Wenn die brave Bäckerin eine Burka trägt
Akademietheater. Die Uraufführung des Familienstücks „Willkommen bei den Hartmanns“geriet locker, leicht und giftig. Regisseur Peter Wittenberg löste das harte Flüchtlingsthema mit einem spielwilligen Ensemble in meist absurden Szenen auf.
Ohne aktuelle politische Sticheleien geht es derzeit wohl kaum auf Österreichs großen Bühnen: Am Samstag bot Henrik Ibsens böses Gesellschaftsdrama „Ein Volksfeind“im Finale Anlass für eine heftige Publikumsbeschimpfung des Protagonisten und eine kleine Spitze gegen FPÖChef H.-C. Strache. Am Sonntag wurde im Akademietheater im leichteren Fach nachgelegt: Auf einem Video gab es Spott für ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der die künftige schwarz-blaue Koalition verhandelt: Ein Schauspieler imitierte eine harte Rede über Flüchtlinge und zog sich dabei die Ohren lang. So groß wie die des Kanzlerkandidaten waren sie dann allerdings noch lang nicht. Und trotzdem wurde höflich über diese kleine symbolische Strafaktion gelacht.
Die kurze Einlage schwarzer Pädagogik ergab sogar Sinn, denn zur Uraufführung kam im Akademietheater das jährliche „Familienstück“des Burgtheater-Ensembles, das „für Menschen von zwölf bis 99 Jahren“gedacht ist: „Willkommen bei den Hartmanns“adaptiert den gleichnamigen deutschen Kinofilm Simon Verhoevens, eine nette Komödie, die sich mit der Flüchtlingskrise von 2015 beschäftigt. Die Wiener Journalistin und Erfolgsautorin Angelika Hager hat die Story mit Esprit austrifiziert, Regisseur Peter Wittenberg und Dramaturg Hans Mrak haben das Stück auch noch bearbeitet. Herausgekommen ist eine fast dreistündige Version – weit länger als das Original. Sie wirkt paradoxerweise zugespitzt. Zwölf Schauspieler ziehen eine grandiose Nummernshow ab. Ein Flüchtling, der in solche Verhältnisse käme, würde denken: „In was für irrwitzige Verhältnisse bin ich geraten?“
„Willkommen“wird sofort übermalt
Wir befinden uns in der abgekühlten Phase nach dem großen Zustrom der Flüchtlinge. An der Rückwand der von Florian Parbs gestalteten Bühne prangt noch in roten Lettern „Willkommen“. Es erscheint eine Frau mit Farbutensilien, übermalt den Gruß. Jacken und Hosen regnen herab, Musik (von Jacob Suske) ertönt, etwas Orientalisches. Schon tauchen Schutzflehende aus dem Kleidersammlungshaufen auf, die vom freundlichen Bernd (Dirk Nocker) eingewiesen werden. Einer von ihnen war dem Horror der Terrorgruppe Boko Haram in Nigerias Norden entkommen: Das erste Wort, das man von Diallo hört, lautet „Oida“. Der von David Wurawa eindringlich sensibel und mit leiser Ironie gespielte junge Mann trägt ein altes Trikot der österreichischen Fußballnationalmannschaft. Er ist enorm integrationswillig. Es gibt kein Zurück, aber auch noch kein Vorwärts. Am Ende kämpft die Familie gegen einen negativen Asylbescheid.
Diallo wird bei Familie Hartmann landen, doch erst nach geraumer Zeit. Denn anfangs wird parallel, fast simultan die Welt der Asylsuchenden mit all ihren Schattierungen und jene einer höchstens von kleineren Sorgen geplagten Familie im Wohlstand vorgeführt. Die Ehefrau, Angelika Hartmann (Alexandra Henkel), ist eine seit Kurzem pensionierte Lehrerin mit Alkoholproblemen. Ihr Mann Richard (Markus Hering), ein Chirurg, durchläuft gerade eine veritable Midlife-Crisis, die von Botoxbehandlungen bei einem Kollegen (Dietmar König) zu Tinder-Bekanntschaften führt. Ihre Kinder: Gegensätze. Tochter Sofie, 27, (Alina Fritsch) hat auf ihrer Sinnsuche gerade wieder ein neues Studium begonnen: Psychologie. Auch sie hat wie der Vater ein Date – mit Tarek (Sven Dolinski), dem türkischen Kollegen ihres Vaters: Ihr Buder, Philipp (Simon Jensen), meldet sich per Skype aus Schanghai. Als Anwalt macht er große Deals, im Privatleben gab es Rückschläge: Er ist geschieden und bemüht darum, dass sein kreativer Sohn, Basti (total „laser“: Valentin Postlmayr), nicht im Drogenrausch versinkt.
Und Matthias Hartmann? Kein Kontakt!
Diesen Leuten wird der Flüchtling ausgesetzt. Man sitzt häufig in verschiedenen Konstellationen auf einem riesigen aufblasbaren roten Sofa. Dort ist es nicht so eng wie auf einem Schlauchboot im Mittelmeer, aber manchmal dennoch abenteuerlich. Es geht lustig zu bei Hartmanns. Nur ein Onkel namens Matthias fehlt. „Zu dem haben wir keinen Kontakt mehr“, heißt es. Vereinzelte Lacher über den früheren Burgtheater-Direktor gleichen Namens. Das Ensemble pflegt die Klischees fast so bös wie bei Nestroy, die Pointen sitzen. Ja, sie kennt man alle: die betuliche Gattin aus reicher Familie, die sich einen Flüchtling wünscht, den verunsicherten Mann, der nicht einsehen will, dass er alt wird. Henkel und Hering spielen das äußerst glaubwürdig, so wie Fritsch und Jensen die mindestens so neurotische und noch stärker verwöhnte jüngere Generation. Und als Draufgabe gibt es das Kabinettstück von Postlmayr, den verzogenen Enkel zu spielen, der Escortgirls besorgt, mit Freunden eingeraucht Rappervideos dreht und trotzdem so wie Diallo krass sympathisch ist.
Viele der Darsteller spielen mehrere Rollen: Großartig ist zum Beispiel Petra Morze´ als fremdenfreundliche Bäckerin und als Döblinger Dame, die den Asylsuchenden für ihren Rotary Club in Tracht steckt. Fantastisch abgehoben darf Sabine Haupt sein: Sie träumt von Zebras und macht dabei Yoga. Sie hat ein narzisstisches Helfersyndrom. Dann verwandelt sie sich in eine alte Fremdenhasserin, die in einer Mischung aus Wienerisch und Kärntnerisch Übles ausspuckt. Auch Michael Masula spielt solch einen Xenophoben, der den Untergang des Abendlandes erfüllt sieht. Bald auch wird ein kleines Haus brennen. Zur übersteigerten Angst passt ein herrliches Video von Sophie Lux vor dem Finale: Wien mit dem Steffl inmitten, gesäumt von Minaretten. Man glaubt, den Ruf des Muezzins zu hören, Kraftwerke rauchen, Raketen steigen in den Himmel. Und die brave Bäckerin, oh je! Sie trägt jetzt Burka.