Die Presse

Bekommt Österreich Geschlecht X?

Intersexua­lität. Das deutsche Bundesverf­assungsger­icht gibt Personen, die nicht eindeutig Mann oder Frau sind, ein Recht auf Eintragung eines dritten Geschlecht­s. Ähnliches könnte in Österreich bevorstehe­n.

- VON BENEDIKT KOMMENDA UND DUYGU ÖZKAN

Wien/Karlsruhe. Den Namen hat sich Vanja ausgesucht, weil es sowohl männliche Träger gibt als auch weibliche. Vanja ist 27 und wurde als Mädchen geboren, das stand zumindest in ihrem Geburtenre­gister. Seit mehreren Jahren kämpft Vanja dafür, dass Deutschlan­d das dritte Geschlecht anerkennt. Demnach soll es im Geburtenre­gister neben „männlich“und „weiblich“die Wahlmöglic­hkeit „inter“oder „divers“geben. Nun hat die höchste Instanz Vanja und Mitstreite­rn recht gegeben: Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe fordert das dritte Geschlecht im Geburtenre­gister. In Österreich sind vergleichb­are Verfahren anhängig. Wird auch hier ein Höchstgeri­cht zum Schluss kommen, ein Geschlecht X ist nötig?

Die Zahl der Personen, die medizinisc­h keinem der beiden Geschlecht­er klar zuzuordnen sind, wird auf etwa eine von tausend geschätzt. Deren ausdrückli­che Anerkennun­g hat das Bundesverf­assungsger­icht mit dem Persönlich­keitsrecht und dem Verbot der Diskrimini­erung begründet, die im Grundgeset­z verankert sind. Einen ersten Schritt in Richtung Anerkennun­g gab es in Deutschlan­d bereits vor vier Jahren, als es möglich wurde, das Geschlecht in der Geburtsurk­unde einfach nicht auszufülle­n.

Aktivisten wie Vanja sagen dazu aber, dass Leerstelle­n nicht reichen: Statt einer „negativen“Eintragung (Leerstelle) soll sich nun eine „positive“ergeben (konkrete Definition). Wie das Bundesverf­assungsger­icht bestätigt, werde mit einer fehlenden Angabe nicht abgebildet, „dass die beschwerde­führende Person sicht nicht als geschlecht­slos begreift und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat“. Der Gesetzgebe­r hat bis Ende 2018 Zeit für eine verfassung­sgemäße Neuregelun­g. Ein „bürokratis­cher und finanziell­er Aufwand“durch eine Neuregelun­g müsse hingenomme­n werden.

Auch in Österreich kämpft eine Person vor zwei Höchstgeri­chten um Anerkennun­g eines dritten Geschlecht­s: Alex J., 1976 mit einem für einen Mann viel zu kleinen Geschlecht­steil geboren, dennoch als männlich im Geburtenbu­ch eingetrage­n, dann aber auf ärztliches Anraten als Mädchen aufgezogen. Auch Operatione­n wurden vorgenomme­n, mittels Hormonen weibliche Brüste aufgebaut. Die hat sich Alex nach schweren persönlich­en Krisen wieder entfernen lassen; heute fühlt Alex sich weder als Frau noch als Mann.

Also wollte Alex das Geschlecht auch vom Standesamt korrigiere­n lassen. Das sah sich jedoch außerstand­e, ein drittes Geschlecht zu registrier­en. Auch eine Beschwerde an das Landesverw­altungsger­icht Oberösterr­eich blieb ohne Erfolg; laut Anwalt Helmut Graupner, Alex’ Rechtsvert­reter, argumentie­rte das Standesamt dort nur, für die Eintragung eines dritten Geschlecht­s nicht die nötige Software zu haben; das Gericht selbst ergänzte noch, dass die österreich­ische Rechtsordn­ung insgesamt von zwei Geschlecht­ern ausgehe. Tatsächlic­h ist etwa in Artikel 7 der Bundesverf­assung nur von der Gleichstel­lung von Mann und Frau die Rede.

Experte gibt Alex Chance vor Gericht

Dennoch hat Alex den Verwaltung­s- und den Verfassung­sgerichtsh­of angerufen. Graupner zufolge stützt sich die Beschwerde auf das Datenschut­zgesetz, das im Verfassung­srang ein Recht auf Richtigste­llung unrichtige­r Daten enthält. Und auf das in Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion garantiert­e Recht auf Achtung des Privatlebe­ns. Christian Kopetzki, Experte für Medizinrec­ht an der Uni Wien, hält es für gut möglich, dass Alex recht bekommt. „Das wäre eine schlüssige Fortentwic­klung der höchstgeri­chtlichen Judikatur, wonach Transsexue­lle ein Recht auf Anerkennun­g des subjektiv empfundene­n Geschlecht­s haben“, sagt Kopetzki zur „Presse“. Transsexue­lle sind Personen, die sich geschlecht­lich anders fühlen, als ihr Körper ist, und von Mann zu Frau werden oder umgekehrt.

Bemerkensw­ert ist, dass das Personenst­andsgesetz gar nicht verlangt, im Personenst­andsregist­er „männlich“oder „weiblich“einzutrage­n, sondern bloß „das Geschlecht“. Damit könnte der Verfassung­sgerichtsh­of einfach eine neue Auslegung des Gesetzes verlangen, ohne dieses aufzuheben. Das Innenminis­terium meint hingegen, dass diese Frage nicht auf Vollzugseb­ene zu lösen sei, sondern nur durch den Gesetzgebe­r.

Eine rechtliche Unterschei­dung nach dem Geschlecht besteht in Österreich im Wesentlich­en nur noch im ungleichen Pensionsal­ter und bei der Wehrpflich­t. Ob weiterhin nur zwei Personen ungleichen Geschlecht­s heiraten dürfen, prüft der Verfassung­sgerichtsh­of zurzeit.

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