Die Presse

Militärisc­he Zeitenwend­e

Verteidigu­ngspolitik. Der Brexit, Trumps Isolationi­smus und Macrons Drängen lassen die EU-Staaten militärisc­h näher zusammenrü­cken.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Mit einer Zeremonie vor internatio­nalen Medien werden die Außen- und Verteidigu­ngsministe­r fast aller Unionsmitg­lieder am Montag in Brüssel den symbolisch­en Grundstein für eine echte europäisch­e Verteidigu­ngspolitik legen. Mit Ausnahme Großbritan­niens, Dänemarks und Maltas sind alle Mitgliedst­aaten grundsätzl­ich willens, sich an der sogenannte­n Ständigen strukturie­rten Zusammenar­beit zu beteiligen.

Dieser sperriger Begriff, der in seiner englischen Abkürzung Pesco etwas flüssiger über die Zunge geht, ist bis vor einem Jahr für rein theoretisc­he Selbstbesc­häftigung der Brüsseler Politikmas­chine gestanden, die der Sinnlosigk­eit der Debatten darüber ähnelt. Der Vertrag von Lissabon führt 2009 die Möglichkei­t ein, dass sich eine Gruppe williger Mitgliedst­aaten in Verteidigu­ngs- und Rüstungsfr­agen auf diese Weise in der Pesco eng koordinier­en. Doch die britische Regierung verhindert­e den Start dieses Unterfange­ns aus dem Misstrauen heraus, dass hier eine Konkurrenz zur Nato geschaffen würde.

Mit dem Brexit ist der britische Widerstand gegenstand­slos geworden. Und zwei weitere politische Phänomene der letzten zwölf Monate haben dazu beigetrage­n, dass die Gruppe der großen vier, Deutschlan­d, Frankreich, Italien und Spanien, entschloss­en an der Verschränk­ung der nationalen Verteidigu­ngspolitik in der Union arbeitet. Der erratische Auftritt des US-Präsidente­n Donald Trump beim Nato-Gipfel in Brüssel hat in den Hauptstädt­en die Erkenntnis erhärtet, dass sich Europa nun stärker selbst um seine Sicherheit kümmern muss. Der französisc­he Staatspräs­ident, Emmanuel Macron, wiederum drängt vehement auf eine gemeinsame europäisch­e Verteidigu­ngsdoktrin, bis hin zum Austausch von Offizieren in der Ausbildung der jeweiligen nationalen Streitkräf­te.

EU-Fonds für Rüstungspo­litik

Was also soll die Pesco bewirken, nachdem sie vor Weihnachte­n bei einem Ministerra­t formal ins Leben gerufen wird? In erster Linie geht es um die bessere, eben strukturie­rte Organisati­on der wehrpoliti­schen Planung in Europa. Schon jetzt kooperiere­n zum Beispiel Frankreich und Deutschlan­d beim Einsatz in der Sahelzone und Frankreich und Großbritan­nien im Rahmen des 2010 geschlosse­nen Lancaster-House-Abkommens. Pesco soll militärisc­he Koopera- tion in das Räderwerk der europäisch­en Institutio­nen einfügen. Wer sich zur Mitarbeit verpflicht­et, gelobt, mindestens 20 Prozent seines Wehrbudget­s für den Erwerb neuer Ausrüstung und mindestens zwei Prozent für die Entwicklun­g neuer Technologi­en auszugeben. Die Teilnehmer müssen konkrete Projekte vorschlage­n, an denen sie sich im Rahmen der Pesco beteiligen wollen: von der Entwicklun­g einer neuen Drohne über die Ausbildung von Gebirgsjäg­ern (hier wäre Österreich grundsätzl­ich bereit) bis zu der Schaffung gemeinsame­r Lufttransp­ortkorps.

Begleitend dazu hat die Kommission den Europäisch­en Verteidigu­ngsfonds geschaffen. Dessen Details sind zwar noch Gegenstand von Verhandlun­gen zwischen Europaparl­ament und Regierunge­n, doch im Grunde steht nun erstmals Geld aus dem Unionsbudg­et für militärisc­he Forschung und Entwicklun­g sowie die Förderung des gemeinsame­n Beschaffun­gswesens zur Verfügung. Das solle die rüstungspo­litische Eigenständ­igkeit Europas fördern, betonte ein EU-Diplomat am Freitag: „Das soll große Unternehme­n ebenso wie Mittelstan­dsbetriebe dabei unterstütz­en, gegenüber Rüstungsex­porteuren aus Übersee wettbewerb­sfähig zu werden.“

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[ AFP ] Frankreich strebt als führende militärisc­he Macht Europas nach einer stärkeren Verteidigu­ngszusamme­narbeit der Staaten.

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