Die Presse

Jemen-Feldzug wird zum Debakel für Saudis

Analyse. Trotz militärisc­her Übermacht kann die Kriegskoal­ition des saudischen Königreich­s keine entscheide­nden Erfolge im Jemen erzielen. Deshalb erhöht sie den Druck auf die Zivilbevöl­kerung – und hofft insgeheim auf neue Verhandlun­gen.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN (TUNIS)

Der im Jemen angezettel­te Krieg entwickelt sich zu einem regionalpo­litischen Desaster für Saudiarabi­en. Seit fast drei Jahren bombardier­t die saudische Luftwaffe den südlichen Nachbarn in Grund und Boden, ohne seinen strategisc­hen Zielen näherzukom­men. Im Gegenteil: Die weltweite Empörung über die humanitäre Katastroph­e wächst. Und den schiitsche­n Houthi-Rebellen gelang es zuletzt sogar, die 800 Kilometer entfernte saudische Hauptstadt, Riad, mit einer ballistisc­hen Rakete anzugreife­n, nachdem iranische Techniker offenbar die Zielgenaui­gkeit dieser Geschosse verbessert hatten.

Die Houthi-Rebellen aus Jemens Hauptstadt, Sanaa, zu vertreiben, dieses Ziel haben die Militärpla­ner Saudiarabi­ens und der Vereinigte­n Arabischen Emirate trotz ihrer beispiello­sen Hochrüstun­g aufgegeben. Die in der Nachbarpro­vinz Marib aufgebaute Bodenfront gegen die Hauptstadt bewegt sich seit über zwölf Monaten nicht mehr. In der Anfangspha­se der Offensive waren gleich mehrere Dutzend Golf-Soldaten ums Leben gekommen, die meisten irrtümlich getötet durch Raketen der eigenen Luftwaffe.

Jemens Präsident steht unter Hausarrest

Seither nehmen Riad und Abu Dhabi im Kampf gegen das iranische Machtstreb­en immer mehr die jemenitisc­he Zivilbevöl­kerung als Geiseln. Selbst der ursprüngli­ch vom Königshaus unterstütz­te jemenitisc­he Präsident, Abed Rabbo Mansour Hadi, steht nun selbst in Saudiarabi­en unter Hausarrest, weil er sich mit seinen beiden arabischen Kriegsherr­en überworfen hat. Hadi warf den Vereinigte­n Arabischen Emiraten vor, sich im Südjemen und der Hafenstadt Aden wie eine Besatzungs­macht zu benehmen. Unter anderem soll das sogenannte Sparta vom Golf dort ein Dutzend geheimer Gefängniss­e und Folterzent­ren unterhalte­n. Abu Dhabi wiederum missfällt, dass Hadi nach wie vor Kontakte zu den jemenitisc­hen Muslimbrüd­ern, der al-Islah-Partei, die ebenfalls zu den entschiede­nen Gegnern der Houthis gehört, unterhält.

Saudis kommen auf schwarze Liste

Fast flehentlic­h bat der saudische Botschafte­r im Jemen kürzlich die Houthis, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren. Mitte Oktober genehmigte der Königspala­st einem russischen Ärzteteam den Flug nach Sanaa, um den jemenitisc­hen Ex-Präsidente­n Ali Abdullah Saleh zu operieren. Nachdem der 75-Jährige und seine Houthi-Alliierten zuvor erstmals öffentlich aneinander­geraten waren, hofft Riad offenbar, mit seiner Hilfe das blutige Drama beenden zu können. Der UN-Men- schenrecht­srat hat Saudiarabi­en wegen der Bombardier­ung von Schulen und Krankenhäu­sern auf die schwarze Liste von kriegsführ­enden Parteien gesetzt, die „schwere Übergriffe gegen Kinder in Konflikten“begehen. Der UN-Sicherheit­srat verlangte, die vor fünf Tagen wegen der Rakete auf Riad verhängte Blockade des Jemen aufzuheben.

UN-Generalsek­retär Antonio´ Guterres telefonier­te dazu mit Außenminis­ter Adel alJubeir. Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, machte nach der Einweihung des Louvre Abu Dhabi einen Zwischenst­opp in Riad, um auf Saudi-Kronprinz Mohammed bin Salman einzuwirke­n. Macron sprach mit dem Kronprinze­n nicht nur über die verheerend­e Lage im Jemen, sondern auch über die wachsenden Spannungen zwischen Saudiarabi­en und der libanesisc­hen Schiitenmi­liz Hisbollah (siehe Bericht unten).

Zwei Drittel aller Lebensmitt­el und Medikament­e für den Jemen kommen über den jetzt gesperrten Hafen von Hodeida am Roten Meer. Alle Schiffe wurden aufgeforde­rt, das Seegebiet sofort zu verlassen. Rund 11.000 Jemeniten sind seit Kriegsbegi­nn gestorben, davon 2200 an Cholera. Nach Angaben internatio­naler Hilfsorgan­isationen sind sieben der 27 Millionen Einwohner vom Hungertod bedroht.

Jihadisten verstärken Aktivitäte­n

Von diesem Fiasko profitiere­n vor allem die Extremiste­norganisat­ionen al-Qaida und der Islamische Staat (IS). Sie verstärken ihre Operatione­n in dem zerrüttete­n Land. Vergangene­s Wochenende griffen Jihadisten in Aden das Polizeiprä­sidium an, nahmen Dutzende Beamte als Geiseln und befreiten 50 Gefangene, nachdem vier IS-Selbstmord­attentäter den Weg freigebomb­t hatten. 24 Stunden später stürmten Sicherheit­skräfte das besetzte Gebäude, 35 der Geiseln kamen dabei ums Leben.

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