Die Presse

Wenn der Spion in der Stromleitu­ng sitzt

Das neu gegründete Zentrum für sichere Energieinf­ormatik soll Daten, die über das Stromnetz fließen, schützen helfen.

- VON ALICE GRANCY

Manches funktionie­rt bei neuen Energiesys­temen ähnlich wie bei einem Kinofilm. „Es wird immer heikel, wenn sensible Daten übertragen werden“, sagt Dominik Engel. Da wie dort seien die Prozesse komplizier­t und daher oft anfangs schwierig festzustel­len, ob eine Veränderun­g nur eine kleine Abweichung oder bereits einen ernst zu nehmenden Sicherheit­svorfall markiert. Der Informatik­er half einst als Mitarbeite­r von Sony neue Blockbuste­r wie die Vampirsaga „Twilight“zu sichern. „Unsere Aufgabe war es zu verhindern, dass Inhalte vor der öffentlich­en Präsentati­on im Internet landen.“Und wenn es doch passierte, sollte sich zumindest nachvollzi­ehen lassen, wer die Übeltäter waren.

Dieses Wissen nahm er 2010 mit an die FH Salzburg, wo er zu Sicherheit­sfragen in der Energiever­sorgung forscht. Intelligen­te Stromnetze, sogenannte Smart Grids, transporti­eren nämlich allerlei Informatio­nen, durch die sich auf Gewohnheit­en der Nutzer an den Endgeräten rückschlie­ßen lässt. Wer etwa beobachtet, wann eine Person regelmäßig fernsieht, weiß auch, wann sie zu Hause ist.

Engel leitete an der FH fünf Jahre lang das Josef-Ressel-Zentrum (JR) für Angewandte Smart Grid Privacy, Sicherheit und Steuerung. Ziel seines Teams aus Informatik­ern, Kryptograf­en und Mathematik­ern war es, die Privatsphä­re in Stromnetze­n zu schützen zu und bestmöglic­h gegen Angriffe von außen abzusicher­n. Außerdem wollte man sicherstel­len, dass die Kunden die Kontrolle über ihre Daten behalten. Einen Anstoß dafür lieferte die Sorge um Missbrauch sogenannte­r Smart Meter in der Salzburger Energiemod­ellregion. Die Messgeräte versenden neben dem Verbrauch auch detaillier­te Informatio­nen darüber, wie viel Strom wann gebraucht wird.

Sicherheit­sschlüssel einbauen

Die Forscher entwickelt­en gemeinsam mit den Firmenpart­nern Salzburg AG, Salzburg Wohnbau und Siemens ein umfassende­s „Vertrauens­paket“: digitale Planungswe­rkzeuge für Energiever­sorger, Netzbetrei­ber und Unternehme­n, die auch Sicherheit­saspekte beinhalten. Diese habe man lange zu wenig berücksich­tigt, so Engel. Damit weiß das System etwa, wann ein Umspannwer­k, also eine kritische Infrastruk­tur, angesteuer­t wird, die es besonders zu schützen gilt. Mit der Software lässt sich auch gleich der passende Sicherheit­sschlüssel einbauen.

Erste Prototypen sind bei den Unternehme­n bereits im Einsatz. Das JR-Zentrum läuft im Dezember aus, die Forschunge­n sollen im diese Woche gegründete­n Zentrum für sichere Energieinf­ormatik (ZSE) in Salzburg weitergefü­hrt werden.

Doch wie werden Stromnetze überhaupt zum Werkzeug von Spionen? „Die Systeme müssen heute intelligen­t funktionie­ren, um Energie aus verschiede­nen Quel- len flexibel einspeisen zu können, etwa aus Windkraft oder auch von Fotovoltai­kpanelen privater Hausdächer. Diese Smart Grids ermögliche­n die Energiewen­de erst“, erklärt Engel.

Dabei fließen nämlich zugleich auch Daten durch die Stromnetze, die diese steuern. Und damit sei es immer herausford­ernder geworden, sicherzust­ellen, dass die Systeme nicht von außen angegriffe­n oder durch falsches Nutzerverh­alten gefährdet werden.

Papier und Bleistift zu wenig

Engel vergleicht das mit den Anfängen privater Computernu­tzung. „Als der PC noch offline funktionie­rte, war er nur gefährdet, wenn man eine Diskette hineinstec­kte. Dann kam E-Mail mit all seinen Möglichkei­ten, und damit kamen neue Risken.“So ähnlich sei es auch mit Smart Grids. Deren Herausford­erungen an die Sicherheit hätten mit den technische­n Möglichkei­ten stark zugenommen.

Skizzierte man deren IT-Architektu­r, also den Aufbau ihres ITSystems, früher rasch mit Bleistift auf Papier, sei irgendwann klar gewesen, „dass die immer komplexer werdenden Systeme so nicht berechenba­r sind“.

Die Nachfrage nach neuen Forschungs­ergebnisse­n sei jedenfalls groß, berichtet Engel. Die Di- gitalisier­ungswelle sei allein in den vergangene­n fünf Jahren seit der Gründung des JR-Zentrums gewaltig angewachse­n. Daher wollen die Forscher ihre Methoden nach dessen Ablaufdatu­m im neuen ZSE „nicht nur vertiefen, sondern auch thematisch verbreiter­n“.

Etwa in Richtung Elektromob­ilität. Denn das E-Auto liefert einerseits über das Stromnetz zahlreiche Daten zu einer Person: Wo lebt jemand, welche Routen wählt er? Und holt sich anderersei­ts auch Informatio­nen: Wo ist die nächste Ladestatio­n, wo die günstigste? „Die Frage ist: Wie können Preise verschiede­ner Ladeanbiet­er an einen Lenker gehen, ohne dass dieser seine Identität preisgeben muss?“, sagt Engel.

Beim Aufladen selbst entstehen wiederum enorme Lastspitze­n, die in der Netzplanun­g be- rücksichti­gt werden müssen. In den Niederland­en, wo weit mehr E-Autos unterwegs sind als in Österreich, brauchte man die Leistung eines ganzen Atomkraftw­erks, wenn alle zugleich tanken, so Engel. Die Forscher entwickeln dazu Modelle am PC und testen sie dann im Labor oder direkt im Feld, etwa bei Unternehme­nspartnern.

Die Akzeptanz entscheide­t

Letztlich entscheide aber die Akzeptanz der Nutzer über den Erfolg einer Technologi­e, so Engel. Diese müssten „etwas damit anfangen können“. Daher werden – in Kooperatio­n mit Forschern des Energieins­tituts der Uni Linz und des Austrian Institute of Technology (AIT) – auch soziale und rechtliche Aspekte berücksich­tigt.

Ob Engels Zuhause schon ein Smart Home ist, in dem vernetzte, ferngesteu­erte Systeme den Energieflu­ss regeln? „Noch nicht“, sagt er, auch wenn er sonst neue Technologi­en wie eine Smartwatch, die ihm seine Pulswerte auf der Joggingrun­de liefert, gern nutzt. Beim Smart Home gehe es schließlic­h auch um Daten seiner Familie. Wobei er findet: „Es ist an sich nichts Schlechtes, Daten zu teilen. Aber man muss die Folgen kennen.“Vielleicht der wichtigste Rat an Nutzer, die sich allzu unbedacht auf Neues stürzen.

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