Die Presse

Wurde Chopins Herz von Tuberkulos­e gebrochen?

Ein Experten-Augenschei­n auf das in einer Kirche in Warschau aufbewahrt­e Organ bestätigt den alten Verdacht. Aber Zweifel bleiben. Als Polen 1918 unabhängig wurde, wurde das Herz zur Ikone der Nation.

- VON JÜRGEN LANGENBACH Mails an: juergen.langenbach@diepresse.com

Schwör mir, dass sie meinen Körper aufschneid­en, damit ich nicht lebendig begraben werde!“Das forderte Fred´eric´ Chopin, bevor er 1849 mit 39 Jahren in Paris starb. Der polnische Komponist litt nicht nur an einer bösen Krankheit, sondern auch an Taphephobi­e, der damals verbreitet­en Angst, scheintot ins Grab zu kommen, manche Särge hatten deshalb innen Klingelknö­pfe. Und Chopin wollte eben auf einem anderen Weg sicher gehen. Seine Schwester kam dem Wunsch nach und ließ den Leichnam obduzieren, dann wurde der Großteil des Körpers auf dem Friedhof P`ere Lachaise in Paris bestattet. Das Herz hingegen kam in ein Glasgefäß – und vermutlich in Cognac –, das kam in eine Holzschatu­lle, die Schwester schmuggelt­e es ins russisch besetzte Warschau. Dort wurde es 1879 in eine Säule in der Heilig-KreuzKirch­e eingelasse­n: „Hier ruht das Herz von Frederick Chopin“.

Als Polen 1918 unabhängig wurde, wurde die Säule zum Nationalsc­hrein: „Unsere ganze Vergangenh­eit singt in Chopin, unsere ganze Sklaverei weint in ihm“, intonierte Erzbischof Antoni Szlagowski 1926. Bald gab es wieder zu weinen, und die nächsten Besatzer hatten ein gespaltene­s Verhältnis zu Chopin: Offiziell war seine Musik verboten, aber Generalgou­verneur Hans Frank, der „Schlächter von Polen“, ließ sie zu, wenn der Komponist „Schopping“genannt wurde. Und Erich von dem Bach-Zelewski, der SS-Offizier, der den Warschauer Aufstand bestia- lisch zusammensc­hlagen ließ, hatte auch einen Sinn für Kunst: Er rettete das Herz, er wollte es in einer pompösen Zeremonie dem polnischen Volk übergeben, vor laufenden Kameras.

Aber der Strom fiel aus. Seitdem ist das Herz wieder im Dunkeln, in jeder Hinsicht: Es ist unklar, woran Chopin gestorben ist, man vermutet vor allem Tuberkulos­e, sie plagte ihn von früh so sehr, dass es etwa einer Gräfin d’Agoult auffiel: „Chopin hustet mit unendliche­r Anmut“. Er selbst nahm es auch bisweilen mit Humor: „Ehe ich mich morgens ausgehuste­t habe, ist es bereits zehn Uhr.“

Am Ende konnte er vor Schwäche nicht mehr gehen, komponiere­n schon lange nicht mehr. Aber ist er wirklich daran gestorben? Es gibt andere Kandidaten, Zystische Fibrose vor allem. Ein Blick auf das Herz könnte helfen, 2014 bot sich die Gelegenhei­t, ein Team um Michael Witt (Polnische Akademie der Wissenscha­ften) nahm sie wahr. Und hat jetzt publiziert, was ihm vor Agen kam: Das Herz zeigt eine Folge von Tuberkulos­e, eine Herzbeutel­entzündung: „Diese Komplikati­on war vermutlich die Ursache des Todes“( The American Journal of Medicine 11. 10.).

Vermutlich? Das Herz wurde nur in Augenschei­n genommen, es blieb in seinem Behälter, eine DNA-Analyse wurde von der Kirche und Chopins Familie verweigert. Nur sie hätte klären können, ob es Zystische Fibrose war. Und nur sie hätte klären können, ob das Herz überhaupt das von Chopin ist oder in den vielen Wirren ausgetausc­ht wurde.

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