Spleen oder Leidenschaft?
Der Sammler. Wer sammelt, häuft nicht nur Dinge, sondern auch Wissen an. Darüber hinaus gewinnen Sammler Orientierung und leben ihre Leidenschaft aus. Ein Gespräch mit der Sozialpsychologin Simone Seyringer.
Autos, Briefmarken, Becher, Fotos, Gartenzwerge oder Puppen – es gibt nichts, was nicht gesammelt wird. Unsere Vorfahren waren Tausende von Jahren darauf angewiesen, Lebensmittel und anderes für den Winter zu sammeln und haltbar zu machen beziehungsweise einzulagern. Steckt das Sammeln also in unseren Genen? „Dass es ein Sammlergen gibt, ist mir nicht bekannt“, sagt Simone Seyringer von der Abteilung für Sozialpsychologie, Personalentwicklung und Erwachsenenbildung der JohannesKepler-Universität Linz.
Bedürfnis nach Kontrolle
Es gebe die unterschiedlichsten Theorien, warum man Dinge anhäufe, so Seyringer: „Sigmund Freud beispielsweise ging davon aus, dass der Sammeltrieb mit der Reinlichkeitserziehung in Bezug auf die Darmfunktion in Zusammenhang steht.“Andere Ursachen könnten traumatische Situationen sein und manche, die Hunger in Zeiten der Not oder den Verlust eines wichtigen Menschen erlebt haben, versuchen vielleicht durch Sammlertätigkeit, etwa Horten von Lebensmitteln oder Anlegen eines Friedhofs an Porzellanpuppen, mit solchen Erlebnissen umzugehen. Ein Bedürfnis nach Absicherung und Kontrolle kann Menschen auch zum Sammeln motivieren. „Für manche ist Sammeln eine Lebensaufgabe“, vermutet Seyringer.
Machtdemonstration
Die Motive, die Menschen dazu veranlassen, ihrer Sammelleidenschaft zu frönen, sind vielfältig: „Wenn jemand wie Präsident Trump Wolkenkratzer sammelt, dann fällt das wohl eher unter Machtdemonstration“, spekuliert die Forscherin. Eitelkeit und Narzissmus werden Sammlern übrigens ebenso nach gesagt – vielleicht wollen sie für ihre Sammlung ja bewundert werden?
Genauso können finanzielle Motive ein Anreiz zum Sammeln sein, erklärt Seyringer: „Manche sammeln zum Beispiel Kunst, weil sie sich einen Wertzuwachs versprechen“, während beim Durch- schnittsösterreicher vermutlich eher emotionale Werte im Mittelpunkt stehen. Natürlich gibt es auch eine soziale Komponente, stehen Sammler doch oft in regem Kontakt mit Gleichgesinnten. „Oder“, so Seyringer, „man sammelt einfach aus Neugier und Wissensdurst – das gilt übrigens auch für manche Wissenschaftler.“Sammeln bedeutet allerdings mehr als das Anhäufen von be- Universität Linz. forscht an der Abteilung für Sozial- und Wirtschaftspsychologie der Johannes-Kepler-
http://www.swp.jku.at https://www.steinbeis.de http://www.freizeitforschung.at stimmten Gegenständen. „Es bringt Orientierung ins Leben, indem man zum Beispiel erkennt, was einem gefällt und was nicht, und sich dabei mit den eigenen Vorlieben auseinandersetzt“, sagt Seyringer.
Gestalten und präsentieren
Auch Organisationsfähigkeiten entwickeln sich beim Sammeln: zum einen in Hinblick darauf, wo Objekte zu finden seien, zum anderen beim systematischen Gestalten und Präsentieren der eigenen Sammlung. Menschen lernen beim Sammeln auf vielfältige Weise und „entwickeln ein tiefes Verständnis für die mit ihren Sammlungen verbundenen Wissensgebiete. Sie eigenen sich also nicht nur Gegenstände, sondern auch Wissensschätze an“, betont die Wissenschaftlerin.
Kein Wunder also, dass Sammeln zu den beliebtesten Hobbys der Österreicher gehört – etwa 18 Prozent verbringen, einer Umfrage für das Institut für Freizeitund Tourismusforschung aus dem Jahr 2015 zufolge, damit ihre Freizeit. Wobei vor allem Männer diesem Hobby frönen, wie eine repräsentative Studie der SteinbeisHochschule Berlin (SHB) zum Thema „Sammeln in Deutschland“gezeigt hat. Nur bei Kuriositätenund Nippessammlern ist der Anteil der Frauen mit 67 Prozent höher als der der Männer.
Mehr Männer sammeln
Bei Antiquitäten, Büchern und Kunst fallen die Frauen- und Männeranteile ähnlich aus. Überall sonst sind die Männer in der Überzahl: Bei den Uhrensammlern beträgt deren Anteil 61 Prozent, bei den Münzensammlern 68 Prozent und bei den Briefmarkensammlern 69 Prozent. Womit also die Jäger der Steinzeit zu den Sammlern der Gegenwart wurden. Allerdings: Manchmal wird das Sammeln auch zum Zwang. An die 30.000 Menschen in Österreich sind Forschern zufolge vom Messiesyndrom betroffen. Sie horten Dinge, die sie nicht brauchen können, werden von diesen manchmal gleichsam überrollt. Das Problem: Sie können häufig keine räumliche oder auch zeitliche Ordnung herstellen bzw. halten und nicht zwischen Brauchbarem und Unbrauchbarem unterscheiden. Die Grenze, wann Sammeln pathologisch wird, ist wahrscheinlich fließend, so Seyringer: „Sammeln wird oft mit positiven Gefühlen assoziiert – es bereitet Freude, wenn man ein neues Stück der Sammlung hinzufügt oder schöne Erinnerungen dabei vergegenwärtigen kann. Darüber zu urteilen, wann solche Aktivitäten etwa ein Suchtverhalten sind, ist wahrscheinlich sehr kontrovers.“