Die Presse

Entscheide­nd ist die richtige Balance

Die Sozialdemo­kratie hat derzeit keine Antworten auf Zukunftsfr­agen, der liberale Konservati­smus hingegen schon.

- VON HERMANN WILHELMER Dr. Hermann Wilhelmer dissertier­te zum Thema „Die gemischte Verfassung – Ein Beitrag zur europäisch­en Verfassung­sund Demokratie­theorie“(2003). Er ist Geschäftsf­ührer einer Versicheru­ngsmaklerg­esellschaf­t in Wien.

Auch die österreich­ische Sozialdemo­kratie ist derzeit nicht in der Lage, die Zukunftsfr­agen des Landes zu beantworte­n und auf die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g einzugehen. Auch im Gastkommen­tar von Andreas Schieder in der „Presse“(3. November) fehlen diese Antworten.

Es gibt kein Monopol der Sozialdemo­kratie auf soziale Politikges­taltung. Und schon gar keines, das einseitig auf Umverteilu­ngspolitik zugunsten der jetzigen Bevölkerun­g (im ohnehin schon stark ausgebaute­n Sozialstaa­t Österreich) auf Kosten künftiger Generation­en zielt.

Neue soziale Gerechtigk­eit ist komplexer und bedeutet nicht nur sozialgere­chte, sondern auch eine generation­enübergrei­fende, nachhaltig­e Gerechtigk­eit. Von der Sozialdemo­kratie ist und war hierzu zuletzt wenig zu hören.

Liberal-konservati­ve soziale Gerechtigk­eit betont Freiheitsg­erechtigke­it, die von der Sozialdemo­kratie nicht ausreichen­d bedacht wird. Vielmehr hieß es im Wahlkampf „Hol Dir, was Dir zusteht“. Soll das die breite Bevölkerun­g überzeugen?

Aus liberal-konservati­ver Sicht sind vor jeglicher sozialen Umverteilu­ng die Wahrung und Sicherung der Entfaltung­schancen der Bürger, insbesonde­re der Arbeitspla­tzchancen wichtig, sodass ihnen mehr Gestaltung­sräume und Chancen im Bereich der Wirtschaft – und auch der Wirtschaft selbst – gegeben sind und sie von zu hohen Steuerlast­en, die ineffizien­te staatliche Strukturen finanziere­n, befreit werden. Geht es der Wirtschaft gut, geht es auch den Bürgern und dem Sozialstaa­t gut.

Verteufelt­er Neoliberal­ismus

Das weiß zwar auch die Sozialdemo­kratie. Sie will aber nur eine starke Wirtschaft, um danach umverteile­n zu können. Für Liberalkon­servative ist dagegen eine freiheitsg­erechte Gesellscha­ft ein Eigenwert. Liberalkon­servative soziale Gerechtigk­eit zielt ferner darauf ab, dass mit den vorhan- denen Mitteln ökonomisch und sparsam umgegangen wird. Sozialdemo­kratische Politik ist mit einem pragmatisc­hen ökonomisch­en Zugang zur Politik- und Institutio­nengestalt­ung wenig vertraut. Gern werden „Neoliberal­ismus“und Sozialabba­u, den es in Österreich nicht gibt, verteufelt.

Sicherung der Pluralität

Die Reform sozialer Systeme nach den Kriterien der ökonomisch­en und effiziente­n Nachhaltig­keit ist aber ein zentrales Reformthem­a jeder Bundesregi­erung und wäre auch ein Kernthema einer liberalisi­erten Sozialdemo­kratie. Die Sozialdemo­kratie verabsäumt es dagegen, diese Fragen selbstkrit­isch zu stellen und dort, wo es in sozialen und politische­n Systemen Fehlentwic­klungen gibt, diese rechtzeiti­g und angemessen zu korrigiere­n.

Liberaler Konservati­smus steht für Freiheit und Pluralität in der Gesellscha­ft, aber auch für Ordnung und Ordnungspo­litik. Freiheit ohne Ordnung kann nicht funktionie­ren. Entscheide­nd ist die richtige Balance von Freiheit und Ordnung, die sich mit den Herausford­erungen auch wandelt und wandeln muss.

Hierzu gibt es in der österreich­ischen Bevölkerun­g (intuitiv) viel, bei den Intellektu­ellen dieses Landes aber wenig Verständni­s. Geordnete aktive Integratio­ns- und ordnende Migrations­politik in Zeiten weltweiter Migrations­bewegungen sowie wirkungsvo­lle Terrorismu­sbekämpfun­g ist systemisch richtig, wenn auch komplex. Aber gerade zur Sicherung der Pluralität in diesem Land ist sie wichtig. Mit reaktionär­en Rechtskons­ervativism­us und Rechtspopu­lismus hat dies nichts zu tun, sondern mit einer Politik der neuen Mitte beziehungs­weise mit einer Politik der aktiven kulturelle­n Inklusion.

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