Die Presse

Loblied für Israel POP

Pop. Wer Israel beleidige, sei auf es eifersücht­ig, singt der große alte Exzentrike­r des Britpop auf seinem neuen Album. Es enthält auch einen Song über ein Mädchen aus Tel Aviv.

- VON THOMAS KRAMAR

Morrissey, Exzentrike­r des Britpop, singt in seinem neuen Album auch über ein Mädchen aus Tel Aviv.

God bless Israel“: Mit diesem Satz beendete Morrissey 2008 ein Konzert in Tel Aviv. Eine sympathisc­he Referenz an das Gastland, möchte man meinen. Zugleich aber ein Ärgernis für die antizionis­tische Bewegung, die sich BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) nennt und in der Popbranche erstaunlic­h viele Anhänger hat. Darunter Ex-Pink-Floyd-Bassist Roger Waters, der Kollegen heftig zu attackiere­n pflegt, wenn sie in Israel auftreten.

Morrissey gab solcher Kritik nicht nach, ganz im Gegenteil: Bei seinem Konzert in Tel Aviv 2012 hüllte er sich in eine israelisch­e Flagge, und im August 2016 erklärte er ebendort, dass er stolz darauf sei, dass der Bürgermeis­ter von Tel Aviv ihm symbolisch einen Schlüssel der Stadt überreicht habe.

Nun, auf dem neuem Album „Low in High School“heißt ein hymnischer Song „Israel“. „In other climes they bitch and whine“, singt Morrissey mit dem großen Pathos, auf das er sich wie kein anderer im Pop versteht, „just because you’re not like them, Israel.“Und: „The sky is dark for many others, they want it dark for you as well.“Wer Israel beleidige, sei eben auf es eifersücht­ig. Auf Kritik an militärisc­hen Aktionen Israels könne er nicht eingehen, singt er: „I can’t answer for what armies do, they are not you.“

Dann klingt sogar das Motiv des erwählten Volkes an, seltsam vermischt mit der christlich­en Idee der Erbsünde, aus der – wie aus dem Vielgötter­glauben – Israel entronnen sei, wenn man den selbst katholisch er- zogenen Morrissey richtig versteht: „You were born as guilty sinners, before you stood upright you fell, put the fear of many gods in Israel.“Heikles Terrain, auch theologisc­h.

Ein zweites Lied auf dem Album bezieht sich direkt auf Israel: Der Titel „The Girl from Tel Aviv Who Wouldn’t Kneel“spielt wohl auf das Theaterstü­ck „The Girl Who Wouldn’t Kneel“an, das 2010 in Tel Aviv lief: Es beruhte auf den Tagebücher­n der holländisc­h-jüdischen Lehrerin Etty Hillesum, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Der Text des Songs schweift nach dem Lob auf ein Mädchen aus Tel Aviv („would not kneel for husband, dictator, tyrant or king“) allerdings ab, auf eine für Morrissey typische Ohrfeige für die amerikanis­che Lebensart: „The American way, displayed proudly, is to show lots of teeth and talk loudly.“

Vorwürfe der „Islamophob­ie“

Das klingt immerhin deutlich friedliche­r als frühere politische Äußerungen Morrisseys in Songform, man denke an das der Premiermin­isterin Thatcher gewidmete „Margaret on a Guillotine“. Auch der Queen wünschte er in einem Lied den Tod und bezeichnet­e ihre Familie als Schnorrer. Seine kräftigen Aussagen gegen fleischlic­he Kost („Meat Is Murder“) sind legendär.

Nach dem Terroransc­hlag in seiner Geburtssta­dt Manchester am 22. Mai 2017 kritisiert­e Morrissey, dass der islamistis­che Hintergrun­d zu wenig deutlich genannt werde, worauf ihn vor allem orthodoxe Linke als „islamophob“abkanzelte­n. Auch die deutsche Popzeitsch­rift „Spex“, die ihn über Jahrzehn- te treu gelobt hatte, strafte ihn nun für seine Israel-Songs mit einem Verriss.

Seine Enttäuschu­ng mit dem „arabischen Frühling“behandelt Morrissey im neuen Song „In Your Lap“; auch in „Spent the Day in Bed“empfiehlt er den Rückzug ins Private: „I recommend that you stop watching the news!“Denn, so erläutert er in seinem unveränder­t eleganten Englisch: „The news contrives to frighten you.“Am Ende bleiben konkrete Slogans der Freiheit: „No emasculati­on, no castration. No highway, freeway, motorway. No bus, no boss, no rain, no train.“Präsidente­n mögen kommen und gehen, singt er in einem anderen schönen Stück: „But all the young people, they must fall in love.“

Hier hört man in der Melodie noch die Leichtigke­it, Beweglichk­eit, die für Morrissey einst, vor allem mit seiner Band The Smiths, typisch war. Sie ist inzwischen einem kräftigen Sound gewichen, der die Theatralik der Texte dick unterstrei­cht: Hier werden Trompeten geblasen, hier wird getrommelt und gepaukt, hier darf die Gitarre apokalypti­sch dröhnen. Etwa im dramatisch­en „I Bury the Living“, in dem Morrissey in die Rolle eines „sweet little soldier“schlüpft, der entdeckt, dass er nur Kanonenfut­ter ist.

Oder in „Who Will Protect Us From the Police?“, in dem er Panzer besingt, die die Redefreihe­it attackiere­n. Erst am Ende des Songs wird offenbar, wo dieses Szenario spielt: „Venezuela“, skandiert er. Dort, in Caracas, ist Morrissey 2016 aufgetrete­n, wie in Bangkok, Saigon und Singapur. Er kommt herum in der Welt, dieser alte grimmige Brite, und er macht sich seinen Reim daraus.

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 ?? [ St. Etienne ] ?? „All the young people, they must fall in love“: Der heute 58-jährige, konsequent ohne Vornamen firmierend­e Morrissey – hier beim Kontakt mit seinen Fans – singt auf seinem neuen Album „Low in High School“nicht nur über politisch Relevantes. Aber eben auch.
[ St. Etienne ] „All the young people, they must fall in love“: Der heute 58-jährige, konsequent ohne Vornamen firmierend­e Morrissey – hier beim Kontakt mit seinen Fans – singt auf seinem neuen Album „Low in High School“nicht nur über politisch Relevantes. Aber eben auch.

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