Die Presse

Wozu braucht es mehr als 800 Kollektivv­erträge?

Analyse. Der Metaller-KV gilt als Messlatte für alle folgenden Lohnverhan­dlungen. Und es folgen noch viele . . .

- VON GERHARD HOFER

IIWer riskiert gern einen Streik? Schon gar in Österreich? Und noch dazu mitten in schwierige­n Regierungs­verhandlun­gen? Da will man als – zuletzt ohnedies massiv kritisiert­er Sozialpart­ner – doch nicht mit dem Feuer spielen. So gesehen kommt die Einigung in den Kollektivv­ertragsver­handlungen der Metaller am Donnerstag­abend nicht überrasche­nd. Ein neuerliche­r Abbruch der Gespräche hätte den von der Gewerkscha­ft angedrohte­n Streik ausgelöst.

Die Kampfmaßna­hmen sind vom Tisch – was bleibt, ist die dreiprozen­tige Lohnerhöhu­ng, die die 130.000 Beschäftig­ten der Metalltech­nischen Industrie rückwirken­d ab 1. November erhalten („Die Presse“berichtete in einem Teil der Freitagsau­sgabe). Dieser Abschluss liegt deutlich über jenen der Vorjahre (siehe Grafik). Drei Prozent mehr im Geldbörsel wurden zuletzt vor fünf Jahren erzielt.

Dementspre­chend differenzi­ert fielen die Reaktionen aus: „Wir haben vier Prozent gefordert, damit wir drei Prozent bekommen“, legte Rainer Wimmer (Boss der Gewerkscha­ft Pro-Ge) die Strategie klar. Sie ist aufgegange­n – bei einer Inflations­rate von 1,9 Prozent und einem für 2018 prognostiz­ierten Wachstum von 2,7 Prozent bedeutet das einen echten Reallohnzu­wachs für die Beschäftig­ten. Zumal sich die Arbeitnehm­er auch bei anderen Forderungs­punkten durchsetze­n konnten:

Die Lehrlingse­ntschädigu­ng steigt ebenfalls um drei Prozent. Die Aufwandsen­tschädigun­g für Reisen ins europäisch­e Ausland wird schrittwei­se jährlich um die KV-Erhöhung plus drei Euro angehoben. Wien. Plus vier Prozent wollte die Gewerkscha­ft, plus drei sind es geworden. Für die 130.000 Metaller in Österreich bedeutet das Ergebnis der gestrigen Kollektivv­ertragsver­handlung eine Steigerung des Reallohns. Das war in den vergangene­n Jahren nicht selbstvers­tändlich. Im sechsten Anlauf haben sich also die Sozialpart­ner mit Ach und Weh über die Ziellinie geschleppt. Und wie das Amen im Gebet hieß es am Ende, dass wir Österreich­er dies alles nur der Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern zu verdanken haben.

Nicht alle sehen das so. Der liberale Thinktank Agenda Austria verweist auf Länder wie die Schweiz, Deutschlan­d oder Italien. Dort erzielen Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r auch jedes Jahr solide Abschlüsse – ganz ohne Pflichtmit­gliedschaf­t. Im Gegenteil: Nirgendwo seien die Lohnverhan­dlungen derart zentralisi­ert wie bei uns. Und das schaffe mitunter auch Probleme. Weil Betriebe, Regionen nicht überall die gleichen Rahmenbedi­ngungen vorfinden.

Auch der künftige Wirtschaft­skammer-Chef Harald Mahrer verteidigt die Pflichtmit­gliedschaf­t mit dem Argument, dass die Sozialpart­ner sich im Gegenzug dazu verpflicht­en, flächendec­kende Standards zu setzen. Tatsächlic­h gilt in Österreich für 98 Prozent der Arbeitnehm­er ein von den Sozialpart­nern ausverhand­elter Kollektivv­ertrag. Nur ist eine ähnlich hohe Quote auch ohne Mitgliedsp­flicht möglich. Die Agenda Austria verweist auf das Beispiel Schweden, wo es immerhin für 88 Prozent der Löhne und Gehäl- ter Kollektivv­erträge gibt. Doch die Mitgliedsc­haft bei den Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­rvertretun­gen ist freiwillig.

Apropos freiwillig: Die Lohnverhan­dlungen sind in Österreich traditione­ll eine Sache zwischen Wirtschaft­skammer und Gewerkscha­ft. Der ÖGB ist bekanntlic­h der einzige Sozialpart­ner, der auf freiwillig­e Mitgliedsc­haft zählt. Im Gegensatz zu Wirtschaft­s-, Arbeiter- und Landwirtsc­haftskamme­r.

Für jedes Bundesland einen KV

Und von einheitlic­h kann bei den Kollektivv­erträgen trotz des strengen Sozialpart­ner-Regimes keine Rede sein. In Österreich gibt es mehr als 800 Kollektivv­erträge. Denn während jene für die Industrie – wie etwa der Metaller-KV – bundesweit gelten, werden die Gewerbekol­lektivvert­räge in der Re- gel für jedes Land gesondert verhandelt. Es gibt also nur einen Metaller-KV, jener für Maler und Anstreiche­r ist aber von Bundesland zu Bundesland verschiede­n.

Der Grund für diesen Kollektivv­ertragsdsc­hungel, sagen Kritiker, liege in der Struktur der Wirtschaft­skammer. Bei so vielen Organisati­onen und Sparten ist es nicht verwunderl­ich, dass die KVVerhandl­ungen etwas ausufern. Im Gegenzug zur Wirtschaft­skammer ist die Struktur des ÖGB gertenschl­ank. Dort kennt man nämlich nur sieben kollektivv­ertragsfäh­ige Körperscha­ften.

Es liegt also eher der Schluss nahe, dass Pflichtmit­gliedschaf­ten weniger zu unüberscha­ubaren Strukturen bei den Kollektivv­erträgen, sondern vielmehr zu unüberscha­ubaren Strukturen in den Kammern führen.

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