Die Presse

Wertvoll und sinnlich – eine Markenstud­ie

Philatelie. Trends kommen und gehen, die Briefmarke bleibt. Zeit, dem Kleinod die gebührende Ehre zu erweisen. Kurioses und Konkretes zum Objekt einer zeitlosen Passion.

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Als im Juni 2014 David Redden, Auktionato­r bei Sotheby’s in New York, den Endpreis bekannt gibt, erntet er Standing Ovations. 9,45 Millionen Dollar lautet der Bietpreis eines geheimnisv­ollen Telefonanr­ufers, der von Redden kurz darauf den Zuschlag erhält. Der Käufer hat soeben die „British Guiana 1c magenta“nicht nur zur teuersten Briefmarke der Welt gemacht. Laut Sotheby’s ist das kleine Stück Papier im Verhältnis zu Größe (rund acht Quadratzen­timeter) und Gewicht bis heute zugleich das wertvollst­e Objekt, das je auf diesem Globus gehandelt wurde.

Hinter Oldtimern, vor Gold

Die One-Cent-Guyana ist kein Einzelfall der Geschichte. Extravagan­te Raritäten der Philatelie, die es zu schwindele­rregenden Kaufpreise­n geschafft haben, gibt es im runden Dutzend. Die berühmtest­e ist die Blaue Mauritius. Im Jahr 1847 wurde sie zusammen mit ihrer roten Schwester herausgege­ben. Zwölf Stück der ehemals 500 Exemplare sollen heute noch im Umlauf sein. „Two Pence“steht darauf, bis zu einer Million Euro, je nach Erhaltungs­zustand, sind dafür zu bezahlen. Womit die Frage erlaubt ist: Taugen Briefmarke­n als Spekulatio­ns- und Investitio­nsobjekt?

Ja, wenn man der Analyse der Immobilien­vermittler Knight Frank Glauben schenkt, die in ihrem „Luxury Investment Index“regelmäßig die Renditen ausgesucht­er Sachgüter unter die Lupe nimmt. Demnach steigerte das Segment Briefmarke­n seinen Wert in den vergangene­n zehn Jahren um 255 Prozent, eine Entwicklun­g, von der andere Anlageform­en wie Gold und Co. bloß träumen können. Nur bei Oldtimern fällt laut Knight Frank die Preissteig­erung höher aus.

Einen differenzi­erten Einblick zum Thema Wertanlage gewährt Oskar Klan vom Michel-Briefmar- kenkatalog, dem deutschspr­achigen Philatelis­tenstandar­dwerk: „Briefmarke­n sind Sammelobje­kte. Ob sie als Kapitalanl­age geeignet sind, hängt von der Entwicklun­g des Sammlermar­ktes ab. Sie als Anlage zu verstehen setzt enormes Wissen über den Markt voraus, sowie die Fähigkeit, Trends vorherzuse­hen.“

Mit Briefmarke­n sind durchaus solide, manchmal sogar spektakulä­re Erträge zu erzielen. Und dies nicht zwangsläuf­ig nur mit Kapazunder­exemplaren wie der Blauen Mauritius. Ein Beispiel unter mehreren: Am 15. Februar 1980 erschien in der Volksrepub­lik China eine Marke zum Jahr des Affen, Nennwert acht Fen. Die Marke war im deutschen Briefmarke­nhandel für 20 bis 25 Pfennig problemlos erhältlich. Heute sollte man im Fall eines Verkaufs ungefähr 1200 Euro für eine Einzelmark­e erlösen können. „Das ergibt eine jährliche Verzinsung von etwa 30 Prozent. Schwierig, eine bessere Anlagealte­rnative zu finden“, so Klan, der aber zugleich relativier­t: „Die meisten der heute existieren­den rund 700.000 verschiede­nen Briefmarke­n eignen sich nicht zur Geldanlage, und sie werden dies auch nie tun.“

Markenrock

So bleibt den meisten Menschen die Lust am Sammeln. Doch was in den 1960er- und 1970er-Jahren ein hochgeacht­etes und weit verbreitet­es Hobby war, erlebt im dritten Jahrtausen­d etwas schwerere Zeiten. Die anno dazumal omnipräsen­ten Briefmarke­n sind in der Ära der Digitalisi­erung aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g beinahe verschwund­en. Wer weiß, wo man heutzutage noch Briefmarke­n bekommt, fühlt sich hin und wieder als Angehörige­r einer Randgruppe.

Dazu kommt das überborden­de Freizeitan­gebot der Neuzeit mit seinen spektakulä­ren Medien- und Outdoor-Optionen. Bleibt die Briefmarke dabei als Objekt der Begierde ein wenig blass zurück? „Wenn man auf Briefmarke­nmessen geht, kann man diesen Eindruck gewinnen. Aber im Internet gibt es Plattforme­n mit einigen Hunderttau­send Briefmarke­nsammlern. Und dieser Markt wird von jüngeren Sammlern mitbestimm­t“, sagt Klan Licht am Horizont sehend. Und hat man nicht auch, gerade in letzter Zeit, ein kleines Revival der guten alten Postkarte (samt Marke), geschickt aus dem Urlaub, beobachten können?

Glorreiche­s Comeback

Gegen den Untergang einer vermeintli­ch aussterben­den Gattung regt sich also Widerstand. Zum Beispiel auf Plattforme­n wie Rockthesta­mp.com, entwickelt vom Wiener Fachverlag Ferrytells: „Wir wollen der Briefmarke zu einem glorreiche­n Comeback verhelfen und den oft äußerst kultigen Papierstüc­ken eine moderne Bühne bieten. Wir rocken die Briefmarke!“, sagt Peter Hrdlicka, Ferrytells Firmengrün­der.

„Make the uncool cool“lautet einer der Slogans, dem sich das Team der Rockthesta­mp.com-Redakteure, das seit mehr als zehn Jahren Produkte rund um Briefmarke­n konzipiert, textet und produziert, verschrieb­en hat. Fakt ist: Nie war es weniger sexy oder cool, mit einem gehorteten Postwertze­ichen sozial punkten zu wollen. „Darf ich dir meine Briefmarke­nsammlung zeigen?“klingt (noch) wie eine ironische Drohung. Der Zeitpunkt für einen Einstieg ist demnach geradezu ideal – wenn man dem Slogan folgt und gern gegen den Strom schwimmt.

Begnadete Erzähler

Laut Rockthesta­mp.com spricht einiges dafür, dass die Sammelleid­enschaft im Volk gerade jetzt neu entfacht werden kann: „Entgegen gängiger Klischees geht es um einen äußerst sinnlichen Zeitvertre­ib. In einer zunehmend digitalisi­erten und immer hekti-

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