Frankreichs Jupiter im Aufwind, Deutschlands Mutti in der Krise
Während Europa fassungslos auf die deutsche Regierungsquälerei blickt, ist Paris nach langer Absenz plötzlich wieder politischer Schrittmacher Europas.
So schnell kann sich das Blatt wenden in den Staatsgeschäften. Wer hätte noch im Frühjahr gedacht, dass Angela Merkel zu Jahresende auf die Gnade des verspotteten Wahlverlierers Martin Schulz und seiner geschundenen SPD angewiesen sein würde, um ein viertes und letztes Mal ins Kanzleramt einziehen zu können? Und, andere Seite des Blattes: Wer hätte sich erträumt, dass Emmanuel Macron mit historisch starker parlamentarischer Mehrheit im Rücken Frankreich einer Reform nach der anderen unterziehen würde, während er in Europa symbolische Erfolge ebenso erringt wie langfristig bedeutsame Siege einstreift?
Aber so ist es, zum Ende dieses merkwürdigen Jahres. Merkel, gerade eben noch der Ruhepol einer wirren Welt, Deutschlands „Mutti“, ist von der europäischen Bühne verschwunden. Während sie der SPD Maximalforderungen wie die Abschaffung der privaten Krankenversicherung auszureden genötigt ist, läuft das deutsche Staatsschiff auf Autopilot. Nein, er könne die Einladung zu wöchentlichen deutsch-französischen Planungsbesprechungen nicht annehmen, beschied der amtsführende Finanzminister Peter Altmaier dem germanophilen Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Auf dem Basar um die Neuansiedlung der Europäischen Arzneimittelagentur und der Bankenaufsicht gingen Frankfurt und Bonn vorige Woche leer aus. Lag das auch daran, dass Merkels Kabinett die Hände für etwaige Interessensabtäusche gebunden waren? Wie nachdrücklich werden die deutschen Unterhändler die Wahl des Chefs der Eurogruppe prägen können, deren Kandidatenliste diese Woche vorliegen wird? Oder konstruktiv auf die Vorschläge zur Reform des Euro eingehen, welche Kommissionsvorsitzender Juncker vor Weihnachten zu präsentieren plant?
Währenddessen wird Macron fast alles zu Gold, was er anfasst. Mit der Bankenaufsicht, die 2019 zur bereits dort ansässigen EU-Wertpapierbehörde stößt, wird Paris neben Frankfurt nach dem Brexit zum zweiten finanzpolitischen Kraftzentrum des größten und reichsten Binnenmarktes der Welt aufsteigen. Durch die Verschärfung der Bedingungen für die Entsendung von Arbeitnehmern (die in der Betriebspraxis wenig ändern wird) hat er seinem Volk gezeigt, dass man in Brüssel Dinge ändern kann, ohne den ganzen Karren umzuwerfen. Er hat dabei die Mär von der angeblich unspaltbaren antieuropäischen Visegrad-´Gruppe entlarvt, indem er gezielt die Spitzen der Slowakei und Tschechiens umgarnte; sie stimmten grummelnd mit Frankreich.
Auch in der Sicherung einer operablen transatlantischen Beziehung bis zum Ende der Ära Trump hat er, nicht Merkel, das Heft ergriffen. Und so, wie er den Amerikaner mit einem Diner im Eiffelturm einseifte, tat er es nun mit den Problembären in der Riege der EU-Regierungschefs, dem Linkspopulisten Tsipras und der Rechtsnationalen Szydło: Ein Orden für „Politischen Mut“für den Griechen, Küsschen und E´lyse´e-Empfang für die Polin, schon lächeln beide. Macron
ist nicht fehlerlos, doch die zündenden Ideen gehen von ihm aus, nicht von Merkel. Kann sich jemand an eine programmatische Grundsatzrede der Kanzlerin erinnern wie jene, die Macron an der Sorbonne hielt? Von der Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit über die Schaffung einer Bildungsunion bis zur Stärkung der gemeinsamen Währung: Macron schlägt vor, lädt ein zum europaweiten Diskurs der Bürger über ihre Zukunft. Und er sagt Dinge, die man nicht nur in Frankreich gern öfter von Staatsspitzen hören würde. „Den traurigen Reflexen des französischen Neids werde ich nicht nachgeben, weil eben dieser Neid unser Land lähmt“, begründete er im „Spiegel“die Abschaffung der Vermögenssteuer, mit deren Einführung sein Vorgänger Francois¸ Hollande den ersten Spatenstich für den Aushub seines politischen Grabes gesetzt hatte.
Doch sind all seine Vorhaben nichts, solange Merkel im Folterkeller der Koalitionsverhandlungen darbt. Wird sie, sobald sie ans Steuer der Macht zurückkehrt, mutiger regieren als in den zwölf Jahren bisher? Dies, und nicht die Verlässlichkeit ihres französischen Partners, ist Europas Frage der Stunde.