Bücher zum geistigen Bürgerkrieg
Ideologie. „Mit Rechten reden“, „Mit Linken leben“und mehr: Neuerscheinungen von der Neuen Rechten und über sie. Wie sie ihre Begriffe schärft, dabei im Kreis läuft, einer Linken die Mittel stiehlt und vieles mit ihr gemeinsam hasst.
Neuerscheinungen von der Neuen Rechten – und über sie.
Finis Germania“in der Frankfurter Metro: Das Büchlein, das im Sommer auf der „Spiegel“-Bestsellerliste gelandet und als „zu rechts“verschämt wieder davon entfernt worden war, sah ich im Oktober in den Händen eines ganz „alternativ“aussehenden Herrn mit abgewetzten braunen Lederschuhen und Schultertasche. Er sei schon lang ein „Bekehrter“, sagte er zu seinem Begleiter. Vor wenigen Jahren hätte ich geschworen, er sei ein Grüner.
Alte Schubladen passen nicht mehr. Das Zurück zur Natur reimt sich auf den Protest gegen Eliten, die per Massenmigration die Globalisierung vorantreiben. Kampfwörter wie „Nazis“, „Rassisten“und „rechte Gewaltbereite“wirken unpassend, wo sich die Gemeinten überzeugend vom Nationalsozialismus abgrenzen, die respektvolle Trennung der Kulturen (gegen „kulturzerstörerisches Multikulti“) propagieren und die Effizienz des Gandhi-Stils entdecken. Tabuisierung und Stigmatisierung schließlich haben ihnen nur Aufwind verschafft.
Das einfache Leben im falschen
An der Auseinandersetzung mit „den Rechten“von heute führt kein Weg vorbei. Dazu gehört nicht nur, Bücher über sie, sondern auch von ihnen zu lesen. Welche Vielfalt in dem Sammelbecken für antimainstreamige Protestkultur namens „rechtes Gedankengut“Platz hat, vermittelt die Typenlehre in Erik Lehnerts und Wiggo Manns „Das andere Deutschland“. Da ist etwa der sich im Untergang einrichtende Resignative, der „das einfache Leben im falschen“suchende Aussteiger oder auch der zu Verschwörungstheorien und Endzeiterwartung neigende „Ex-Linke“. Diesen Typus – und nur diesen – beschreiben die Autoren mit verächtlicher Süffisanz: Seine einzigen Vorzüge seien, dass bei ihm kein Rückfall in den Liberalismus denkbar sei, und dass er nie Hoffnungen in „das System“setzen werde. In der Masse könne man auf die Ex-Linken nicht verzichten; „nur zu sagen sollten sie nichts haben.“
Wild und oft anregend (u. a. aus christlich-konservativen und globalisierungskritischen Ideen) gemixten Kulturrevolutionsgeist verströmt das Buch „Mit Linken leben“von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld, die laut eigener Aussage mit einem „authentischen 68er“verheiratet ist, dem linksliberalen Kulturwissenschaftler Helmut Lethen. Trotz der Selbstreflexionsversprechen („Wie kommt es, dass beide Lager sich spiegelbildlich dieselben Dinge vorwerfen?“) ist „Mit Linken leben“in erster Linie eine Kampfpublikation. Sprachliches Arsenal des Gegners wird analysiert (wie „Phobie“, „Rassismus“, „Demokratiefeindlichkeit“), begriffliche Gegenmunition vorgestellt. Dazu gehört offenbar auch Heimito von Doderers „Apperzeptionsverweigerung“: als Vorwurf an die Linke zum Modewort gebildeter Rechter geworden, die auf ihren eigenen Realismus pochen. Überhaupt wird hier Geistesgeschichte jeder – und bar jeder – politischen Couleur, von Thomas von Aquin bis Johnny Cash, enthis- torisiert und zur Fundgrube für ideologische Selbstbestätigung. Die Autoren schildern, wie es sich im Alltag mit der „linken Ideologie“leben lässt, vor allem mit dem Ausgrenzungsdruck. Vor allem aber prangern sie gesellschaftliche – in dieser Welt aus Freund und Feind automatisch „links“genannte – Verfehlungen an: von absurden FacebookSperren über die mediale Bewertung von Informationen bis hin zu dem, was sie „National- oder Ethnomasochismus“nennen.
Böses Ende für das „Theatrum sinistrae“
Fast durchwegs Dinge, die das Autorentrio des Buchs „Mit Rechten reden“ebenfalls kritisch sieht. Per Leo ist Historiker und Romancier, Daniel-Pascal Zorn Philosoph, Maximilian Steinbeis Jurist. Moralismus „ist der Teil, den unsere Seite zum Problem beigetragen hat“, schreiben sie, denn „die Wege dessen, was sich nicht zeigen darf, sind unergründlich. Es wandert ab in unsere Träume. Es fixiert sich in Utopien. Es verbringt zu viel Zeit im Internet.“Zudem sei Demokratie „kein Salon, und Sätze gelten nicht allein schon dadurch, dass jemand sie äußert.“
Sie finden freilich auch nicht, dass man deswegen gleich die Kulturrevolution ausrufen muss. „Mit Rechten reden“ist ein schelmisch-scharfsinniges Buch. Es klingt irreführend nach einem Ratgeber zum Umgang mit „Rechten“, redet aber hauptsächlich selbst zu diesen – und auch ein bisschen zur „Linken“; die Autoren sehen sich weder da noch dort. Sie analysieren rechte Sprachspiele als Nutzung einer störende Sprechweisen nährenden Konsenskultur, mit der Botschaft: Die Rechte lebt in der Welt der Linken, um sie zu zerstören. „All ihre Mittel hat sie der Linken gestohlen, während diese mit sich selbst beschäftigt war.“Sie spielen vor allem mit surreal-fiktionalen Einschlägen, um Muster und Mythen zu veranschaulichen. Da begegnet man etwa einem ominösen Informanten oder beobachtet das „Theatrum sinistrae“: In diesem Stück hat die Linke ihr Spiegelbild verhängt, seit sie darin „Züge des Feindes“erkannt hat, und an seiner Stelle ein gigantisches Selbstporträt als diffuses edles Wesen erstellt. Dieses kümmert sich rastlos um die Menschenmassen, die aus zwei Türen strömen, einer für Täter, einer für Opfer. Nachdem falsche Schauspieler das Stück gesprengt haben, liegt die Linke am Boden, die Zuschauer sind weg; nur der rätselhafte Theaterbesitzer hört nicht auf zu kichern.
Leicht herablassend schaut das Autorentrio außerdem dem „Kreisläufertum“der Rechten in einer metaphorischen Landschaft zu: ein Bild für deren Argumentieren mit „gleitenden Kriterien“, zum Beispiel wenn es darum geht, was denn nun genau „Volk“und „Identität“sei. Nennt uns eure Kriterien, sagen sie, legt euch fest und hört auf, die Vernunft als „ohnehin entthront“über Bord zu werfen, sobald es euch passt; dann könnte man vielleicht den „geistigen Bürgerkrieg“beenden und wenigstens ordentlich streiten.
Die Logik des Feindes – eine Falle
Das ist ein ernster Vorschlag an gemäßigtere Rechte, gemeinsam die Polarisierungsspirale zu durchbrechen. All jene freilich, die erst mit „Systemsturz“oder zumindest „kultureller Hegemonie“zufrieden sind, werden hier – und nicht zu Unrecht – die perfide Forderung wittern, die Logik des Feindes zu übernehmen. Ihnen müssen gemäßigte Positionen besonders verhasst sein. Sie rauben ihnen die Opferrolle und erschweren es ihnen, den „geistigen Bürgerkrieg“zu rechtfertigen.
Kämpferische Linke nehmen Rechte zum Teil aber auch in ihrem radikalen Impetus ernster – gerade wenn es um Globalisierungs- und Elitenkritik geht. Ein Beispiel da- für ist das Buch „Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten“. Es wird in „Die Linken leben“sogar empfohlen und schildert präzise die gedankliche Entwicklung der Neuen Rechten. Der mit dem marxistischen Denken vertraute und ihm verbundene Kultursoziologe Thomas Wagner hat sich nicht gescheut, ausführliche Gespräche mit vielen ihrer Vordenker und Vorkämpfer zu führen, von Alain de Benoist bis zum ehemaligen DutschkeFreund Bernd Rabehl. Hier wird nachvollziehbar, wie sich die Neue Rechte von der radikalen Linken inspirieren ließ, und nach welcher Logik einige ihrer einstigen Aktivisten nach weit rechts gewandert sind.
Der wahre Antipode: John Stuart Mill
„Eine hart geführte Diskussion wäre keine ,Kapitulation vor dem Bösen‘, wie viele Linke zu meinen scheinen“, betont auch Wagner, „sondern der Ausweis einer demokratischen Streitkultur, von der auch die fortschrittlichen Kräfte – etwa durch die Schärfung ihrer Position, das Kennenlernen ihnen unvertrauter Gesichtspunkte – profitieren könnten.“John Stuart Mill lässt hier grüßen. Auch ein Radikaler seiner Zeit. Rechte Kulturrevolutionäre mögen ihn gar nicht, er ist ihr wahrer geistiger Antipode. Dass sie sich in unserem demokratischen System auf ihn berufen müssen und dürfen – auf die individuelle Freiheit und das Recht auf abweichende Meinung gegen die „Tyrannei der Mehrheit“–, ist freilich ein täglicher Sieg eben jenes „Systems“, das Radikale unter ihnen am liebsten ganz erledigen würden.