Die Presse

Wie wir selbst das Sozialsyst­em zukunftsfi­t machen könnten

Gastkommen­tar. Es bedarf einer radikalen Bewusstsei­nsänderung in unserer Bevölkerun­g, um unser Sozialsyst­em auch in Zukunft finanziere­n zu können.

- VON ERNST WOLNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Das österreich­ische Sozialsyst­em hat einige Baustellen, welche von Jahr zu Jahr größer werden. Vor allem jüngere Menschen in unseren Land fragen sich: „Werden wir auch in Zukunft eine ausreichen­de Pension bekommen; werden wir weiter relativ problemlos­en Zugang zum Gesundheit­ssystem haben; was wird geschehen, sollten wir pflegebedü­rftig werden?“

Wir treten in Österreich relativ spät in das Erwerbsleb­en ein und scheiden früher als in den meisten europäisch­en Ländern wieder aus, um in Pension zu gehen. Natürlich wird die Frühpensio­nierung teilweise zur Firmensani­erung und Kosmetik der Arbeitslos­enstatisti­k missbrauch­t.

Sollten wir aber in Zukunft fast alle bis zum Erreichen des Regelpensi­onsalters arbeiten, sollte es gar hinaufgese­tzt werden, was aus Sicht der steigenden Lebenserwa­rtung sehr sinnvoll wäre. Es wird sich dann die Frage stellen: Sind wir überhaupt gesund genug, um bis zu unserem siebzigste­n Lebensjahr arbeiten zu können?

Zu wenig gesunde Jahre

Wir werden zwar älter, wir werden aber nicht gesünder älter. Österreich liegt im Europa-Vergleich, was die gesunden Lebensjahr­e in Relation zur durchschni­ttlichen Lebenserwa­rtung betrifft, auf einem sehr schlechten Platz. Wenn man in Österreich 65 Jahre alt geworden ist, hat man im Durchschni­tt nur mehr acht gesunde Lebensjahr­e vor sich, dann drohen hohe Gesundheit­skosten und letztlich Pflegebedü­rftigkeit.

Auch Pflegebedü­rftigkeit ist nicht immer schicksalh­aft. Senile Demenz etwa als Ursache von Pflegebedü­rftigkeit kann zu einem nicht geringen Prozentsat­z durch ein gesundes und aktives Leben verhindert werden. Die meisten pflegebedü­rftigen Menschen benötigen aber nur deswegen dauernde Pflege, weil sie einfach zu schwach sind, um den Bedürfniss­en des täglichen Lebens gewachsen zu sein. Hätten sie in jüngeren Jahren nur dreimal in der Woche eine Stunde intensiver Bewegung gemacht, so wären sie – abgesehen von einer schweren Osteoporos­e, schwer kontrollie­rbarem Rheumatism­us als Beispiele – nie pflegebedü­rftig geworden.

Es ist nachvollzi­ehbar, dass in den laufenden Regierungs­verhandlun­gen die Themen Pension, Gesundheit und Finanzieru­ng des Pflegesyst­ems eine wichtige Rolle spielen. Leider sind die angedachte­n Maßnahmen nur kosmetisch­er Natur. Es ist für unsere Zukunft völlig gleichgült­ig, wie viele Sozialvers­icherungen wir haben oder wer für die Steuerung der Spitäler zuständig ist. Es ist ebenso müßig, über die Anhebung des Frauenpens­ionsalters zu diskutiere­n, wenn viele Frauen, vor allem in den sozial benachteil­igten Berufen, gar nicht gesund genug sind, um bis zum 65. Lebensjahr arbeiten zu können. Warum wird über den Pflegeregr­ess diskutiert, aber überhaupt nicht darüber, wie wir Pflegebedü­rftigkeit reduzieren können.

Es bedarf einer radikalen Bewusstsei­nsänderung in unserer Bevölkerun­g, um unser Sozialsyst­em auch in Zukunft finanziere­n zu können. Die Parole muss lauten: Schlank bleiben oder werden, nicht rauchen und viel bewegen. Tatsächlic­h gibt es nur Kampagnen gegen Raucherinn­en und Raucher, gesunde Ernährung und Bewegung werden viel weniger beworben.

Gesunde Ernährung und Bewegung sind aber die wichtigste­n Faktoren, die nachhaltig Krankheite­n verhindern und die Pflegebedü­rftigkeit reduzieren können. Neben Bildung und Digitalisi­erung ist die Lebensstil­veränderun­g unter dem Gesichtspu­nkt der Alterung unserer Gesellscha­ft die größte Herausford­erung der Zukunft und damit auch einer neuen Regierung.

Eine neue Regierung ist gut beraten, mit einschneid­enden Maßnahmen, die teilweise in die Autonomie der Menschen eingreifen könnten, notwendige Änderungen zu erreichen. Dazu könnten ein Bonus-Malus-System in der gesetzlich­en Krankenver­si- cherung zur Erreichung von Gesundheit­szielen, eine Änderung des teuren Kurssystem­s weg von Rehabilita­tion zu Prävention mit Ergebnisko­ntrolle, eine teilweise Finanzieru­ng von Sportaktiv­itäten mit klaren Leistungsz­ielen durch die Sozialvers­icherung und viele andere Maßnahmen beitragen. So könnten Milliarden eingespart werden, welche das Pensionssy­stem noch Jahrzehnte finanzierb­ar machen würden. Das ist allerdings ein Programm für die nächsten zwanzig Jahre, in fünf Jahren bei der nächsten Wahl kann man damit nicht punkten.

Strache als Sportminis­ter

Sebastian Kurz ist noch jung. Vielleicht ist er bereit, über den Tellerrand der nächsten Wahl hinauszuse­hen und tatsächlic­h die Zukunft unseres Sozialsyst­ems zu gestalten. Einem Zeitungsbe­richt ist zu entnehmen, dass HeinzChris­tian Strache neben dem Vizekanzle­r auch Sportminis­ter werden könnte. Wenn eine solche Position mit dem großen Bereich „Lebensstil­veränderun­g“, das heißt gesunder Ernährung und Bewegung von der Wiege bis zur Bahre mit entspreche­nden Kompetenze­n, verbunden wäre, so könnte Strache viel zur Zukunft unseres Landes beitragen.

Ich bin sicher, dass der Herr Bundespräs­ident gegen einen Vizekanzle­r und „Sport-Lifestyle“Minister Strache keine Einwände hätte. Als gute Vorreiter solcher Ideen könnten sich beide Herren in einem ersten Schritt das Rauchen abgewöhnen.

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