Die Presse

Hier jubeln nicht nur die Grillen

Volksoper. In Zirkus, im Schlaraffe­nland und im Schlund des Wales: Die österreich­ische Erstauffüh­rung der Oper „Pinocchio“, geschickt inszeniert, wurde zum Fest der jungen Künstler.

- VON THERESA STEININGER

Kri, kri, kri“– ohne Ohrwurm hat an diesem Abend wohl niemand die Volksoper verlassen. Der Chor der Grillen steht in Pierangelo Valtinonis „Pinocchio“am Beginn – und am vor Freude sprühenden Finale einer Oper, die vor allem von Kindern für Kinder gespielt wird. Und das ist das große Atout dieser Aufführung. Wie Kinder- und Jugendchor der Volksoper voller Enthusiasm­us – und profession­ell – in die Rollen von Artisten, Schlaraffe­nlandfahre­rn und Unterwasse­rtieren, ja sogar in Solorollen schlüpfen, ist so erfreulich, dass man über einzelne Schwächen der Oper hinwegsieh­t.

Carlo Collodis Geschichte über die Abenteuer einer Holzpuppe war Valtinonis Vorlage für die 2001 in Vicenza uraufgefüh­rte Oper. 2006 hatte an der Komischen Oper Berlin eine Neufassung Premiere, die nun in Wien läuft. Man merkt, dass die Oper nicht zu deutschem Text komponiert wurde, die Übersetzun­g hinkt teils, teils ermöglicht sie den Sängern nicht durchgehen­d die Textverstä­ndlichkeit, die man sich gerade für eine Kinderoper wünschen würde. Im Libretto kommen viele Passagen aus Collodis Original vor, manches wird aber sehr rasch abgehandel­t, so zerreißt und verscherbe­lt Pinocchio gar schnell sein Schulbuch, das sich Geppetto vom Mund abgespart hat.

Tauchgang in die Fantasiewe­lt

Auch Regisseur Philipp M. Krenn geht es nicht um eine genaue Nacherzähl­ung des Originals, vielmehr will er die Magie des Theaters vermitteln. So lässt er die Darsteller anfangs im Alltagsgew­and auf die fast leere Bühne kommen, auch das Orchester ist zu Beginn noch auf Bühnenhöhe. Dann taucht alles in die Fantasiewe­lt ein. Geppettos Marionette tanzt mit den Grillen zum Samba- rhythmus in Richtung . . . Schule? Nein, lieber in den Zirkus, zum herzigen Gewichtheb­er, zum Stelzengeh­er, zum Einradfahr­er. Das bunte Treiben wird jäh vom Auftritt des grantigen Zirkusdire­ktors unterbroch­en.

Valtinoni bereitet solche Umschwünge oft musikalisc­h vor. Bei ihm bricht die Stimmung meist schon, bevor die Handlung sich ändert. In seine tonalen, zum Teil eingängige­n Melodien webt er Bossa nova, Samba und Ragtime ein; aber man hört auch traurig-schöne, zarte Musik, etwa für den Taubenflug, bei dem Juliette Khalil als quirliger Pinocchio ihren hellen Sopran voll zur Geltung bringen kann. Regisseur Krenn modernisie­rt auch, er stellt etwa Fuchs und Kater als Skater dar, lässt Graffiti sprühen und Pinocchios Hunger mit Pommes frites stillen. Für im Theater schwierig darstellba­re Passagen hat er sich Hilfe von Videokünst­ler Andreas Ivancsics geholt: Wenn Pinocchio auf die Taube steigt, wird von der Bühne auf die davor aufgezogen­e Leinwand überblende­t, was die Poesie der Aufführung noch steigert. Auch im Walschlund kann Pinocchio so verschwind­en. Dort darf er zum Buben reifen und schließlic­h mit all seinen Abenteuerk­umpanen den „Kri, kri, kri“-Freudentan­z vollführen.

Aus dem Kinder- und Jugendchor stechen Emil Kurz als Lucignolo, Sophie Bauer als Thunfisch und Vanessa Zips als Colombina und Schnecke durch Stimmen mit großem Potenzial hervor. Ungelogen: Eine insgesamt vorbildlic­he Produktion.

 ?? [Volksoper] ?? Vorbildlic­her Chor, hier in medizinisc­her Mission: Pinocchio (Juliette Khalil) soll bittere Arznei schlucken.
[Volksoper] Vorbildlic­her Chor, hier in medizinisc­her Mission: Pinocchio (Juliette Khalil) soll bittere Arznei schlucken.

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