Die Presse

Es geht um die Inhalte, nicht um geografisc­he Nähe

Österreich verbindet mit den vier Visegr´ad-Staaten aktuell EU-politisch gar nichts.

- VON STEFAN BROCZA Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

Dem Befund von Paul Luif, wonach es Österreich nicht schafft, stabile Kooperatio­nen mit anderen EU-Staaten bei wichtigen Brüsseler Entscheidu­ngen zu schaffen, ist beizupflic­hten. Daraus jedoch abzuleiten, wie er das in seinem Gastkommen­tar in der „Presse“getan hat (7. 11.), der naturgegeb­ene Verbündete läge in Form der vier Visegrad-´Staaten Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen quasi direkt vor unserer Haustür, ist falsch.

Österreich verbindet mit diesen vier Staaten aktuell EU-politisch aber schon gar nichts. Es gibt keine gemeinsame Interessen­lage zwischen dem Dauernetto­zahler Österreich und den notorisch am EU-Tropf hängenden Staaten Ostmittele­uropas. Allein die Diskussion über die Neugestalt­ung der EU-Struktur- und Regionalfö­rderung zeigt, dass man da auf keinen gemeinsame­n Nenner kommen wird. Wer jährlich drei bis fünf Prozent seines BIPs in Form von Transferza­hlungen aus Brüssel erhält und das auch für die Zeit nach 2020 dauerhaft einfordert, kann nicht mit Österreich harmoniere­n.

Die Visegrad-´Gruppe ist darüber hinaus integraler Bestandtei­l der Nato, somit bleibt die militärisc­he und sicherheit­spolitisch­e Interessen­lage eine andere. Wer aktuell glaubt, dass das singuläre Problem der „Migrations­abwehr“diese Bedenken dauerhaft überlagert, der irrt. Die historisch­en Befindlich­keiten von Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen gegenüber Russland allein sind da schon intern ein „deal-breaker“.

Kein Platz für Österreich

Auch bei der anstehende­n Entscheidu­ng, bei der die beiden heiß begehrten EU-Agenturen infolge des Brexit aus London abgesiedel­t werden sollen, zeigt sich ganz aktuell, dass die Visegrad-´Gruppe andere, mit Österreich inkompatib­le Interessen verfolgt. Die Staaten des früheren „Ostblocks“versuchen, dabei etwas „für sich“herauszuho­len. Österreich hat in die- ser Denkweise keinen Platz. Österreich sollte stattdesse­n seine Kooperatio­nspartner für Brüssel dort suchen, wo es gemeinsame Interessen und Werte gibt. Geografisc­he Nähe allein reicht jedenfalls nicht aus.

Die „natürliche­n Partner“

Den Erfahrunge­n des europäisch­en Integratio­nsprozesse­s folgend, wären solche „natürliche Kooperatio­nspartner“etwa jene Staaten, mit denen man zeitgleich der EU beigetrete­n ist. Es hat schon seinen Grund, warum bei den einzelnen Erweiterun­gsrunden immer eher „systemglei­che“Staaten beitreten. Die Erweiterun­gsgruppe von 1995 umfasst neben Österreich noch Schweden und Finnland.

Nach 1995 sind diese drei Staaten noch einige Zeit gemeinsam tätig geworden. Warum hat man das danach vernachläs­sigt? Und wenn Österreich tatsächlic­h das Bedürfnis verspürt, tragfähige und belastbare Partnersch­aften auf europäisch­er Ebene zu schaffen, dann kommt man um die beiden großen Nachbarn und EU-Gründersta­aten Deutschlan­d und Italien sowieso nicht herum.

Schließlic­h sollte man bei all der falschen Monarchien­ostalgie vielleicht auch nicht außer Acht lassen, dass die heutigen vier Visegrad-´Staaten mit den ursprüngli­chen Gebieten von vor 100 Jahren nicht mehr viel gemein haben.

Über den Raum sind zwei Weltkriege hinweggega­ngen, und das heutige Polen etwa hat kaum mehr Ähnlichkei­t mit jenem Staat, dessen Bevölkerun­g ursprüngli­ch aus einem Drittel Deutschen, Juden und Ukrainern bestanden hat. Spätestens wenn dort wieder jene Stimmen lauter werden, die exorbitant­e Wiedergutm­achungszah­lungen für begangene Kriegsgräu­el fordern, wird sich zeigen, wie schnell diese Forderunge­n auch gegenüber Österreich ins Spiel gebracht werden.

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