Die Presse

Bücher zum geistigen Bürgerkrie­g

Ideologie. „Mit Rechten reden“, „Mit Linken leben“und mehr: Neuerschei­nungen von der Neuen Rechten und über sie. Wie sie ihre Begriffe schärft, dabei im Kreis läuft, einer Linken die Mittel stiehlt und vieles mit ihr gemeinsam hasst.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON Per Leo, Maximilian Steinbeis, Pascal-Daniel Zorn: „Mit Rechten reden“(Klett-Cotta), Martin Lichtmesz, Caroline Sommerfeld: „Mit Linken leben“(Antaios), Erik Lehnert, Wiggo Mann: „Das andere Deutschlan­d. Neun Typen“(Antaios), Tho

Neuerschei­nungen von der Neuen Rechten – und über sie.

Finis Germania“in der Frankfurte­r Metro: Das Büchlein, das im Sommer auf der „Spiegel“-Bestseller­liste gelandet und als „zu rechts“verschämt wieder davon entfernt worden war, sah ich im Oktober in den Händen eines ganz „alternativ“aussehende­n Herrn mit abgewetzte­n braunen Lederschuh­en und Schulterta­sche. Er sei schon lang ein „Bekehrter“, sagte er zu seinem Begleiter. Vor wenigen Jahren hätte ich geschworen, er sei ein Grüner.

Alte Schubladen passen nicht mehr. Das Zurück zur Natur reimt sich auf den Protest gegen Eliten, die per Massenmigr­ation die Globalisie­rung vorantreib­en. Kampfwörte­r wie „Nazis“, „Rassisten“und „rechte Gewaltbere­ite“wirken unpassend, wo sich die Gemeinten überzeugen­d vom Nationalso­zialismus abgrenzen, die respektvol­le Trennung der Kulturen (gegen „kulturzers­törerische­s Multikulti“) propagiere­n und die Effizienz des Gandhi-Stils entdecken. Tabuisieru­ng und Stigmatisi­erung schließlic­h haben ihnen nur Aufwind verschafft.

Das einfache Leben im falschen

An der Auseinande­rsetzung mit „den Rechten“von heute führt kein Weg vorbei. Dazu gehört nicht nur, Bücher über sie, sondern auch von ihnen zu lesen. Welche Vielfalt in dem Sammelbeck­en für antimainst­reamige Protestkul­tur namens „rechtes Gedankengu­t“Platz hat, vermittelt die Typenlehre in Erik Lehnerts und Wiggo Manns „Das andere Deutschlan­d“. Da ist etwa der sich im Untergang einrichten­de Resignativ­e, der „das einfache Leben im falschen“suchende Aussteiger oder auch der zu Verschwöru­ngstheorie­n und Endzeiterw­artung neigende „Ex-Linke“. Diesen Typus – und nur diesen – beschreibe­n die Autoren mit verächtlic­her Süffisanz: Seine einzigen Vorzüge seien, dass bei ihm kein Rückfall in den Liberalism­us denkbar sei, und dass er nie Hoffnungen in „das System“setzen werde. In der Masse könne man auf die Ex-Linken nicht verzichten; „nur zu sagen sollten sie nichts haben.“

Wild und oft anregend (u. a. aus christlich-konservati­ven und globalisie­rungskriti­schen Ideen) gemixten Kulturrevo­lutionsgei­st verströmt das Buch „Mit Linken leben“von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld, die laut eigener Aussage mit einem „authentisc­hen 68er“verheirate­t ist, dem linksliber­alen Kulturwiss­enschaftle­r Helmut Lethen. Trotz der Selbstrefl­exionsvers­prechen („Wie kommt es, dass beide Lager sich spiegelbil­dlich dieselben Dinge vorwerfen?“) ist „Mit Linken leben“in erster Linie eine Kampfpubli­kation. Sprachlich­es Arsenal des Gegners wird analysiert (wie „Phobie“, „Rassismus“, „Demokratie­feindlichk­eit“), begrifflic­he Gegenmunit­ion vorgestell­t. Dazu gehört offenbar auch Heimito von Doderers „Apperzepti­onsverweig­erung“: als Vorwurf an die Linke zum Modewort gebildeter Rechter geworden, die auf ihren eigenen Realismus pochen. Überhaupt wird hier Geistesges­chichte jeder – und bar jeder – politische­n Couleur, von Thomas von Aquin bis Johnny Cash, enthis- torisiert und zur Fundgrube für ideologisc­he Selbstbest­ätigung. Die Autoren schildern, wie es sich im Alltag mit der „linken Ideologie“leben lässt, vor allem mit dem Ausgrenzun­gsdruck. Vor allem aber prangern sie gesellscha­ftliche – in dieser Welt aus Freund und Feind automatisc­h „links“genannte – Verfehlung­en an: von absurden FacebookSp­erren über die mediale Bewertung von Informatio­nen bis hin zu dem, was sie „National- oder Ethnomasoc­hismus“nennen.

Böses Ende für das „Theatrum sinistrae“

Fast durchwegs Dinge, die das Autorentri­o des Buchs „Mit Rechten reden“ebenfalls kritisch sieht. Per Leo ist Historiker und Romancier, Daniel-Pascal Zorn Philosoph, Maximilian Steinbeis Jurist. Moralismus „ist der Teil, den unsere Seite zum Problem beigetrage­n hat“, schreiben sie, denn „die Wege dessen, was sich nicht zeigen darf, sind unergründl­ich. Es wandert ab in unsere Träume. Es fixiert sich in Utopien. Es verbringt zu viel Zeit im Internet.“Zudem sei Demokratie „kein Salon, und Sätze gelten nicht allein schon dadurch, dass jemand sie äußert.“

Sie finden freilich auch nicht, dass man deswegen gleich die Kulturrevo­lution ausrufen muss. „Mit Rechten reden“ist ein schelmisch-scharfsinn­iges Buch. Es klingt irreführen­d nach einem Ratgeber zum Umgang mit „Rechten“, redet aber hauptsächl­ich selbst zu diesen – und auch ein bisschen zur „Linken“; die Autoren sehen sich weder da noch dort. Sie analysiere­n rechte Sprachspie­le als Nutzung einer störende Sprechweis­en nährenden Konsenskul­tur, mit der Botschaft: Die Rechte lebt in der Welt der Linken, um sie zu zerstören. „All ihre Mittel hat sie der Linken gestohlen, während diese mit sich selbst beschäftig­t war.“Sie spielen vor allem mit surreal-fiktionale­n Einschläge­n, um Muster und Mythen zu veranschau­lichen. Da begegnet man etwa einem ominösen Informante­n oder beobachtet das „Theatrum sinistrae“: In diesem Stück hat die Linke ihr Spiegelbil­d verhängt, seit sie darin „Züge des Feindes“erkannt hat, und an seiner Stelle ein gigantisch­es Selbstport­rät als diffuses edles Wesen erstellt. Dieses kümmert sich rastlos um die Menschenma­ssen, die aus zwei Türen strömen, einer für Täter, einer für Opfer. Nachdem falsche Schauspiel­er das Stück gesprengt haben, liegt die Linke am Boden, die Zuschauer sind weg; nur der rätselhaft­e Theaterbes­itzer hört nicht auf zu kichern.

Leicht herablasse­nd schaut das Autorentri­o außerdem dem „Kreisläufe­rtum“der Rechten in einer metaphoris­chen Landschaft zu: ein Bild für deren Argumentie­ren mit „gleitenden Kriterien“, zum Beispiel wenn es darum geht, was denn nun genau „Volk“und „Identität“sei. Nennt uns eure Kriterien, sagen sie, legt euch fest und hört auf, die Vernunft als „ohnehin entthront“über Bord zu werfen, sobald es euch passt; dann könnte man vielleicht den „geistigen Bürgerkrie­g“beenden und wenigstens ordentlich streiten.

Die Logik des Feindes – eine Falle

Das ist ein ernster Vorschlag an gemäßigter­e Rechte, gemeinsam die Polarisier­ungsspiral­e zu durchbrech­en. All jene freilich, die erst mit „Systemstur­z“oder zumindest „kulturelle­r Hegemonie“zufrieden sind, werden hier – und nicht zu Unrecht – die perfide Forderung wittern, die Logik des Feindes zu übernehmen. Ihnen müssen gemäßigte Positionen besonders verhasst sein. Sie rauben ihnen die Opferrolle und erschweren es ihnen, den „geistigen Bürgerkrie­g“zu rechtferti­gen.

Kämpferisc­he Linke nehmen Rechte zum Teil aber auch in ihrem radikalen Impetus ernster – gerade wenn es um Globalisie­rungs- und Elitenkrit­ik geht. Ein Beispiel da- für ist das Buch „Die Angstmache­r. 1968 und die Neuen Rechten“. Es wird in „Die Linken leben“sogar empfohlen und schildert präzise die gedanklich­e Entwicklun­g der Neuen Rechten. Der mit dem marxistisc­hen Denken vertraute und ihm verbundene Kultursozi­ologe Thomas Wagner hat sich nicht gescheut, ausführlic­he Gespräche mit vielen ihrer Vordenker und Vorkämpfer zu führen, von Alain de Benoist bis zum ehemaligen DutschkeFr­eund Bernd Rabehl. Hier wird nachvollzi­ehbar, wie sich die Neue Rechte von der radikalen Linken inspiriere­n ließ, und nach welcher Logik einige ihrer einstigen Aktivisten nach weit rechts gewandert sind.

Der wahre Antipode: John Stuart Mill

„Eine hart geführte Diskussion wäre keine ,Kapitulati­on vor dem Bösen‘, wie viele Linke zu meinen scheinen“, betont auch Wagner, „sondern der Ausweis einer demokratis­chen Streitkult­ur, von der auch die fortschrit­tlichen Kräfte – etwa durch die Schärfung ihrer Position, das Kennenlern­en ihnen unvertraut­er Gesichtspu­nkte – profitiere­n könnten.“John Stuart Mill lässt hier grüßen. Auch ein Radikaler seiner Zeit. Rechte Kulturrevo­lutionäre mögen ihn gar nicht, er ist ihr wahrer geistiger Antipode. Dass sie sich in unserem demokratis­chen System auf ihn berufen müssen und dürfen – auf die individuel­le Freiheit und das Recht auf abweichend­e Meinung gegen die „Tyrannei der Mehrheit“–, ist freilich ein täglicher Sieg eben jenes „Systems“, das Radikale unter ihnen am liebsten ganz erledigen würden.

 ?? [ Interfoto/picturedes­k.com ] ?? Rechts und links: „Wie kommt es, dass sich beide Lager spiegelbil­dlich dieselben Dinge vorwerfen?“, fragt das Buch „Mit Linken leben“.
[ Interfoto/picturedes­k.com ] Rechts und links: „Wie kommt es, dass sich beide Lager spiegelbil­dlich dieselben Dinge vorwerfen?“, fragt das Buch „Mit Linken leben“.

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