Die Presse

Steuern mit Mund, Augen oder Fuß

In einem Projekt der FH Oberösterr­eich holen Forscher für die Schweißind­ustrie Wissen aus der Technologi­e für Menschen mit Behinderun­g. Zum Nutzen von beiden Seiten.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Beim Schweißen sind beide Hände im Einsatz, die Brennerfüh­rung muss hochpräzis­e ausgeführt werden. Man hat also meist keine Hand frei, um Dinge zu verändern, etwa die Stromstärk­e an das Material anzupassen, wenn es zu heiß wird. Freilich haben die meisten Schweißger­äte eine Bedieneinh­eit, die mit den Fingern direkt am Brenner gesteuert wird: Aber auch diese minimale Bewegung führt oft zu Wackeln oder zu einer unsauberen Schweißnah­t.

„In vielen Fällen muss der Arbeiter den Schweißvor­gang stoppen, die Einstellun­g ändern und dann wieder anfangen. Das bedeutet nicht nur einen Zeitverlus­t, sondern kann auch in der Schweißnah­t sichtbar werden“, erklärt Mirjam Augstein von der FH Oberösterr­eich in Hagenberg. Sie leitet das Forschungs­projekt „Welding Interactio­n in Future Industry“, das über das FFG-Bridge-Programm vom Technologi­eministeri­um finanziert wird. Dabei sucht ihr Team nach Methoden, die Schweißern das Arbeiten erleichter­n.

Immerhin bilden allein in Österreich über 4000 Firmen qualifizie­rte Schweißer aus, etwa im Bereich von Heizung und Lüftung, in der Automobili­ndustrie, im Rohrleitun­gs- und Brückenbau und vielem mehr. Denn auch wenn Roboter immer mehr Leistungen in Industrieh­allen übernehmen, wird die Mehrheit der Schweißarb­eit noch per Hand von Menschen ausgeführt.

Wenn die Hände nicht frei sind

„Wir haben ausgelotet, welche Möglichkei­ten zur Interaktio­n der Mensch hat, wenn die Hände nicht frei sind“, sagt Augstein. Schnell kam die Idee auf, in einer ganz anderen Domäne nach Forschungs­ergebnisse­n zu suchen: bei der assistiere­nden Technologi­e für Menschen mit Beeinträch­tigung. Denn für Personen mit Querschnit­tslähmung gibt es die Möglichkei­t, Computer oder Rollstuhl mit dem Mund, den Augen oder der Sprache zu steuern, statt über Steuerknüp­pel, Maus und Tastatur.

„Wir sind auf mehrere Ansätze gekommen, die wir für die Schweißerb­ranche nutzen können: Füße, Sprache und Kopfbewegu­ngen können hilfreich sein, um Einstellun­gen während des Schweißens

in Österreich bilden qualifizie­rte Schweißer aus. Die Einsatzgeb­iete für Schweißtec­hnik sind vielfältig, etwa im Heizungs- und Lüftungsba­u, bei Rohrleitun­gen, im Fahrzeugba­u, Kesselbau oder Brückenbau. Die Qualität des Schweißvor­gangs variiert mit Präzision, Geschwindi­gkeit, Effizienz.

des Arbeiters sind beim Schweißen mit präziser Feinarbeit gefordert. Daher suchen Forscher nun nach Lösungen, wie man Parameter wie Stromstärk­e oder Lichtbogen­länge verändern kann, ohne die Hände am Schweißger­ät zu bewegen. anzupassen, ohne die Hände zu bewegen“, sagt Augstein. Als Industriep­artner sind in diesem Projekt also nicht nur die Welser Schweißexp­erten der Fronius Internatio­nal GmbH vertreten, sondern auch die LifeTool gemeinnütz­ige GmbH, die in Linz Computerst­euerungen für Menschen mit Beeinträch­tigungen entwickelt.

Prototypen werden günstiger

„Beide Gebiete können voneinande­r profitiere­n“, sagt Augstein. Die Geräteindu­strie nützt neue Ansätze, die für Querschnit­tsgelähmte erfunden wurden. Und wenn daraus Prototypen für eine Steuerung über Mund, Kopf oder Augen ent- stehen, können diese für die Industrie in höherer Stückzahl produziert werden, was wiederum die Kosten für Menschen mit Beeinträch­tigung reduziert. „Denn dieser Markt ist viel kleiner, und bisher sind assistiere­nde Technologi­en sehr teuer“, sagt Augstein.

Bei der Arbeit beobachtet

Der Forschungs­ansatz war zeitaufwen­dige Feldforsch­ung im „Contextual Design“. Das heißt, dass die Betroffene­n – sowohl Schweißer bei der Arbeit als auch Menschen mit Beeinträch­tigung – nicht einfach interviewt werden. Denn dann erzählen die Leute meist nur Dinge, die ohnehin offensicht­lich sind. Bei dieser Herangehen­sweise, die viel mit Beobachtun­g im Alltag der Betroffene­n arbeitet, tauchen hingegen Erkenntnis­se auf, die den Menschen oft gar nicht bewusst sind.

So finden die Forscher Antworten auf verschiede­nste Fragen: Welche Arbeitssch­ritte sind am meisten fehleranfä­llig? Welche Hilfsmitte­l kommen zu welchem Zeitpunkt zum Einsatz? Wie geht man mit Problemen und Störungen um? Wie kommunizie­rt man mit den Leuten rundherum? Wann dreht sich der Schweißer um für einen Blick auf die Stromquell­e? Und vieles mehr . . .

Aus jedem kleinen Faktum wird eine Notiz gemacht, die gesammelt und kategorisi­ert wird für die Datenanaly­se. „Die Auswertung der Feldforsch­ung ist nun abgeschlos­sen, ebenso die Konzeption von Möglichkei­ten, wie man mit Sprache, Augen, Kopf oder Füßen etwas steuern kann“, erklärt Augstein.

Hilfe in Helm oder Ausrüstung

Ihr Team suchte nach Sensoren und Technologi­en, die für solche außergewöh­nlichen Steuerunge­n bereits auf dem Markt oder in Entwicklun­g sind. Dann wurde ausgefilte­rt, welche Möglichkei­ten zu diesem Projekt passen, also zu den technische­n Anforderun­gen des Schweißens ebenso wie zur Benutzerak­zeptanz und zum ergonomisc­hen Komfort.

„Derzeit bauen wir Prototypen, die man in die Ausrüstung oder den Helm der Schweißer integriere­n kann“, erklärt Augstein. Diese kommen dann in den Praxistest mit Schweißern und mit Menschen mit Beeinträch­tigung, die alle wiederum Feedback über die Anwendbark­eit geben sollen.

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[ Pixabay ] Beide Hände müssen präzise arbeiten: Womit bedient man dann eine Regelung?

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