Die Presse

EU-Agentur: Wien scheitert

Die Folgen des Brexit. Mit großen Hoffnungen hatten sich Bundesregi­erung und Stadt Wien um die Neuansiedl­ung der EU-Arzneimitt­elagentur beworben. Doch schon in der ersten Abstimmung­srunde flog die Bundeshaup­tstadt hinaus.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Schon in der ersten Runde flog Wien \ei der Kandidatur um die Neuansiedl­ung der EU-Arzneimitt­elagentur aus dem Rennen.

Brüssel. Nichts wird es aus der prestigetr­ächtigen Ansiedlung der zweitgrößt­en EUAgentur in Wien: Schon eine Viertelstu­nde nach Beginn des Abstimmung­sreigens darüber, wo die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur EMA nach dem Ausscheide­n Großbritan­niens aus der Union Ende März 2019 ihre Zelte aufschlägt, war Österreich ausgeschie­den. Mailand bekam 25, Kopenhagen und Stockholm jeweils 20 Punkte. In der zweiten Abstimmung­srunde blieben Mailand und Amsterdam übrig. Zu Redaktions­schluss der Abendausga­be der „Presse“stand das Ergebnis, welche der beiden Städte den Zuschlag erhielt, noch nicht fest.

Schon vor Beginn der Sitzung der Vertreter der 27 Unionsmitg­lieder über die Verlagerun­g der EMA und der Bankenaufs­icht (EBA), die ebenfalls noch in London ansässig ist, waren drei Vorentsche­idungen gefallen. Irland, Kroatien und Malta hatten ihre Bewerbunge­n für Dublin, Zagreb und Valletta zurückgezo­gen, 16 Standorte gingen somit in die Ausscheidu­ng um die EMA. Acht Staaten bewarben sich um die Ansiedlung der EBA: Neben Wien waren das Brüssel, Dublin, Frankfurt, Luxemburg, Paris, Prag und Warschau.

„So ein Verfahren nie ohne Absprache“

Im Bemühen um Transparen­z und ein meritokrat­isch begründete­s Ergebnis hatten die nationalen Regierunge­n ein Abstimmung­sverfahren ersonnen, in dem jeder Staat in der ersten Stimmrunde – nach Art des Song Contest – drei Punkte, zwei und einen vergeben kann.

Doch wer vorab mit Diplomaten sprach, konnte dieses hochkompli­zierte Abstimmung­sverfahren realistisc­her betrachten. „Ein solcher Prozess erfolgt natürlich nie ohne Absprache“, sagte ein altgedient­er Brüsseler Insider. „Aber erwarten Sie jetzt nicht, dass ich Ihnen verrate, welche Absprachen getroffen wurden.“Die Entscheidu­ng hing unter anderen davon ab, ob auch andere Schlüssele­ntscheidun­gen in den großen Abtausch hineingeno­mmen werden sollten. Allen voran die Nachfolge des Niederländ­ers Jeroen Dijsselblo­em als Vorsitzend­en der Euro-Gruppe wurde als ein solcher Spieleinsa­tz angesehen: Sollten die Niederländ­er mit der EMA in Amsterdam für den Verlust dieses Postens entschädig­t werden?

Alle sich bewerbende­n Staaten hatten darüber hinaus bereits vor Längerem Gegenseiti­gkeitsabko­mmen mit anderen Regierunge­n getroffen. Dabei sichert man sich diskret zu, im ersten Durchgang einander gegenseiti­g die Punkte zu geben und den jeweils in die zweite Runde Vorankomme­nden zu unterstütz­en. In zumindest einem Fall, hat „Die Presse“erfahren, konnte die Bundesregi­erung ein solches Abkommen nicht erzielen, obwohl ihr von den Vertretern des anderen Staates zugestande­n worden war, dass die Bewerbung Wiens um die EMA inhaltlich ausgezeich­net sei.

Große regulatori­sche Macht

Die EMA ist mit etwas mehr als 900 Beschäftig­ten und einem Jahreshaus­halt von zuletzt etwas mehr als 300 Millionen Euro hinter der bereits in Kopenhagen ansässigen Chemikalie­nagentur die zweitgrößt­e dieser Unionsbehö­rden, die der Kommission in Brüssel zuarbeiten. Sie ist für die EU-weite Zulassung von Arzneimitt­eln für Mensch und Tier zuständig und hat somit große faktische wirtschaft­liche Macht. Man denke zum Beispiel an den Ende 2014 aufgefloge­nen Skandal um Dutzende Generika des indischen Hersteller­s GVK Bioscience­s. Die Firma hatte die Unterlagen für die den Zulassunge­n zugrunde liegenden wissenscha­ftlichen Studien geschönt. Gesundheit­sgefährdun­gen hätten zwar nicht vorgelegen, die EMA beantragte dennoch die Ruhendstel­lung der Genehmigun­gen.

Insofern ist es nicht verwunderl­ich, dass die EMA seit Jahren das Ziel millionens­chweren Lobbyings ist. Seit Jahren wird zum Beispiel darüber gerungen, ob die Pharmakonz­erne die Daten ihrer firmeninte­rnen Studien im Dienste der Forschung veröffentl­ichen müssen (was die EMA befürworte­t) oder nicht. Für Österreich bleibt zumindest ein kleiner Trost: Chefin der EMAGeschäf­tsführung ist, zumindest noch bis Anfang 2019, die an der Technische­n Universitä­t Wien ausgebilde­te österreich­ische Biochemike­rin Christa Wirthumer-Hoche. Mit etwas mehr als 100 Mitarbeite­rn deutlich kleiner ist die Bankenaufs­icht EBA. Theoretisc­h ist ihr innerhalb der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion eine starke Rolle in der Überwachun­g der Stabilität der europäisch­en Bankenwirt­schaft beschieden. Praktisch allerdings liegt die ordnungspo­litische Macht in Bankenfrag­en bis auf Weiteres bei der Europäisch­en Zentralban­k sowie den Finanzmini­stern der Euro-GruppenMit­glieder.

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[ Bloomberg ] Wegen des britischen EU-Austrittsv­otums im Juni 2016 hat London als Standort für europäisch­e Agenturen ausgedient.

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