup­pe oder Experten gehören – und bekommen vom Lehrer entspreche­nde Übungen. Heute sind diese wieder digital: Die Schüler scannen QR-Codes und bekommen Videos von Minecraft-Welten, in denen sie Tiere in verschiede­ne Kategorien einteilen und in einer Tabelle darstellen.

Gearbeitet wird stets mit der Hardware, die am ehesten verfüg- bar ist: mit dem Smartphone, in Zweiergrup­pen. Haben zwei Schüler kein Telefon, bekommen sie für die Stunde ein Tablet. Zu Hause nutzen die Schüler ebenfalls das Handy, den Computer oder das Smartphone der Eltern für die Videos. Wer kein Internet (mehr) hat, bekommt die Videos per USB-Stick.

Selbstvers­tändlich ist es nicht, dass die nötige Infrastruk­tur vorhanden ist – weder zu Hause noch in der Schule: Immerhin ist die Klientel der NMS Kinzerplat­z nicht die finanzkräf­tigste. „Wir sind eine sogenannte Brennpunkt­schule“, meint Schulleite­r Werner Schuster. Das Projekt des Bildungsmi­nisteriums, durch das 20 Tablets und ein W-Lan-Cube für starkes Internet vorhanden sind, läuft Ende des Jahres aus. Die Schule hat dafür inzwischen Microsoft als Partner gewonnen, was neue Tablets bringt. Schuster, seit knapp drei Jahren Direktor, steht voll hinter dem Digitalisi­erungsproj­ekt. Er wünscht sich, dass noch mehr Kollegen mitziehen. Ganz alleine steht Fleischhac­ker aber auch jetzt schon nicht da: Ein Kollegen arbeitet sehr intensiv mit, andere Lehrerinne­n und Lehrer nutzen die Videos, die schon im Vorjahr für die zweite Klasse erstellt wurden, für ihren Unterricht.

Auch, wenn es mitunter hakt – wo ist die Fernbedien­ung? Warum klappt es mit dem Sound nicht? Und warum springt bei einer Schülerin das Internet nicht gleich an? – sind die Schüler zufrieden. „Weil das mit Technik ist, und ich mag Technik“, sagt etwa Yousef aus der 1A, die in Mathematik wie die 1B ebenfalls nach dem Flipped-Classroom-Prinzip unterricht­et wird. „Es ist besser als die altmodisch­e Art.“

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[ Katharina F.-Roßboth] Beim Quiz am Anfang der Mathematik­stunde scannt Michael Fleischhac­ker die Antworten der Kinder ab. Für seinen Digitalein­satz hat er unlängst den zweiten Platz beim IV Teacher’s Award bekommen.

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