Von der Schwere des Südens
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Anna Baar gibt den kleinen Prinzen, wenn sie im Vorspruch ihres Romans „Als ob sie träumend gingen“den Leser auffordert, nicht „im Augenschein die Wahrheit“zu suchen, sondern als „Liebender und offenen Herzens Staunender“. Ihre Biografie des Partisanenkämpfers Klee ist deshalb nicht als Chronologie der Ereignisse hin angelegt, sondern als Traumprotokoll. Das ist ein legitimes Verfahren der Literatur. Schließlich geht es nicht um eine historische, sondern um eine Wahrheit, die über die Tatsachen hinausweist. Es geht um das Sichtbarmachen der Tragik eines Lebens, nicht um das konkrete Leben, wie es verlaufen ist. Auch Büchners „Danton“oder Schillers „Wallenstein“oder Stefan Zweigs „Maria Stuart“ist als Biografie unbrauchbar, doch welche Perspektiven eröffnen sie!
So gesehen ist der zweite Roman der 1973 in Zagreb geborenen und in Klagenfurt und Wien aufgewachsenen Anna Baar sehr kunstvoll. Getreu ihrem poetischen Programm stellt sie das Leben ihres Helden Klee auf eine fantastische – fast möchte man sagen – delirierende Art dar. Sie erweitert damit das Spektrum der jüngeren Tradition der Faction-Literatur, etwa einer Maja Haderlap, Melinda Nadj Abonji oder Katja Petrowskaja, die Erzähltes, Erinnertes, Erfahrenes mit Recherchiertem kombinieren und so einer autobiografischen Literatur Neues abgewinnen. Bei Anna Baar geht das diesbezügliche Signal davon aus, dass der Name des Ortes, an dem die Geschichte spielt, erfunden ist. Der Schauplatz lässt sich aber im Süden Dalmatiens verorten, jener Gegend, in der Anna Baar sommers über ihre Kindheit verbracht hat. Es ist eine karge, sonnenverbrannte Region. Dementsprechend sind die Menschen dort ausgedorrt und hart – zu sich selbst und zu anderen. Im Verlauf des Buches wandern einige nach Amerika oder Australien aus.
Nicht so Klee, der Bauernsohn; er bleibt. Zu Beginn des Buches liegt er sterbenskrank im Spital und fantasiert sein Leben. Er versucht, die Erinnerungen zu verscheuchen wie einst sein Bruder im Krieg die Fliegen von dem toten Maultier, das er geliebt hat. Vor allem die Klees Leben prägende, unerfüllte Liebe zu Lily ist es, die ihn albtraumhaft verfolgt. Lily, die von einer Leihmutter geborene Tochter des jüdischen Dorfarztes, wurde vor seinen Augen von der SS ermordet. Ein Grund dafür, warum er zum Partisanen, letztlich zum Kriegshelden wurde, dem die Dorfbewohner ein Denkmal errichteten.
Das alles ist allerdings lang her, verblasst und vergessen, als er zum Sterben im Spital liegt. Dazwischen ist viel passiert, was schwer zu verkraften war, die Fahrten zur See, die Ehe, die Geburten zweier Töchter und manch anders. Doch nach Lilys Tod war er nicht mehr er selbst.
Es sind viele starke, eindringliche Bilder, in denen Anna Baar das beschwerliche Leben Klees assoziativ Revue passieren lässt. Es ist eine Art Puzzle, aus dem sich der Leser die Geschichte dieses behäbigen Menschen selbst zusammenbauen muss. Das Buch liefert nur einige Eckpfeiler, an denen sich der Leser entlanghangeln kann. Das ist zwar konsequent im Sinne der träumerischen Erzählform, erfordert aber eine genaue Lektüre. Dazu kommt, dass der Roman von Anspielungen auf die abendländische Kunst- und Literaturgeschichte sowie auf die christliche Symbolik durchzogen ist. Für literarische Fährtenleser mögen diese Verweise intellektueller Anreiz sein, sie geben dem Buch aber eine existenzialistische Bedeutungsschwere, die an die Pathetik des Expressionismus erinnert.
Vorangestellt sind dem Roman ein Motto von Jean Cocteau und der Hinweis auf Mozarts Ave Verum, angehängt hat Anna Baar ihm eine Sentenz von Paul Klee. Diese verweist nicht nur auf den Namen des Helden, sondern gibt auch vor, wo die Autorin ihn (und damit ihr Buch) ansiedelt: „Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich.“
Womit wir wieder am Anfang wären. Das Problem des Romans liegt bei der Liebe. Ein künstlerisches Verfahren wie die sprachliche Gestaltung eines Stoffs erfordert jede Menge Überlegungen. Diese kann man meinetwegen mit viel Leidenschaft anstellen. Das heißt aber nicht, dass man der Liebe zu seinem Gegenstand auch durch überbordende Sprache Ausdruck verleihen muss. Es ist ja nicht so, dass Anna Baar über keine sprachlichen Mittel verfügte – ganz im Gegenteil. Sie verfügt über einen reichen Vorrat an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Das Problem ist: Sie setzt ihn auch geballt ein.
Sonst könnte es nicht zu Sätzen wie folgendem kommen: „Nur sich noch schnell vermehren, aussäen, in die Urzellen zerfallen, eine Invasion aufständischer Wesenheiten, winzige Brustkapseln bildend, deren Membranen platzen und neue Keime streuen“und so weiter. Das ist eine Invasion von Bildern, die sich überschlagen. Hinzu kommen schwülstige Bemerkungen, die an Gartenlaube denken lassen: „Und die Mädchen welkten vor der Blüte. Und die Männer versagten sich die Träume, bis sie eine schwere Müdigkeit befiel, die nur den Tod als Ausgleich kennt.“Die sprachliche und symbolische Überladung geben dem Buch eine Schwere, die in Widerspruch zum Schwebenden seiner Konstruktion steht. Der Überschwang der Liebe erdrückt das zarte Pflänzchen der Poesie. Dabei sieht Anna Baar mit den Augen ohnehin sehr gut.
Anna Baar Als ob sie träumend gingen Roman. 208 S., geb., € 20,60 (Wallstein Verlag, Göttingen)
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