Von der Handarbeit zur Hightech-Messung
Eis, das sich im Flug auf Tragflächen bildet, kann die Aerodynamik gefährlich verändern. Daher untersucht man es im Eiskanal, bevor ein Flugzeug zugelassen wird. Eine automatisierte 3-D-Messmethode dazu kommt nun aus Österreich.
Es ist mitunter erstaunlich, welche Entwicklungen noch fehlen. Und so war der Maschinenbauer und Luftfahrtexperte Reinhard Puffing zunächst recht überrascht, als er im Zuge seiner Dissertation feststellte, dass Eisreste bei Tests an Flugzeugflügeln im Eiskanal händisch vermessen werden. „Das dauert lange und ist ungenau“, sagt er. Denn das Eis verteilt sich in den vor der Zulassung eines Luftfahrzeugs durchgeführten Versuchen und auch später im Echtbetrieb ungleichmäßig und unterschiedlich geformt über den Flügel. Das stört die Aerodynamik vor allem beim Starten und Landen, wenn das Flugzeug ohnehin instabiler unterwegs ist als im Reiseverkehr. Die ersten 3000 bis 4000 Meter Höhe, wo es bereits minus zehn bis minus 20 Grad Celsius hat, gelten als kritisch. Im schlimmsten Fall kann das Flugzeug auch abstürzen.
„Daher hat jedes Passagierflugzeug ein Enteisungssystem“, erklärt Puffing, der zunächst an der Grazer FH Joanneum Luftfahrttechnik studierte und dann an der Universität Bratislava promovierte. Bei großen Flugzeugen werden die Vorderkanten der Tragflächen mit Energie aus den Turbinen beheizt. Bei kleineren, mit Verbrennungsmotoren angetriebenen Fliegern wie Propellermaschinen versprüht man eine Glykolmischung, die das Eis schmelzen lässt. Oder man fegt es mit eigens verbauten Blasvorrichtungen von der Oberfläche.
Analyse auf Knopfdruck
Doch kleine Eisreste bleiben da wie dort und verändern die Aerodynamik. Und deren Folgen gilt es zu kennen, bevor ein Flugzeug mit Passagieren abhebt. Daher sind die entsprechenden Tests auch eine der Voraussetzungen für eine Zulassung als Luftfahrtgerät. Puffing kam über seine Doktorarbeit zur Digitalisierung von Eisoberflächen zum Thema, sah die veralteten Vermessungsmethoden und beschloss, es besser zu machen. Er führte gemeinsam mit dem Maschinenbauer Manuel Gerstenbrand Experimente mit 3-D-Scannern und -Druckern durch – ein Novum in der Branche. Wohl weil sie damit typische Werkzeuge der sogenannten Vierten industriellen Revolution, die vor allem durch eine zunehmende Digitalisierung gekennzeichnet ist, nutzt, nannten ihre Erfinder sie „Aircraft Icing 4.0“.
Die beiden koppelten acht Scankameras und projizierten ein Lichtmuster auf die Eisoberfläche. „Wir messen die Verzerrung der Muster und können dadurch auf die Entfernung zurückrechnen“, erklärt Puffing. Das ist freilich stark vereinfacht, es galt im Hintergrund komplizierte Algorithmen anzupassen. Doch das Ergebnis war schließlich ein hochpräzises Eismodell am Computer. Die Abwei- chungen des dreidimensionalen Modells liegen unter einem Zehntel Millimeter.
Zudem ist die Methode schnell: Man könne damit einen Flugzeugflügel in nur sieben Minuten vermessen statt mit dem bisherigen Verfahren in mehr als einer halben Stunde, so Puffing. Das spart teure Nutzungskosten im Eiskanal. Außerdem sammelt das System unzählig viele Messpunkte, mit denen sich etwa auch die Reste, die nach einer Enteisung bleiben, quasi auf Knopfdruck näher analysieren lassen. Das sei nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern damit lasse sich auch die Struktur 1:1 nachbilden, berichtet Puffing. Und als Kunststofffolie ausdrucken, die dann für weitere Versuche mit Testpiloten auf ein Flugzeug geklebt wird.
Die Forscher sprechen selbst von einer Revolution: „Genauer messen kann man Eis auf Flugzeu- gen derzeit nirgendwo.“Sie wollen die Luftfahrtbehörden nun überzeugen, dass solche Tests mit exakt nachgebildeten Eisoberflächen zum Standard werden. Die Branche sei bei allen Berechnungen sehr stark auf der sicheren Seite, so ließen sich tatsächlich erstmals realistische Versuche durchführen, meinen sie. Schließlich koste es auch Energie, mit überdimensionierten Enteisungssystemen zu fliegen. Internationale Luftfahrtunternehmen sind bereits auf „Aircraft-Icing 4.0“aufmerksam geworden und geben sich im Wiener Eiskanal die Klinke in die Hand.
Hubschrauber flugfähig halten
Aber auch Hubschrauber werden untersucht. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit Airbus, dem Tiroler Enteisungsentwickler Markus Villinger und dem ÖAMTC wolle man nun untersuchen, wie die Rettungshubschrau- ber auch bei Vereisung fliegen können. Ein Stück weit abgehoben ist die Innovation mittlerweile auch selbst. Sie bildete die Basis für die Gründung des Österreichischen Instituts für Vereisungswissenschaften in der Luftfahrt. Und ist nun auch für den Staatspreis Mobilität nominiert, den das Technologieministerium in rund zwei Wochen vergibt.