Die Presse

Die Mama ist gegen das Happy End

Film. In der Komödie „The Big Sick“erzählt Kumail Nanjiani seine eigene Lebens- und Liebesgesc­hichte als Sohn pakistanis­cher Einwandere­r in Chicago – erfrischen­d optimistis­ch.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Totgesagt wurde sie schon oft, die romantisch­e Komödie, mit ihren schicksals­haften Zufallsbeg­egnungen und chaotische­n Dates, ihren großen Gesten, ihren triefenden Herzschmer­zszenen und unvermeidl­ichen Happy Ends. Ganz auszurotte­n ist das Hollywood-Genre dennoch nicht, aber es hat sich verändert: Die jahrzehnte­lang wiederholt­e Formel wirkt heute altbacken, die genormten Beziehungs­konstellat­ionen – weiße Frau trifft weißen Mann und liebt ihn kompromiss­los bis in alle Ewigkeit – entspreche­n schlicht nicht der Realität großer Teile des Publikums.

Kein Wunder, dass unter den derzeit beliebtest­en TV-Serien einige sind, die das Wesen der Romantic Comedy erhalten, die Liebe aber in ihrem Facettenre­ichtum und all ihrer Komplizier­theit zeigen. Aber auch im Kino erlebte das Genre jüngst eine Erfri- schungskur: In David O. Russells „Silver Linings“etwa müssen die Protagonis­ten nicht nur zueinander finden, sondern vor allem mit ihrer eigenen psychische­n Instabilit­ät klarkommen. Und in „How To Be Single“, der über lange Strecken den Mustern der klassische­n Ensemble-Romantikko­mödie folgt, entdeckt die Hauptfigur am Ende gar, dass sie gar keinen Prinzen will!

Der neueste Zuwachs im Genre, „The Big Sick“, packt große Themen – Integratio­n, Toleranz, familiären Druck – klug und witzig in einen klassische­n Romantikpl­ot und stellt die große, komplizier­te Liebe einer Institutio­n gegenüber, die der in Rom-Coms idealisier­ten Idee von Herzflatte­rn nicht ferner sein könnte: der arrangiert­en Ehe. Eine solche soll nämlich der liebenswer­te, irgendwie durchs Leben lavierende Stand-up-Komiker Kumail (Kumail Nanjiani) eingehen, wenn es nach seiner aus Pakistan nach Amerika migrierten Familie geht. Seine Mutter wird nicht müde, ihm bei jedem Familienes­sen geeignete Kandidatin­nen zuzuführen: „Schaut, wer gerade zufällig vorbeigeko­mmen ist!“, sagt sie dann und eröffnet den hochoffizi­ellen Austausch formaler Höflichkei­ten.

Wahre Romanze der Drehbuchau­toren

Kumail lässt das geduldig über sich ergehen. Dann aber verliebt er sich in die quirlige amerikanis­che Studentin Emily (Zoe Kazan). Die glückliche Zweisamkei­t erfährt einen jähen Abbruch, als Emily von den pakistanis­chen Heiratskan­didatinnen erfährt, und dem Umstand, dass Kumail seiner Familie lieber nicht von seiner weißen Freundin erzählen will – und die Sache wird noch komplizier­ter, als Emily kurz darauf wegen einer mysteriöse­n Infektion im Koma landet.

So tragisch das klingt: Selbst in den Momenten, die sich um Krankheit und Verzweiflu­ng drehen, behält der Film seinen humorvolle­n, optimistis­chen Ton und seine leichtfüßi­ge Gangart – vor allem dank Kumail Nanjiani, der hier herrlich blödelnd eine fiktionali­sierte Version seiner selbst spielt: „The Big Sick“basiert lose auf der wahren Romanze zwischen ihm und seiner Frau, Emily Gordon. Die beiden schrieben das Drehbuch, als Produzente­n gewannen sie Comedymeis­ter Judd Apatow, Michael Showalter („Wet Hot American Summer“) inszeniert­e die Geschichte ohne stilistisc­he Besonderhe­iten, aber mit viel Liebe für jede einzelne Figur. Schwierige­n Themen nähert sich der Film mit einer komödianti­schen Leichtigke­it, die auch tröstlich wirkt: Wenn Kumails Vater erzählt, wie er den Facebook-Account des aus der Familie verstoßene­n (weil mit einer Amerikaner­in verheirate­ten) Cousins hacken musste, um dessen Babyfotos zu sehen, hat das hier etwas Hoffnungsv­olles: Ganz los wird man seine Familie nicht, auch wenn man der großen Liebe eine Chance gibt.

 ?? [ Comatose Inc.] ?? Zarte Annäherung: Noch weiß Emily (Zoe Kazan) nichts von Kumails Familientr­adition.
[ Comatose Inc.] Zarte Annäherung: Noch weiß Emily (Zoe Kazan) nichts von Kumails Familientr­adition.

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