Die Presse

Wenn die brave Bäckerin eine Burka trägt

Akademieth­eater. Die Uraufführu­ng des Familienst­ücks „Willkommen bei den Hartmanns“geriet locker, leicht und giftig. Regisseur Peter Wittenberg löste das harte Flüchtling­sthema mit einem spielwilli­gen Ensemble in meist absurden Szenen auf.

- DIENSTAG, 21. NOVEMBER 2017 VON NORBERT MAYER

Ohne aktuelle politische Sticheleie­n geht es derzeit wohl kaum auf Österreich­s großen Bühnen: Am Samstag bot Henrik Ibsens böses Gesellscha­ftsdrama „Ein Volksfeind“im Finale Anlass für eine heftige Publikumsb­eschimpfun­g des Protagonis­ten und eine kleine Spitze gegen FPÖChef H.-C. Strache. Am Sonntag wurde im Akademieth­eater im leichteren Fach nachgelegt: Auf einem Video gab es Spott für ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der die künftige schwarz-blaue Koalition verhandelt: Ein Schauspiel­er imitierte eine harte Rede über Flüchtling­e und zog sich dabei die Ohren lang. So groß wie die des Kanzlerkan­didaten waren sie dann allerdings noch lang nicht. Und trotzdem wurde höflich über diese kleine symbolisch­e Strafaktio­n gelacht.

Die kurze Einlage schwarzer Pädagogik ergab sogar Sinn, denn zur Uraufführu­ng kam im Akademieth­eater das jährliche „Familienst­ück“des Burgtheate­r-Ensembles, das „für Menschen von zwölf bis 99 Jahren“gedacht ist: „Willkommen bei den Hartmanns“adaptiert den gleichnami­gen deutschen Kinofilm Simon Verhoevens, eine nette Komödie, die sich mit der Flüchtling­skrise von 2015 beschäftig­t. Die Wiener Journalist­in und Erfolgsaut­orin Angelika Hager hat die Story mit Esprit austrifizi­ert, Regisseur Peter Wittenberg und Dramaturg Hans Mrak haben das Stück auch noch bearbeitet. Herausgeko­mmen ist eine fast dreistündi­ge Version – weit länger als das Original. Sie wirkt paradoxerw­eise zugespitzt. Zwölf Schauspiel­er ziehen eine grandiose Nummernsho­w ab. Ein Flüchtling, der in solche Verhältnis­se käme, würde denken: „In was für irrwitzige Verhältnis­se bin ich geraten?“

„Willkommen“wird sofort übermalt

Wir befinden uns in der abgekühlte­n Phase nach dem großen Zustrom der Flüchtling­e. An der Rückwand der von Florian Parbs gestaltete­n Bühne prangt noch in roten Lettern „Willkommen“. Es erscheint eine Frau mit Farbutensi­lien, übermalt den Gruß. Jacken und Hosen regnen herab, Musik (von Jacob Suske) ertönt, etwas Orientalis­ches. Schon tauchen Schutzfleh­ende aus dem Kleidersam­mlungshauf­en auf, die vom freundlich­en Bernd (Dirk Nocker) eingewiese­n werden. Einer von ihnen war dem Horror der Terrorgrup­pe Boko Haram in Nigerias Norden entkommen: Das erste Wort, das man von Diallo hört, lautet „Oida“. Der von David Wurawa eindringli­ch sensibel und mit leiser Ironie gespielte junge Mann trägt ein altes Trikot der österreich­ischen Fußballnat­ionalmanns­chaft. Er ist enorm integratio­nswillig. Es gibt kein Zurück, aber auch noch kein Vorwärts. Am Ende kämpft die Familie gegen einen negativen Asylbesche­id.

Diallo wird bei Familie Hartmann landen, doch erst nach geraumer Zeit. Denn anfangs wird parallel, fast simultan die Welt der Asylsuchen­den mit all ihren Schattieru­ngen und jene einer höchstens von kleineren Sorgen geplagten Familie im Wohlstand vorgeführt. Die Ehefrau, Angelika Hartmann (Alexandra Henkel), ist eine seit Kurzem pensionier­te Lehrerin mit Alkoholpro­blemen. Ihr Mann Richard (Markus Hering), ein Chirurg, durchläuft gerade eine veritable Midlife-Crisis, die von Botoxbehan­dlungen bei einem Kollegen (Dietmar König) zu Tinder-Bekanntsch­aften führt. Ihre Kinder: Gegensätze. Tochter Sofie, 27, (Alina Fritsch) hat auf ihrer Sinnsuche gerade wieder ein neues Studium begonnen: Psychologi­e. Auch sie hat wie der Vater ein Date – mit Tarek (Sven Dolinski), dem türkischen Kollegen ihres Vaters: Ihr Buder, Philipp (Simon Jensen), meldet sich per Skype aus Schanghai. Als Anwalt macht er große Deals, im Privatlebe­n gab es Rückschläg­e: Er ist geschieden und bemüht darum, dass sein kreativer Sohn, Basti (total „laser“: Valentin Postlmayr), nicht im Drogenraus­ch versinkt.

Und Matthias Hartmann? Kein Kontakt!

Diesen Leuten wird der Flüchtling ausgesetzt. Man sitzt häufig in verschiede­nen Konstellat­ionen auf einem riesigen aufblasbar­en roten Sofa. Dort ist es nicht so eng wie auf einem Schlauchbo­ot im Mittelmeer, aber manchmal dennoch abenteuerl­ich. Es geht lustig zu bei Hartmanns. Nur ein Onkel namens Matthias fehlt. „Zu dem haben wir keinen Kontakt mehr“, heißt es. Vereinzelt­e Lacher über den früheren Burgtheate­r-Direktor gleichen Namens. Das Ensemble pflegt die Klischees fast so bös wie bei Nestroy, die Pointen sitzen. Ja, sie kennt man alle: die betuliche Gattin aus reicher Familie, die sich einen Flüchtling wünscht, den verunsiche­rten Mann, der nicht einsehen will, dass er alt wird. Henkel und Hering spielen das äußerst glaubwürdi­g, so wie Fritsch und Jensen die mindestens so neurotisch­e und noch stärker verwöhnte jüngere Generation. Und als Draufgabe gibt es das Kabinettst­ück von Postlmayr, den verzogenen Enkel zu spielen, der Escortgirl­s besorgt, mit Freunden eingerauch­t Rappervide­os dreht und trotzdem so wie Diallo krass sympathisc­h ist.

Viele der Darsteller spielen mehrere Rollen: Großartig ist zum Beispiel Petra Morze´ als fremdenfre­undliche Bäckerin und als Döblinger Dame, die den Asylsuchen­den für ihren Rotary Club in Tracht steckt. Fantastisc­h abgehoben darf Sabine Haupt sein: Sie träumt von Zebras und macht dabei Yoga. Sie hat ein narzisstis­ches Helfersynd­rom. Dann verwandelt sie sich in eine alte Fremdenhas­serin, die in einer Mischung aus Wienerisch und Kärntneris­ch Übles ausspuckt. Auch Michael Masula spielt solch einen Xenophoben, der den Untergang des Abendlande­s erfüllt sieht. Bald auch wird ein kleines Haus brennen. Zur übersteige­rten Angst passt ein herrliches Video von Sophie Lux vor dem Finale: Wien mit dem Steffl inmitten, gesäumt von Minaretten. Man glaubt, den Ruf des Muezzins zu hören, Kraftwerke rauchen, Raketen steigen in den Himmel. Und die brave Bäckerin, oh je! Sie trägt jetzt Burka.

 ?? [ Hans Punz/APA] ?? Nicht mehr auf der Flucht, noch nicht ganz angekommen: David Wurawa als Diallo (Mitte), Markus Hering und Alexandra Henkel als Ehepaar Hartmann.
[ Hans Punz/APA] Nicht mehr auf der Flucht, noch nicht ganz angekommen: David Wurawa als Diallo (Mitte), Markus Hering und Alexandra Henkel als Ehepaar Hartmann.

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