Die Königin des Pop Noir
Pop. Beim liebevoll kuratierten Festival Blue Bird faszinierten diesmal die Folklegende Vashti Bunyan sowie die düsteren Chansonnieren Chrysta Bell und Michelle Gurevich.
Chrysta Bell (Bild) begeisterte beim liebevoll kuratierten Festival Blue Bird mit dunkler Stimme und coolem Gebaren.
Travelling north, travelling north to find you“, sang die 72-jährige Vashti Bunyan mit einer Stimme, die immer noch jungmädchenhafte Sehnsucht zu verströmen schien. Den karg instrumentierten „Train Song“hat sie 1966 aufgenommen. Also im selben Jahr, als die Rolling Stones mit „Paint It Black“und Donovan mit „Sunshine Superman“die britischen Hitparaden stürmten. Kein Wunder, dass der sublime „Train Song“damals nicht breitflächig reüssieren konnte. Er verschwand still in der Versenkung.
Wie zunächst alles, was Bunyan im ersten Teil ihrer unwahrscheinlichen Karriere angepackt hat. Der Kunsthochschule verwiesen, wurde sie von Andrew Loog Oldham, dem damaligen Manager der Rolling Stones, entdeckt. Er wollte sie zur Nachfolgerin von Marianne Faithfull aufbauen und verpasste ihren Songs üppige Arrangements. „Den Moment, als Mick Jagger im Studio zu einem meiner Lieder mit geschlossenen Augen groovte, den werde ich mir immer in meinem Herzen aufbewahren“, erzählte Bunyan vor dem Konzert der „Presse“. Mit Liedern wie dem „Train Song“wollte sie nach ihrer Zeit mit Oldham ein neues Kapitel aufschlagen. Das misslang nicht vollständig. Es dauerte halt 42 Jahre, ehe er zu einer Art Hit wurde. Eine Sportschuhfirma hatte 2008 den „Train Song“für einen massiv eingesetzten Werbespot verwendet. Zudem war er in der Kultserie „True Detective“zu hören. Das sorgte für die eindrucksvolle Wiederauferstehung eines vergessenen Lieds.
Vashti Bunyan lebte das Leben einer Alternativen, weil sie die Umstände dazu trieben. Aus Geldmangel hauste sie eine Zeitlang sogar im Wald. Um mit Kollegen wie Donovan eine Künstlerkommune zu gründen, reiste sie 1969 per Pferdekutsche nach Schottland. Das vorgespannte Pferd hieß Bess. Damals war sie auf einer unfreiwilligen Diät, die aus Vollkornreis und billigem Tee bestand. „In die Auslagen von Konditoreien zu schauen, war damals fast eine psychedelische Erfahrung für mich“, amüsiert sich Bunyan heute über ihr früheres Ich.
Nach 35 Jahren neu entdeckt
1970 entstand ihr Debütalbum „Just Another Diamond Day“. Produziert wurde es von Joe Boyd, einem Amerikaner der damals die britische Folkszene aufmischte. Zu den von ihm betreuten Künstlern zählte auch der schwer depressive Nick Drake, den Bunyan zweimal traf. Aus der von Boyd erhofften Zusammenarbeit der beiden Außenseiter wurde nichts. „Als ich ihm was vorspielte, bewegten sich Nicks Schultern immer weiter nach oben. Das war seine Art, Ablehnung anzuzeigen.“
Nachdem ihr von Boyd produziertes Album „Another Diamond Day“als eine Sammlung alternativer Wiegenlieder missverstanden wurde, zog sich Bunyan zurück. 35 Jahre später wurde sie von heutigen Stars wie Devendra Banhart und Joanna Newsom in die Musikszene zurückgeholt. Ihre jungen Fans bereiteten ihr im Porgy & Bess einen warmen Empfang. Begleitet von einem zweiten Gitarristen und Sänger flanierte sie durch pastorale Gegenwelten. Das Spektrum reichte von Aktuellem a` la „Heartleap“zu Klassikern wie „Glow Worms“.
Weit weg von jeglichem Glühwürmchenidyll waren indes die Szenerien, die DavidLynch-Muse Chrysta Bell entwarf. Sie inszenierte sich als Königin eines luxuriösen Pop Noir. Die Anmutung ihrer Kunst war sinnlich, dramatisch und nicht wenig mysteriös. Die im goldenen Minikleid vor das Publikum getretene Actrice bezirzte mit dunkler Stimme und coolem Gebaren.
Noch einen Tick düsterer gab sich die russischstämmige Kanadierin Michelle Gurevich. Ihre Songs strahlten trotz schwarzgalliger Anmutung überraschend viel Wärme ab. Ihre subtilen Kompositionen, etwa „First Six Months of Love“und „Lovers Are Strangers“, warfen Schlaglichter auf die ewigen Widersprüchlichkeiten der menschlichen Seele. Einmal erbat sie sich sogar „Vacation from Love“. Aufreizend müde perlte jetzt das Piano, eine Gitarre schickte einen verirrten Twang ans Ohr. Montreal, das der Welt schon den großen Leonard Cohen schenkte, hat mit Michelle Gurevich eine würdige Nachfolgerin im Talon. Der Segen des Meisters ist ihr gewiss.