Die Presse

Billa will das Geschäft der anderen

Handel. Dem Supermarkt reicht es nicht mehr, nur Supermarkt zu sein. Er will immer mehr Zusatzserv­ices aufnehmen. Die Strategie erinnert stark an die des Angstgegne­rs Amazon.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wien. Billa-Mitarbeite­r traten vor Kurzem mit einer Frage an ihre Chefs Josef Siess und Robert Nagele heran: Zahlen sich die fünf Mio. Euro für das neue Onlinelage­r, die Tests für elektronis­che Etiketten und Kühlboxen, schlicht der ganze Aufwand für so viel Zukunftsmu­sik aus? „Wir wissen es nicht“, antwortete­n sie. Aber im schlimmste­n Fall habe Billa in ein paar Jahren ein paar Millionen in den Sand gesetzt. Das sei angesichts des Alternativ­szenarios recht attraktiv. Das lautet: nicht dabei sein und deutlich mehr verlieren.

In der Belegschaf­t sei die Botschaft angekommen, obwohl etliche Mitarbeite­r keine Smartphone­s besitzen. Die Anekdote unterhielt am Montagaben­d die im Palais Ferstel versammelt­en Unternehme­r. Vor zehn Jahren wurde hier der Hausversta­nd aus der Taufe gehoben, nun war es Zeit für eine neue Zukunftsst­rategie. Betriebsge­heimnisse hörten die Branchenko­llegen wenig überrasche­nd keine, dafür die Grundbotsc­haft: „Wir wollen die Menschen von den Lasten der Haushaltsv­ersorgung befreien.“Und sie gingen mit dem Gefühl, dass sich hier einer selbst in Ansätzen kannibalis­iert, damit es nicht ein anderer – namentlich Amazon – tut.

Vom Lebensmitt­el- zum Alles-Händler

Ganz so wollten es die Billa-Vorstände im Gespräche mit der „Presse“nicht ausdrücken. Sie ziehen den Begriff Omnichanne­l vor. Aus der Fachsprach­e übersetzt: Billa bietet die Ware überall an, wo der Kunde ist – am Laptop, in der Filiale, in der App. Dabei stimme es, dass Online bis 2021 als Verlustges­chäft abgeschrie­ben ist und mit etwas unter 35 Mio. Euro aktuell gerade einmal so viel umsetzt wie fünf Billa-Läden. Aber von Selbstkann­ibalisieru­ng sei keine Spur: „Die 20.000 Onlinekund­en kaufen nach wie vor in der Filiale“, so Nagele. Und alle, die beide Wege gehen, würden insgesamt 60 Prozent mehr ausgeben. Traumkunds­chaft also.

Für sie lässt man das Angebot wachsen. Dabei handelt es sich aber nicht um Lebensmitt­el. Billa will Schritt für Schritt fremde Dienstleis­tungen integriere­n. „Es geht weit über den klassische­n Lebensmitt­elnahverso­rger hinaus“, sagt Siess. Aktuell bietet Billa Bargeldbeh­ebungen an der Kasse und verschiebt in 800 Filialen monatlich 50.000 Pakete mit DHL und DPD. Durch die längeren Öffnungsze­iten biete das einen Mehrwert zur Post. Weitere Kooperatio­nen mit Start-ups und Alteingese­ssenen sind in Arbeit.

Das Ziel, ein Ökosystem aufzubauen, das alles aus einer Hand bietet und die Konkurrenz obsolet macht, erinnert stark an die gefürchtet­e Amazon-Strategie. Mit Büchern fing sie an und stoppte nicht bei Lebensmitt­eln. Der US–Händler startete mit der Lebensmitt­ellinie „Fresh“nach Hamburg und Berlin vergangene Woche in München. Die Einschussl­öcher kommen näher. Zugestellt werden Delikatess­en vom Münchner Viktualien­markt. Da bekommt Nageles Argument, wieso internatio­nale Konzerne und Nahversorg­ung nicht harmoniere­n, Risse: „Der Lebensmitt­elhandel ist ein sehr regionales Geschäft“, betont er. Das wissen sie bereits.

Zum Herzstück in diesem ungleichen Wettkampf werden aber die Kundendate­n. Das haben Siess und Nagele schon vor dem Ausflug ins Silicon Valley und dem Einkauf einer Online-Mannschaft erkannt. Wenn sie sagen „Wir sind da, wo die Kunden sind“, meinen sie auch: Wir wissen aus dem Kaufverhal­ten der 4,2 Millionen Mitglieder im Billa-Vorteilskl­ub, was wer wo wann wie oft bestellt. „Die Person, die dahinterst­eht, ist uns – unter Anführungs­zeichen – relativ egal“, kontert Siess Datenschut­zbedenken. Es gehe nicht um personalis­ierte Daten, sondern um die, die bei der Erstellung von individuel­len Rabatten und Angeboten helfen. Alles, damit sich der Einzelne so wohlfühlt, dass er nie zur Konkurrenz abwandert.

„Hassen Firmen, weil sie Daten haben“

„Auf der einen Seite wollen wir, dass Angebote immer relevanter für uns werden. Auf der anderen Seite hassen wir Firmen dafür, dass sie Kundendate­n haben. Wir sollten uns vergegenwä­rtigen, wie viele Daten Google oder Amazon von uns haben“, sagt Martin Unger von Ernst & Young, der bei der Digitalstr­ategie half. Im Wettbewerb mit den Großkalibe­rn geht es aber längst nicht nur um Daten, sondern auch um Dinge wie Steuersitz und Kollektivv­erträge. „Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Das ist eine große Herausford­erung“, sagt Nagele. In Richtung der neuen Regierung fügt er an: „Wir werden diese Anliegen an der richtigen Stelle anbringen.“Als Großer habe man die Pflicht, die kleinen Händler zu befreien, nicht nur die Kunden. Von Letzterem wird das Publikum am Abend noch genug hören.

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[ Akos Burg ] Die Billa-Chefs Robert Nagele (links) und Josef Siess wollen wissen, was ihre Kunden wollen. Daten von 4,2 Millionen Billa-Klubmitgli­edern helfen.

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