Hier hängen 450.312.500 Dollar
Kunstmarktrekord. 450 Millionen Dollar für ein Gemälde von Leonardo da Vinci ist eine Geste des Triumphs des neuen Geldes über die Kultur des Abendlands. So könnte man das New Yorker Auktionsspektakel interpretieren.
Man könnte viel um 450 Millionen Dollar kaufen: 2500 Ferraris 458, sechs Boeings 737 – oder ein Gemälde von Leonardo da Vinci. „Salvator Mundi“ist seit gestern offiziell das teuerste Bild der Welt. Nach einem 19-minütigen Bieterwettstreit mit etwa 45 Geboten im Auktionshaus Christie’s in New York bekam ein anonymer Telefonbieter bei 400 Millionen Dollar den Zuschlag. Mit Gebühren macht die Rechnung exakt 450.321.500 Dollar aus. Das Gemälde ist das letzte bekannte von da Vinci, es entstand um 1500 auf Walnussholz und zeigt Jesus Christus. Warum „Salvator Mundi“so wertvoll ist, lesen Sie auf
Immer wieder erhob Christie’s Chefauktionator Jussi Pylkkanen wie in Anbetung die rechte Hand ins scheinbare Nichts hinein, so kann man es auf YouTube nachsehen. In Richtung des Geldes war es, in Richtung der beiden Telefonbieter, die sich in der Nacht auf Donnerstag in New York eine archaisch-historische Schlacht um das mit Abstand teuerste Gemälde der Welt lieferten. Bei 75 Mio. Dollar begann die An- bzw. Ausrufung eines der umstrittensten Altmeistergemälde unserer Zeit: des nach Dutzenden Untersuchungen und Expertendiskursen letztendlich doch als eigenhändiges Werk Leonardo da Vincis versteigerten „Salvator Mundi“(Christus als Weltenerlöser, datiert um 1500). Wer auch immer in den nächsten 19 Minuten am anderen Ende des Siegertelefons saß (die Identität wurde bisher nicht geoutet) – er demonstrierte mit dramatischer Geste am Schluss seine finanzielle Unverletzbarkeit: Mit einem finalen 30-MillionenEuro-Sprung beim letzten Gebot raubte er seinem Mitbewerber nicht nur den Glauben an den Sinn dieses Duells, er zertrümmerte ihn. Von 370 Mio. ging der Bieter direkt auf 400 Mio. Dollar, mit allen Zuschlägen kostete ihn das gute 450 Mio. (384 Mio. Euro) – das war nicht mehr rational, das hatte nichts mehr mit dem eigentlichen Wert von Kunst zu tun. Das war mehr als doppelt so viel, wie bisher je in einem Auktionssaal für Kunst ausgegeben wurde (siehe Grafik).
Als Demonstration märchenhaften Reichtums muss das gelesen werden. Was bei Fachleuten zur Vermutung führt, dass der Käufer aus dem arabischen Raum kommt, wie so oft in derartigen Preislagen. Hier geht es um Kunst, vorwiegend westliche, als Prestigeobjekt; und es gibt keine prestigeträchtigere Marke auf dem vergleichsweise niederpreisigen Altmeistermarkt als einen echten „Leonardo“, von dem nur 15 bis 20 Gemälde erhalten sind. Daher platzierte Christie’s das Bild auch als Fremdkörper, als „Ready Made“(Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich) in der spektakulärsten Auktion, die es hat, der Moderne-/Zeitgenossen-Auktion im Herbst.
Denn bisher drehte sich das Ringen der Oligarchen aus Ost und West vorwiegend um säkulare Meisterwerke der Moderne. In diesem Fall aber kam ein zutiefst christliches Motiv zum fragwürdigen Adelsschlag als riskantestes Investitionsgut unserer Zeit. Vielleicht hängt dieser „Retter der Welt“, der als letztes bekanntes Leonardo-Gemälde in Privatbesitz noch eine ungeahnte Marketingkarriere hinlegen musste, also bald als Leihgabe im gerade eröffneten Louvre Abu Dhabi. Vielleicht verschwindet er in einem Zollfreilager. Möge er es in der seltsamen Kristallkugel lesen, die er in der linken Hand trägt – es ist die abstrahierte Weltkugel als Herrschaftssymbol, in diesem Fall wohl inklusive Kosmos, der klassischen Ikonografie dieser Christus-Darstellung folgend. Genau wie die zwei zum Segen erhobenen Finger. Zur klassischen Ikonografie des Highend-Kunstmarkts gehörten die Szenen, die sich in New York abspielten, der Auktionator mit dem trockenen Humor, die sich in den Armen liegenden Auktionshausmitarbeiter in dunklen Anzügen. Optisch ist kein Unterschied zu Wallstreet-Filmen mehr erkennbar.
Die führenden Da-Vinci-Experten sind mit ihren Tränen, dieses Bild betreffend, zurückhaltender. Fragt man etwa den Verfasser des Leonardo-Gemäldeverzeichnisses, den deutschen Kunsthistoriker Frank Zöllner, zu dem Ereignis: „Das ist ein sehr kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein sehr großer Schritt für den Kunstmarkt“, schreibt er auf Anfrage zurück. „Ein stark beschädigtes Gemälde Leonardos, das mit Beteiligung seiner Werkstatt nach 1507 entstanden ist, erzielt einen Rekordpreis, der deutlich höher ist als die Summen, die für Meister der Moderne aufgerufen werden. Ein tolles Ergebnis. Das rückt das Preisgefüge zurecht. Abgesehen davon ist der ,Salvator‘ natürlich das Symbol schlechthin für eine sehr ungleiche Verteilung der Vermögen in der Welt“, so Zöllner. „Auch hier bewahrheitet sich im Übrigen die alte Spruchweisheit: It takes money to make money – um Geld zu verdienen, muss man am besten schon welches haben.“
Von 45 Pfund auf 400 Millionen Dollar
Damit bezieht Zöllner sich auf die beispiellose, von den unterschiedlichsten Protagonisten des Kunstmarkts gesteuerte Karriere dieses Bildes: Es begann mit dem (Wieder-) Aufscheinen als „echter Leonardo“auf dem Kunstmarkt 2011/12, als es ein Konsortium von Kunsthändlern in frisch restauriertem Zustand bei der Leonardo-Ausstellung der National Gallery London platzierte. Das Museum erklärte damals, sich versichert zu haben, dass das Bild nicht zum Verkauf stehe. Kein renommiertes Museum lässt sich gern zur Wertsteigerung benutzen. Wissentlich.
Nicht einmal ein Jahr dauerte es, bis Sotheby’s (der Konkurrent von Christie’s) das Bild über einen Privatverkauf an den Schweizer Kunsthändler Yves Bouvier weitergab, um kolportierte 80 Mio. Dollar. Im selben Jahr verkaufte es dieser König der Kunstfreihandellager für 127,5 Mio. Dollar als Teil eines größeren Konvoluts an den russischen Sammler Dmitri Jewgenjewitsch Rybolowlew, der ihn bald darauf wegen überhöhter Margen wegen Betrugs klagte, mittlerweile laufen mehrere Verfahren gegen Bouvier. Über seine erlittenen Verluste wird Rybolowlew der Rekordpreis des „Salvator Mundi“jetzt wohl hinwegtrösten. Man möchte nicht an die Nachkommen der englischen Textilhändlerfamilie Cook denken, in deren Sammlung sich die so schwer beschädigte Holztafel einst befand. 1958 versteigerten sie das Gemälde. Für 45 Pfund.
Ein tolles Ergebnis. Das rückt das Preisgefüge zurecht. Abgesehen davon ist der Salvator natürlich das Symbol schlechthin für eine sehr ungleiche Verteilung der Vermögen in der Welt. Frank Zöllner, Leonardo-Experte