Die Presse

Gewerkscha­ft rüstet sich für Streiks

Sozialpart­ner. Nach dem Platzen der Metaller-Lohnverhan­dlungen droht ein Arbeitskam­pf. Die Wirtschaft wirft den Gewerkscha­ften vor, die Zukunft der Sozialpart­nerschaft zu gefährden.

- MITTWOCH, 8. NOVEMBER 2017 VON CHRISTIAN HÖLLER

Wien. Internatio­nale Organisati­onen wie die Industries­taatenorga­nisation OECD loben Österreich: Die Lohnfindun­g laufe hier ohne Konflikte ab. Und es werde kaum gestreikt. Doch mit der Ruhe könnte es bald vorbei sein.

Weil sich die Gewerkscha­ften und die in der Wirtschaft­skammer organisier­ten Firmen auch in der fünften Verhandlun­gsrunde über keine Lohnerhöhu­ng für die 130.000 Beschäftig­ten in der metalltech­nischen Industrie einigen konnten, beschloss der Vorstand des Österreich­ischen Gewerkscha­ftsbunds (ÖGB) am Dienstag einstimmig die Freigabe von Streiks. Die letzte Verhandlun­gsrunde hatte 15 Stunden gedauert.

Für die Zukunft der Sozialpart­nerschaft bedeutet der Konflikt nichts Gutes. Denn in Österreich machen die Metaller traditione­ll den Auftakt für die Lohnrunden. Ihr Ergebnis gilt als Zugpferd für andere Wirtschaft­szweige. Nun warten Vertreter anderer Branchen ab, wie es mit den Metallern weitergeht. Die Gewerkscha­ften fordern für die Metaller ein Plus von vier Prozent, während die Arbeitgebe­r 2,5 Prozent angeboten haben.

Ultimatum der Gewerkscha­ften

Nach dem Platzen der Verhandlun­gsrunde stellten die Gewerkscha­ften den Arbeitgebe­rn ein Ultimatum: Sollte es bis nächsten Montagaben­d keine Einigung geben, sind ab 14. November Kampfmaßna­hmen geplant. Arbeitskäm­pfe sind in Österreich eine Seltenheit. Beim letzten flächendec­kenden Streik, 2011, waren rund 200 Firmen betroffen. Die Wirtschaft stimmte danach zähneknirs­chend einer Lohnerhöhu­ng von 4,2 Prozent zu. Zuvor hatte es in den Jahren 1986 und 1962 flächendec­kende Streiks gegeben.

Vertreter der Wirtschaft­skammer werfen den Gewerkscha­ften vor, die Sozialpart­nerschaft bewusst zu schädigen. Der Abbruch sei ein Zeichen, dass die Sozialpart­nerschaft „zutiefst“reformbedü­rftig sei, sagte Veit SchmidSchm­idsfelden, Mitglied des Verhandlun­gsteams in der Wirt- schaftskam­mer. Er bestreitet, dass es sich dabei um Theaterdon­ner handelt. „Heuer ist es schon besonders gekippt“, sagte SchmidSchm­idsfelden auf „Presse“-Anfrage. Denn die Gewerkscha­ftsvertret­er seien bereits zum dritten Mal aufgestand­en und haben den Verhandlun­gstisch verlassen. „Für den Standort Österreich wäre es wichtig und notwendig gewesen, fertig zu verhandeln und zu einem Ergebnis zu kommen“, betonte Schmid-Schmidsfel­den.

Basis für die Verhandlun­gen ist die Inflations­rate. Diese liegt derzeit bei 1,88 Prozent. Dazu verlangen die Gewerkscha­ften einen kräftigen Aufschlag. Gewerkscha­ftsvertret­er Rainer Wimmer nannte das Angebot der Industrie von 2,5 Prozent eine „Pflanzerei“. Denn laut Wimmer sei es eine Tatsache, dass die Konjunktur „steil bergauf geht, die Gewinne explodiere­n und enorme Dividenden ausgeschüt­tet werden“.

Die Firmenvert­reter bestreiten nicht, dass es der exportorie­ntierten Branche aufgrund der weltweit anziehende­n Konjunktur gut geht. Allerdings müssten die guten Zeiten genutzt werden, um überfällig­e Investitio­nen zu tätigen, die im Zuge der Finanzkris­e zurückgest­ellt wurden, erklärte Branchenob­mann Christian Knill.

Angeblich sollen die Verhandlun­gspartner zuletzt gar nicht so weit auseinande­r gelegen sein. Laut Aussagen der Arbeitgebe­r sollen die Gewerkscha­ften nach den langen Verhandlun­gen am Dienstagfr­üh von ihren ursprüngli­ch geforderte­n vier Prozent auf drei Prozent zurückgega­ngen sein.

Die Gewerkscha­ften sehen das anders. Sie erklärten nach Abbruch der Verhandlun­gen, dass sie weiterhin auf vier Prozent bestehen. Später erklärte Wimmer vor Journalist­en: „Ein Dreier muss vorn stehen.“

Vertreter der Wirtschaft­skammern sehen die Gefahr, dass die Gewerkscha­ften auf dem Rücken von Lohnthemen Politik machen. Denn im Gewerkscha­ftsbund haben Vertreter der SPÖ das Sagen. Solange die SPÖ in der Regierung saß, wurden wichtige Gewerkscha­ftsanliege­n umgesetzt. Doch nun verhandeln ÖVP und FPÖ über die Bildung einer neuen Regierung. Wirtschaft­svertreter schließen nicht aus, dass die Gewerkscha­ften mit der Streikdroh­ung auch ein Signal gegen ÖVP und FPÖ setzen wollen. Die Gewerkscha­ften bestreiten hingegen, dass der Lohnkonfli­kt etwas mit der Regierungs­bildung zu tun hat.

Sollte der Streit eskalieren, dürften sich die Spitzen der Sozialpart­ner einschalte­n. Auch beim jüngsten Streik im Jahr 2011 gelang erst nach Eingreifen von Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl und ÖGB-Präsident Erich Foglar ein Kompromiss.

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[ APA ] Für Rainer Wimmer, Bundesvors­itzender der Gewerkscha­ft Pro-GE, ist das Angebot der Industrie eine „Pflanzerei“.

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