Die Presse

Neuer Anführer bei der Jagd auf Federer und Co.

Tennis. Grigor Dimitrow ist die Nummer drei der Welt, der Bulgare kann 2018 für neue Machtverhä­ltnisse sorgen.

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London/Wien. Nach wie vor ist Fußball Sportart Nummer eins in Bulgarien. Doch seit das Nationalte­am bei der WM 1994 angeführt von Christo Stoitschko­w Deutschlan­d verabschie­det hat und ins Halbfinale gestürmt ist, haben die Fußballer dem 7,2-Millionen-Einwohner-Land kein Erfolgserl­ebnis mehr beschert. In den vergangene­n 20 Jahren hat Bulgarien zwar den einen oder anderen Sportstar hervorgebr­acht, Stefka Kostadinow­a etwa hält den Hochsprung­weltrekord, Biathletin Ekaterina Dafowska lief 1998 zu Olympiagol­d, Albena Denkowa ist mehrfache Eistanzwel­tmeisterin.

Dank Grigor Dimitrow feierten die Bulgaren wieder spontane Parties, Tennis ist wieder in aller Munde, und auch Staatspräs­ident Rumen Radew gratuliert­e. Der 26-Jährige hat mit einem 7:5, 4:6, 6:3-Finalerfol­g über David Goffin die ATP World Tour Finals in London gewonnen und ist hinter Rafael Nadal und Roger Federer die neue Nummer drei der Welt.

Die drei Maleewa-Geschwiste­r Manuela, Katerina und Magdalena haben in den 1980er- und 1990erJahr­en Damentenni­s in Bulgarien populär gemacht, alle drei schafften es in die Top sechs. Orlin Stanoytche­v aber war als ATP-96. im Jahr 2000 der höchstplat­zierte männliche Profi, ehe Dimitrow vor zehn Jahren auf die ATP-Tour kam.

Dimitrows Vater ist Tennistrai­ner, seine Mutter Sportlehre­rin. 2008 gewann er den Juniorenti­tel in Wimbledon (gegen Henri Kontinen, der sich am Wochenende mit John Peers den Doppeltite­l in London sicherte), bald galt er als logischer Nachfolger des großen Federer. Wie so oft aber erwies sich die Erwartungs­haltung als Bürde. Weder nach seinem ersten Turnier- sieg (2013 in Stockholm) noch nach seinem Halbfinale­inzug in Wimbledon 2014 (Sieg über Titelverte­idiger Andy Murray) und dem erstmalige­n Vorstoß in die Top Ten gelang der Durchbruch. Im Sommer 2016 lag er nur noch auf Platz 40 der Welt, Schlagzeil­en machte er lediglich mit der (gescheiter­ten) Beziehung zu Maria Scharapowa.

Moment der Erkenntnis

Seit rund einem Jahr arbeitet Dimitrow nun mit dem venezolani­schen Trainer Daniel Vallverdu, Ex-Coach von Andy Murray und Toma´sˇ Berdych. Die Folge: Er startete überragend in die Saison 2017, Turniersie­g in Brisbane, Halbfinale Australian Open, Sieg beim Heimturnie­r in Sofia. Die Sandplatzs­aison verlief nicht nach Wunsch, und in Wimbledon musste er sich Champion Federer beugen, dann aber gelang in Cincinnati sein erster Titel auf Masters-Ebene. Seine Saisonbila­nz: 49:19 Matches, vier Turniersie­ge. Im Rückblick sagt er über sein Tief: „Ich glaube, ich habe das gebraucht. In diesem Moment habe ich erkannt, woran ich arbeiten muss, wer die richtigen Leute um mich herum sind.“

Mit Dimitrow heißt zum ersten Mal seit 2009 der Sieger der ATP Finals nicht Djokovic,´ Murray oder Federer, der Bulgare ist nun der Anführer jener Generation, die von den Altstars früher oder später das Kommando übernehmen wird. Und auch seine Heimat erlebt eine neue Sporteupho­rie. Noch findet sich außer Dimitrow zwar kein Bulgare in den Top 300, doch mehr und mehr Kinder nähmen den Schläger in die Hand, heißt es vom Verband. Dimitrow überlegt gar, in seiner Geburtssta­dt Chaskowo eine Tennisakad­emie aufzubauen. (joe)

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