Erleiden Kurz und Strache ein Jamaika-Schicksal?
Analyse. Fünf Gründe, weshalb auch politisch gesehen Wien nicht Berlin ist. Und weshalb sich die Chefs von ÖVP und FPÖ zu einer gemeinsamen Regierung im Bund gewissermaßen verdammt sehen.
1 Die Unterschiede zwischen den Jamaika-Parteien sind nicht mit Türkis-Blau zu vergleichen.
Die inhaltlichen Unterschiede zwischen ÖVP und FPÖ sind weitaus geringer als zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP in Deutschland. Besonders bei den Themen Sicherheit, Ausländerpolitik (Verschärfungen bei der Mindestsicherung!), in der Steuer- und Wirtschaftspolitik sind Differenzen zwischen Schwarz/Türkis und Blau nur bei großem Aufwand zu finden. Immerhin wurden erst am Freitag – ein Novum – sogar erste Teileinigungen zwischen ÖVP und FPÖ der Öffentlichkeit präsentiert.
2 Heinz-Christian Strache ist nicht mit Christian Lindner zu vergleichen.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist – anders als FDP-Vorsitzender Christian Lindner, dem es gelungen ist, seine Partei von der außerparlamentarischen Opposition wieder in den deutschen Bundestag zu führen −, für eine Regierungsbeteiligung im Bund gleichsam „fällig“. Seit mehr als zwölf Jahren zeigt Strache, dass er Oppositionspolitik kann. Er führte die FPÖ, von ganz wenigen Ausnahmen wie Niederösterreich 2013 mit einem Minus von 2,3 Prozentpunkten abgesehen, auch in den Bundesländern von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und in Oberösterreich (mit der ÖVP) und im Burgenland (mit der SPÖ) in Landesregierungen. Jetzt fehlt nur noch die Krönung seiner politischen Karriere: der Eintritt in eine Regierung im Bund.
3 Sebastian Kurz ist nicht mit Angela Merkel zu vergleichen.
Die CDU-Chefin, Angela Merkel, vollendet morgen, Mittwoch, das zwölfte Jahr als Kanzlerin Deutschlands. Allein aufgrund ihrer politischen Erfahrung in diesem Spitzenamt kann sie sich Experimente, wie es eine fragile Minderheitsregierung darstellen würde, eher erlauben. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hingegen verfügt mit seinen 31 Jahren zwar bereits über jede Menge politische Erfah- rung, wesentlich mehr beispielsweise als Nochbundeskanzler Christian Kern, der wohl künftige Chef der größten Oppositionspartei. Aber: Es ist dann doch ein Unterschied, die Junge ÖVP, das Integrationsstaatssekretariat und das Außenministerium zu führen oder der gesamten Bundesregierung vorzustehen. Das funktioniert leichter mit einer deutlichen Mehrheit im Nationalrat, wie sie durch eine Koalition mit der FPÖ auch politisch realisierbar wäre.
4 Christian Kern ist nicht mit Martin Schulz zu vergleichen.
Auch wenn SPD-Bundesvorsitzender Martin Schulz eine große Koalition am Montag nach Platzen der Gespräche für eine Jamaika-Koalition erneut ausgeschlossen hat: Das Verhältnis zwischen Schulz und Merkel stellt sich doch deutlich entspannter dar als zwischen Kurz und Kern. Zwischen den beiden Wiener Politikern erscheint das Vertrauensverhältnis nach dem Wahlkampf (Stichwort Dirty Campaigning) dauerhaft zerrüttet. Darüber hinaus würde es dem SPÖ-Chef im- mens schwer fallen, Formulierungen wie aus der SPD zu unterschreiben, Neuwahlen nicht zu scheuen. Einmal, weil die Partei auf einem beträchtlichen Schuldenberg sitzt, der für einen weiteren Wahlkampf wenig Bewegungsspielraum lässt. Dann, weil die Bundespartei gebannt Richtung Wiener Rathaus blickt. Dort ordnen sich die Fronten für die Kampfabstimmung Ende Jänner zwischen Klubchef Andreas Schieder und Stadtrat Michael Ludwig um den Vorsitz der Landespartei. Die Arbeit im Bund ist im Pausemodus.
5 Wien ist nicht mit Berlin zu vergleichen.
Wiens innenpolitische Situation ist generell schwer mit Berlin vergleichbar, wo ja Sondierungsgespräche gescheitert sind. Sebastian Kurz hat die Phase hinter sich und führt formelle Koalitionsgespräche mit der FPÖ. Ein Scheitern können sich die beiden Sieger der Wahl des 15. Oktober schwer leisten. Es würde das Gewinnerimage von Kurz ramponieren. Und Straches Bemühungen torpedieren, sich als regierungsfähig zu beweisen.