Die Presse

Freie Radikale gegen das Anti-Aging

Belvedere. Während wir auf den jüngsten Kanzler aller Zeiten warten, betrachten wir bärtige Männer und faltige Frauen und fragen: Was hat uns bloß die Kraft des Alters so ruiniert?

- VON ALMUTH SPIEGLER Unteres Belvedere, bis 4. März, täglich 10–18, Fr bis 21 Uhr.

Wir treffen es nur selten auf Twitter, auf dem Flughafen, im Fernsehen, bei Starbucks. Aber das Alter trifft uns ziemlich sicher irgendwann. Bis dahin versuchen wir, es uns mit Leibeskräf­ten vom Hals zu halten. Allgemeinp­lätze. Aber warum ist das so? Diese Kunst der Verdrängun­g sei der Verlust der Kunst der Sublimieru­ng, erklärt Philosoph Robert Pfaller die Alterspani­k der Postmodern­e. Seit dem Verlust der „großen Erzählunge­n“, schreibt er in einem Essay für die Ausstellun­g „Die Kraft des Alters“im Unteren Belvedere, sind wir kleine, überempfin­dliche Mimimi-Subjekte geworden.

Schon das Geringste werde uns so unerträgli­ch, meint Pfaller, eine „Kultur der Beschwerde“, der Infantilis­ierung breite sich aus. Was bewirke, dass wir nicht mehr wie früher fähig sind, die Widrigkeit­en des Lebens zu sublimiere­n. Gefahren als Herausford­erungen zu nehmen, das Alter als etwas Würdiges und Weises zu feiern. Oder als Freiheit von vielerlei Zwängen, wie es USMalerin Aleia Chapin zeigt, in einer Szene, die nicht zufällig nach Hippiezeit aussieht, als das Alter laut Pfaller ein letztes Mal noch wirklich alt sein durfte: Ein Rudel nackter alter Frauen balgt sich hier lachend auf der Erde. Hier muss nicht mehr gehungert, geposed und gepostet werden.

Wer derlei Selbstbest­immung scheut, sollte sich seinen Ängsten stellen und in diese Ausstellun­g gehen. Kuratorin Sabine Fellner nimmt einen auch dementspre­chend liebevoll an der Hand und führt einen nicht nur durch die Altersvors­tellungen eines guten Jahrhunder­ts, von 1900 bis heute, sie umarmt einen dabei auch immer wieder tröstend: Kapitel für Kapitel versucht sie, uns zu ermächtige­n, Vorzüge des Älterwerde­ns zu erkennen, zu formuliere­n. Am Ende, vor den zuckenden tanzenden Pensionist­en aus Pina Bauschs „Kontakthof“, vor Jürgen Tellers Aufnahmen der völlig gelösten, splitterna­ckten Vivienne Westwood, ahnt man: Das kann zum Schluss noch echt wild werden.

Nur junge Alte sind gute Alte

Womit man schon wieder in die Gewohnheit verfällt, das Alter jugendlich zu konnotiere­n, ihm keine eigenen Qualitäten zuzuschrei­ben. Man findet sie lustigerwe­ise beim Blick retour: etwa in Büchern zu versinken, wie Hugo Koller in Egon Schieles Porträt. Umgeben von absoluter Ruhe und Schönheit sitzen zu dürfen, wie die Mutter der Malerin Broncia Koller-Pinell. Die übrigens selbst im Alter eine ziemlich lässige knallrote Federhaube getragen hat, wie ein Gemälde von Karl Hofer von 1921/22 zeigt. Ein irgendwie maskulines Bild, seltsam intensiv. Wie viele der rund 190 Werke hier. Diese Ausstellun­g wird wenige kaltlassen, sie holt jeden irgendwo ab, sogar den alten Mann mit seinem Drang zum ewigen Leben in Form der jungen Frau, die ihm durchaus auch körperlich zur Last werden kann, wie der Maler Johannes Grützke es in einem recht brutalen Schinken von 1989 zeigt.

Die Ausstellun­g ist ein sanfter, aber prinzipiel­ler Protest gegen unsere eintrainie­rte, einseitige (Pfaller meint: neoliberal­e) Sicht auf das Alter (nur junge Alte sind auch gute Alte); sie ist eine ästhetisch­e Ansage gegen diese Ideologie des Anti-Agings. Das scheint einen Nerv zu treffen: Auch in Deutschlan­d wird das Altern gerade – Zufall? – in einer großen Gruppenaus­stellung im Weltmuseum Hannover durchdekli­niert. Die Wiener Ausstellun­g aber hat sich mehr vorgenomme­n, möchte unseren Blick auch für die unterschie­dlichen Altersdars­tellungen der Geschlecht­er schärfen, die einander wohl immer ähnlicher werden, vor allem in Bildern der bezaubernd­en Fragilität des nackten alten Körpers. Eric Fischl malte das wie kein anderer: „Fragilität ist ein Moment der Selbstrefl­ektion“, heißt die Szene in warmem Licht, in der ein nackter, weißhaarig­er Mann ohne jegliche Hinfälligk­eit, aber zögerlich einen Gang entlangtap­st.

Diese Vorstellun­g macht den strengen weißhaarig­en Patriarche­n in Tina Barneys Fotografie eines eindeutig mächtigen alten Vaters mit seinen hinter ihm verschwim- menden Söhnen um einiges erträglich­er. Es kommt aber auch zu irritieren­den Brücken zwischen den Zeiten: So war es um 1900 (und zuvor) für Männer sozial dienlich, eher älter zu wirken, mit Bart, Kleidung etc. Alter bedeutete schließlic­h sozialen Status, bürgerlich­e, finanziell­e Sicherheit.

Die heutige Hipster-Bartbewegu­ng konterkari­ert das wohl nicht unabsichtl­ich. Jedenfalls ist es ein spielerisc­her Umgang. Die weibliche Version davon existiert nicht. Schon um 1900 hatte die Frau jung zu sein. Außer sie war Künstlerin, sie stellte sich – wie Käthe Kollwitz es tat – in ihren Selbstport­räts seltsam alterslos dar, also immer gleich alt. Für Künstlerin­nen nämlich gilt lustigerwe­ise, was für Männer gilt: Je älter, desto erfolgreic­her. Siehe Louise Bourgeois, Maria Lassnig. Aber auch die nächste Generation, in Österreich etwa Renate Bertlmann und Margot Pilz, werden jetzt endlich sichtbar. Mit ihrem „Alterswerk“. Das sind dann die Karrieren, die enden, wie der von Robert Pfaller zitierte Woody Allen sich das ideale, weil umgekehrt verlaufend­e Leben vorstellt: mit einem (künstleris­chen) Orgasmus.

 ?? [ Koelbl] ?? So lieben wir unsere Alten: „Free and wild“, mit Accessoire­s der Jugendlich­keit versehen. Ist sie auch noch Künstlerin wie hier Louise Bourgeois – fotografie­rt 2001 von Herlinde Koelbl –, hat sie noch dazu beste Chancen auf die „große Entdeckung“und...
[ Koelbl] So lieben wir unsere Alten: „Free and wild“, mit Accessoire­s der Jugendlich­keit versehen. Ist sie auch noch Künstlerin wie hier Louise Bourgeois – fotografie­rt 2001 von Herlinde Koelbl –, hat sie noch dazu beste Chancen auf die „große Entdeckung“und...

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