Billa will das Geschäft der anderen
Handel. Dem Supermarkt reicht es nicht mehr, nur Supermarkt zu sein. Er will immer mehr Zusatzservices aufnehmen. Die Strategie erinnert stark an die des Angstgegners Amazon.
Wien. Billa-Mitarbeiter traten vor Kurzem mit einer Frage an ihre Chefs Josef Siess und Robert Nagele heran: Zahlen sich die fünf Mio. Euro für das neue Onlinelager, die Tests für elektronische Etiketten und Kühlboxen, schlicht der ganze Aufwand für so viel Zukunftsmusik aus? „Wir wissen es nicht“, antworteten sie. Aber im schlimmsten Fall habe Billa in ein paar Jahren ein paar Millionen in den Sand gesetzt. Das sei angesichts des Alternativszenarios recht attraktiv. Das lautet: nicht dabei sein und deutlich mehr verlieren.
In der Belegschaft sei die Botschaft angekommen, obwohl etliche Mitarbeiter keine Smartphones besitzen. Die Anekdote unterhielt am Montagabend die im Palais Ferstel versammelten Unternehmer. Vor zehn Jahren wurde hier der Hausverstand aus der Taufe gehoben, nun war es Zeit für eine neue Zukunftsstrategie. Betriebsgeheimnisse hörten die Branchenkollegen wenig überraschend keine, dafür die Grundbotschaft: „Wir wollen die Menschen von den Lasten der Haushaltsversorgung befreien.“Und sie gingen mit dem Gefühl, dass sich hier einer selbst in Ansätzen kannibalisiert, damit es nicht ein anderer – namentlich Amazon – tut.
Vom Lebensmittel- zum Alles-Händler
Ganz so wollten es die Billa-Vorstände im Gespräche mit der „Presse“nicht ausdrücken. Sie ziehen den Begriff Omnichannel vor. Aus der Fachsprache übersetzt: Billa bietet die Ware überall an, wo der Kunde ist – am Laptop, in der Filiale, in der App. Dabei stimme es, dass Online bis 2021 als Verlustgeschäft abgeschrieben ist und mit etwas unter 35 Mio. Euro aktuell gerade einmal so viel umsetzt wie fünf Billa-Läden. Aber von Selbstkannibalisierung sei keine Spur: „Die 20.000 Onlinekunden kaufen nach wie vor in der Filiale“, so Nagele. Und alle, die beide Wege gehen, würden insgesamt 60 Prozent mehr ausgeben. Traumkundschaft also.
Für sie lässt man das Angebot wachsen. Dabei handelt es sich aber nicht um Lebensmittel. Billa will Schritt für Schritt fremde Dienstleistungen integrieren. „Es geht weit über den klassischen Lebensmittelnahversorger hinaus“, sagt Siess. Aktuell bietet Billa Bargeldbehebungen an der Kasse und verschiebt in 800 Filialen monatlich 50.000 Pakete mit DHL und DPD. Durch die längeren Öffnungszeiten biete das einen Mehrwert zur Post. Weitere Kooperationen mit Start-ups und Alteingesessenen sind in Arbeit.
Das Ziel, ein Ökosystem aufzubauen, das alles aus einer Hand bietet und die Konkurrenz obsolet macht, erinnert stark an die gefürchtete Amazon-Strategie. Mit Büchern fing sie an und stoppte nicht bei Lebensmitteln. Der US–Händler startete mit der Lebensmittellinie „Fresh“nach Hamburg und Berlin vergangene Woche in München. Die Einschusslöcher kommen näher. Zugestellt werden Delikatessen vom Münchner Viktualienmarkt. Da bekommt Nageles Argument, wieso internationale Konzerne und Nahversorgung nicht harmonieren, Risse: „Der Lebensmittelhandel ist ein sehr regionales Geschäft“, betont er. Das wissen sie bereits.
Zum Herzstück in diesem ungleichen Wettkampf werden aber die Kundendaten. Das haben Siess und Nagele schon vor dem Ausflug ins Silicon Valley und dem Einkauf einer Online-Mannschaft erkannt. Wenn sie sagen „Wir sind da, wo die Kunden sind“, meinen sie auch: Wir wissen aus dem Kaufverhalten der 4,2 Millionen Mitglieder im Billa-Vorteilsklub, was wer wo wann wie oft bestellt. „Die Person, die dahintersteht, ist uns – unter Anführungszeichen – relativ egal“, kontert Siess Datenschutzbedenken. Es gehe nicht um personalisierte Daten, sondern um die, die bei der Erstellung von individuellen Rabatten und Angeboten helfen. Alles, damit sich der Einzelne so wohlfühlt, dass er nie zur Konkurrenz abwandert.
„Hassen Firmen, weil sie Daten haben“
„Auf der einen Seite wollen wir, dass Angebote immer relevanter für uns werden. Auf der anderen Seite hassen wir Firmen dafür, dass sie Kundendaten haben. Wir sollten uns vergegenwärtigen, wie viele Daten Google oder Amazon von uns haben“, sagt Martin Unger von Ernst & Young, der bei der Digitalstrategie half. Im Wettbewerb mit den Großkalibern geht es aber längst nicht nur um Daten, sondern auch um Dinge wie Steuersitz und Kollektivverträge. „Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Das ist eine große Herausforderung“, sagt Nagele. In Richtung der neuen Regierung fügt er an: „Wir werden diese Anliegen an der richtigen Stelle anbringen.“Als Großer habe man die Pflicht, die kleinen Händler zu befreien, nicht nur die Kunden. Von Letzterem wird das Publikum am Abend noch genug hören.