Die Presse

Wir werden die Kämpferinn­en nach Hause holen müssen

In Ostsyrien ist der IS-Staat kollabiert. Samt jenen verblendet­en Europäern und Europäerin­nen, die dort ihr Heil suchten. Sie gehören dennoch zu uns.

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Der Moment, in dem ein verbrecher­isches System kollabiert, hat stets eine eigene Dynamik. Auf verlorenem Posten wird zunächst noch gekämpft. Jene Kommandant­en, die intelligen­t und berechnend sind, nützen diesen Moment, um sich rechtzeiti­g abzusetzen. Jene hingegen, die verblendet genug sind, den eigenen Durchhalte­parolen zu glauben, wehren sich mit der Kraft der Verzweiflu­ng gegen die sichere Niederlage. Sie haben ja nichts zu verlieren. Sie wollen noch so viele Menschen wie möglich mit in den Abgrund reißen. Je totaler der Zusammenbr­uch, desto besser für sie. Denn desto weniger Zeugen gibt es für all das, was sie zuvor verbrochen haben.

Für die Mitläufer und Untertanen ist das ein schwierige­r Moment. Die alte Macht ist noch nicht weg, sie ist noch fähig zu letzten brutalen Bestrafung­saktionen, aber bald schon werden die Sieger einrücken. Auf welche Seite schlägt man sich, und wann genau? Läuft man den Siegern mit einer weißen Fahne entgegen? Oder versteckt man sich, macht die Augen zu, und wartet, bis alles vorbei ist?

Als das „Dritte Reich“zusammenbr­ach, wurden die Hitler-Devotional­ien von der Wand gerissen, die „Mein Kampf“-Bücher und Mütterorde­n versteckt, die Nazi-Uniformen eilig im Küchenofen verbrannt (wie es der wunderbare Film „Maikäfer flieg“nach den Erinnerung­en von Christine Nöstlinger zeigte). Man muss schnell eine Ideologie abstreifen, die einem über Jahre zur zweiten Haut geworden ist. Oder man tut zumindest so, als ob. Denn die Sieger könnten einen ja zur Verantwort­ung ziehen, für die Verbrechen, die passiert sind.

Derzeit bricht das Terrorsyst­em des „Islamische­n Staats“zusammen: Im Sommer rückte die irakische Armee in Mosul ein, vor einigen Wochen befreiten kurdische Kämpfer das ostsyrisch­e Raqqa, eben wurde auch Deir-ez-Zor erobert.

Was dort in diesen Tagen wohl die Europäerin­nen und Europäer machen, die vor einigen Jahren mit glühender Entschloss­enheit dorthin gezogen sind? Die vielen jungen Männer, die endlich spü- ren wollten, wie sich ein Maschineng­ewehr anfühlt – samt der Macht, die damit einhergeht? Und die vielen jungen Frauen, die es gar nicht erwarten konnten, sich einem dieser Männer zum Eigentum zu machen und dem IS so viele kleine Kämpfer wie möglich zu schenken?

Das sind Menschen, die in Europa aufgewachs­en sind. Die englisch, französisc­h oder deutsch sprechen. Die in englische, französisc­he oder österreich­ische Schulen gingen, hier Freunde, Lehrerinne­n und Möglichkei­ten hatten, aber irgendwann die falsche Abzweigung nahmen. Sie zogen sich via Youtube die Videos radikaler Prediger rein, begannen die Gesellscha­ft, in der sie lebten, zu verachten, verabredet­en sich per FacebookCh­at zum großen gemeinsame­n Wüstenaben­teuer, radikale Sinnsuche inbegriffe­n.

Auf das perfekte, saubere Leben nach rigiden islamische­n Regeln hatten sie sich gefreut (die norwegisch­e Journalist­in Asne Seierstad zeichnet das in ihrem neuen Buch „Zwei Schwestern“nach). Und fanden sich dann in staubigen Einöden wieder, denen die Terroriste­n jedes Leben austrieben, und wo bei Hinrichtun­gen die Köpfe rollten.

Viele von den Männern, die in Mosul, Raqqa oder Deir-ez-Zor für den IS kämpften, dürften mittlerwei­le tot sein. Von den Frauen hat man bisher wenig gehört. Sich in der Masse der Mitläufer und Untertanen zu verstecken, ist für sie keine Option: Die wenigsten von ihnen sprechen arabisch, als Ausländeri­nnen fallen sie auf, sie haben vor Ort keine Verwandten und sie kennen sich nicht aus. Auch österreich­ische Kinder müsste es geben – gar nicht einmal so wenige: größere, die womöglich Gräueltate­n live miterlebt haben, sowie Babys, die erst im Islamische­n Staat auf die Welt kamen.

In den nächsten Wochen werden sie irgendwo auftauchen, in Kellerlöch­ern, Lagern, Gefängniss­en. Wir werden sie nach Hause holen müssen, samt allen Beschädigu­ngen, die sie mitbringen.

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VON SIBYLLE HAMANN

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