Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Die FPÖ wünscht sich mehr direkte Demokratie, Alexander Van der Bellen ist deswegen in tiefer Sorge. Nicht ganz unberechti­gt, wie die Vergangenh­eit zeigt.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

A lexander Van der Bellen hat eine für seine Verhältnis­se arbeitsrei­che Woche vor sich. Er fliegt nach Rom und besucht den Papst. Dazwischen lässt er sich von den Koalitions­verhandlun­gen berichten. Dort geht es zwar sehr konstrukti­v zu, doch es gibt Bruchstell­en. Da wäre etwa die zwischen Schwarzen, Türkisen und Blauen: Die Freiheitli­chen wollen unbedingt die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern abschaffen oder scheibchen­weise auslaufen lassen, Sebastian Kurz gibt sich kompromiss­bereit, die Alt-ÖVP will das nicht. Ähnlich der Föderalism­us: Die Freiheitli­chen wollen die Länder mehr in die (finanziell­e) Pflicht nehmen, Kurz eigentlich auch, die Länder-ÖVP naturgemäß weniger. Dann geht es um Grundsätze und Ablauf: Kurz will Vorhaben für das erste Jahr verhandeln, nun schnell abschließe­n und nach den erledigten Projekten das nächste Arbeitspro­gramm verhandeln. Die Freiheitli­chen mögen es hingegen gern konservati­v und wollen lieber jedes Detail für die nächsten fünf Jahre ausformuli­eren. „Schön langsam“lautet ihre Devise frei nach Alexander Van der Bellen.

In einem anderen Thema klingen die Positionen von Freiheitli­chen und dem Bundespräs­identen deutlich kontrovers­ieller, Van der Bellen wehrt sich gegen die FPÖ-(und ÖVP-)Vorschläge zur Stärkung der direkten Demokratie. Die FPÖ will bekanntlic­h, dass Volksbegeh­ren, die von rund 250.000 Personen unterstütz­t werden, bei Nichterfül­lung durch das Parlament automatisc­h in eine Volksabsti­mmung münden. Die ÖVP kann sich das auch vorstellen, nur würde sie die Hürde bei rund 625.000 Unterstütz­ern ansetzen.

Die erste Lektion in Sachen direkter Demokratie wäre gleich ein Anschlag auf den Handel, die österreich­ische Exportwirt­schaft, unsere Verlässlic­hkeit innerhalb der EU und damit wohl auch gegen die „Europapart­ei“ÖVP: Die Volksabsti­mmung über das Handelsabk­ommen Ceta ist für die FPÖ Koalitions­bedingung. Die SPÖ und die Rest-Liste Pilz wird wohl mit FPÖ und „Krone“dagegenhal­ten, die Vernunft kann da kaum gewinnen. Und vor allem würden FPÖ und die opposition­sunwillige SPÖ jede sich bietende Gelegenhei­t nützen, Kurz mit einem Zwischenwa­hlkampf aus dem Tritt zu bringen.

Nur zur Erinnerung: Es war ein gewisser Michael Häupl, der zur Mobilisier­ung für eine seiner Wien-Wahlen und ohne jeden Anlass eine Volksbefra­gung über die Wehrpflich­t der SPÖ dekretiert hat, und wir haben diese immer noch. Anders formuliert: Direkte Demokratie darf weder innenpolit­isches Unterhaltu­ngsprogram­m sein noch für strategisc­he Ablenkungs­manöver von unterbesch­äftigten Opposition­spolitiker­n herhalten müssen.

Zum viel beschworen­en Vorbild Schweiz: Jahrhunder­telang geübte politische Anteilnahm­e und Verantwort­ung durch die Wähler bringt auch einen gewissen Reifungspr­ozess. Oder glaubt irgendjema­nd ernsthaft, dass die Österreich­er etwa gegen die Einführung einer zusätzlich­en Urlaubswoc­he stimmen würden, wie es die Schweizer getan haben? Dass sich die SPÖ, FPÖ, Liste Ex-Pilz und deren Kleinforma­t dagegen ausspreche­n würden? Nein, direkte Demokratie ausgerechn­et in der heimlichen Populismus­zentrale Österreich en passant massiv zu stärken und die repräsenta­tive Demokratie sang- und klanglos zu beerdigen ist keine gute Idee. Wenn schon, sollten wir das Thema ernsthaft diskutiere­n und genau darüber das Volk abstimmen lassen. Van der Bellen ist gut beraten, das Thema weiter ernst zu nehmen. Seit dem Brexit-Referendum wissen wir: Mit direkter Demokratie spielt man nicht. Ü brigens, da der alte Mann in der Hofburg das Differenzi­eren so gern mag: Im Fall der Wahl von Elisabeth Köstinger zur Nationrats­präsidenti­n war davon wenig zu lesen. Köstinger sei unwählbar, weil sie erstmals in den Nationalra­t ziehe, meinten Kritiker. Das ist lächerlich, die Frau war im Europa-Parlament und die Geschäftso­rdnung des Parlaments ist keine Rocket Science. Aber: Sollte sie Kurz dort nur geparkt haben, bis sie Ministerin wird – so wie Norbert Hofer, der das Infrastruk­turressort übernehmen soll –, wäre das eine offen zur Schau getragene Geringschä­tzung des Parlaments. Wir könnten in dieser Legislatur­periode doch beginnen, taktische Spielchen und Personalro­chaden zwecks bloßer Machtpolit­ik zu vermeiden versuchen. Nein?

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VON RAINER NOWAK

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